Gegenstand eines Verfahrens bei der Vergabekammer Düsseldorf (VK Düsseldorf, Beschl. v. 28.01.2014, VK-13/2013-L) war die Frage, ob und inwieweit ein öffentlicher Auftraggeber berechtigt ist, hinsichtlich der Zustellung von bundesweit adressierten Postsendungen nur einen vorbereitenden Teil der Sendungssortierung auszuschreiben und im Übrigen vorzusehen, dass die Sendungen zwingend durch das marktbeherrschende Unternehmen der Deutschen Post AG zuzustellen sind. Das Unternehmen der Deutschen Post AG beherrscht den Postsektor zu etwa 90 %, erbringt diese Dienstleistungen aber im Wettbewerb zu zwischenzeitlich mehr als 600 am Postmarkt tätigen Wettbewerbsunternehmen.
Sachverhalt
Die Vergabestelle hatte in dem zugrunde liegenden Sachverhalt mit der Deutschen Post AG bereits vor vielen Jahren einen Vertrag über die Zulassung einer Frankiermaschine abgeschlossen, mit der Postsendungen frankiert werden können. Die Ausschreibungsunterlagen sehen vor, dass die Vergabestelle die Sendungen mit dieser Frankiermaschine – nachdem die Frankiermaschine mit Porto „aufgeladen“ wurde – frankiert, an den gesuchten Dienstleister übergibt, der Bieter die frankierten Sendungen vorsortiert und zwingend bei dem Unternehmen der Deutschen Post AG zum Zwecke der Zustellung einliefert. Ein Wettbewerber begehrt die Übernahme der gesamten Zustelldienstleistung und nicht nur die Übernahme entsprechender Vorsortierarbeiten für das marktbeherrschende Unternehmen und stellt einen entsprechenden Nachprüfungsantrag.
Die Entscheidung der Vergabekammer
Die Vergabekammer hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob der Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 Satz 1 GWB erreicht oder überschritten ist, da der Auftraggeber zwar ein europaweites Vergabeverfahren veröffentlicht hatte, indes aber mitteilte, dass der Schwellenwert hinsichtlich der Vorsortier-Dienstleistungen nicht erreicht sei. Die Vergabekammer stellt fest, dass hinsichtlich der Wertbemessung nicht nur der Wert der Vorsortierleistungen zu berücksichtigen sei, sondern dass der gesamte Wert der postalischen Beförderung (also das Gesamtporto) berücksichtigt werden müsse. Denn Gegenstand des vorliegenden Vergabeverfahrens sei die bundesweite Zustellleistung hinsichtlich der betroffenen Postsendungen. Ausweislich der Vergabeunterlagen sollte der Bieter verpflichtet sein, die vorbereiteten und frankierten Sendungen zwingend bei der Deutschen Post AG zum Zwecke der Zustellung einzuliefern. Insoweit ist nach der Auffassung der Vergabekammer also das Gesamtporto für die Wertbemessung ausschlaggebend.
Hinsichtlich eines anderen Einwandes der Vergabestelle, dass es in ihrem Gestaltungsermessen verbliebe, welchen Teil der Dienstleistung sie ausschreiben würde, weist die Vergabekammer – obiter dictum – darauf hin, dass es eine vergaberechtswidrige Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes bedeuten würde, wenn lediglich ein vorgelagerter Anteil einer Dienstleistungen (also lediglich die Aufbereitungsleistungen zu Gunsten der Deutschen Post AG) ausgeschrieben wird und im Übrigen – durch die zwingende Auftragserteilung an das marktbeherrschende Unternehmen – der Wettbewerb ausgeschlossen würde. Denn grundsätzlich ist die gesamte „Postbeförderung im Landverkehr“ gemäß Anhang II, Teil A, Kategorie 4, der VKR RL 2004/18/EG im Wettbewerb zu beschaffen.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wurde indes zurückgewiesen, da die Vergabestelle bereits zu Beginn des Jahres 2009 – de facto – mit der Deutschen Post AG eine Vereinbarung über die Nutzung einer Frankiermaschine abgeschlossen habe, auf die sie sich beruft. Diese Vereinbarung sei eine „vorgelagerte Entscheidung“ darüber, welches Unternehmen die Beförderungs-/Zustellleistung erbringen soll. Gegen diese Nutzungsvereinbarung müsse nach § 101 b GWB vorgegangen werden.
Gegen den Beschluss der Vergabekammer ist sofortige Beschwerde eingelegt worden.
Die Vergabe von Postdienstleistungen betrifft einmal mehr Grundsätze des Vergaberechts und der vergaberechtlichen Rechtsprechung.
Der Entscheidung ist in breiten Teilen zuzustimmen. Ganz grundsätzlich sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, nicht nur sogenannte „Konsolidierungsdienstleistungen“, also Vorsortierleistungen zu Gunsten des Unternehmens der Deutschen Post AG, auszuschreiben. Vielmehr ist – um eine breite Beteiligung des Wettbewerbs zu ermöglichen – darauf zu achten, dass die vollständige Postbeförderungsleistung (insbesondere also auch die Zustellung von Postsendungen) im Wettbewerb beschafft wird und die Vergabeverfahren nicht so ausgestaltet werden, dass ein Ausschluss des Wettbewerbs zugunsten eines Marktbeherrschers stattfindet (vgl. dazu auch OLG Schleswig, Beschluss v. 07.10.2011, 1 Verg 1/11).
Wenn – wie vorliegend – den Bietern im Übrigen auferlegt wird, die frankierten Sendungen bei dem Unternehmen der Deutschen Post AG einzuliefern, muss bei der Bemessung des Schwellenwerts im Sinne von § 100 Abs. 1 GWB der gesamte Beschaffungsvorgang, also „der Auftrag“ betrachtet und damit der gesamte Portowert hinsichtlich der zuzustellenden Sendungen berücksichtigt werden.
Der Entscheidung der Vergabekammer ist allerdings im Hinblick auf die Feststellung, dass bereits die generelle Vereinbarung über die zugelassene Nutzung von postalischen Frankiermaschinen dazu führen soll, dass der Auftraggeber sich hinsichtlich der zukünftigen Zustelltätigkeit an das Unternehmen der Deutschen Post AG „vertraglich“ gebunden habe, nicht zuzustimmen:
Die Entscheidung der Vergabekammer verkennt, dass Frankiermaschinen lediglich als technisches „Bezahlsystem“ dazu dienen, eine vereinfachte Frankierung von Sendungen vorzunehmen. Frankiermaschinen berechtigen also, verpflichten Postkunden aber nicht dazu, Postsendungen ausschließlich mit dem Unternehmen der Deutschen Post AG befördern zu lassen. So stellt erst der Vorgang des Einkaufs von Porto (die Portoaufladung auf die Maschine) für die Zustellung der Sendungen den eigentlichen Beschaffungsvorgang (und damit einen Vertrag im Sinne von § 101 b GWB) dar, der auf Grundlage einer gesonderten Vereinbarung durchgeführt wird (vgl. Punkt 2 Abs. 3 der „AGB Frankiermaschinen“ der Deutschen Post AG). Denn mit dem Auftrag zur Nutzung von Frankiermaschinen erwirbt der Kunde (lediglich) das Recht zur Frankierung von Briefsendungen. Erst in einem zweiten Schritt kann er das Porto bei der Deutschen Post AG gesondert erwerben (durch einen Aufladevorgang auf die Maschine). Die Annahme dieses einzelnen „Portoladeauftrags“ muss dann seitens der Deutschen Post AG rückbestätigt werden (vgl. Punkt 2 Abs. 3 der o.g. AGB). Da hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Postsendungen eine entsprechende „Aufladung“ der Frankiermaschine der Vergabestelle nicht stattgefunden hat (was angesichts des mehrjährigen abschnittsweise produzierten Postvolumens auch unmöglich ist), ist die Vergabestelle auch nicht vertraglich –hinsichtlich der eigentlichen Postzustellung – an das Unternehmen der Deutschen Post AG gebunden. Ein entsprechender „Vertrag“ i.S.v. § 101 b GWB besteht damit nicht.
Dieser Auffassung steht auch nicht einer früheren Entscheidung des Vergabesenats des OLG Düsseldorf entgegen, da in dem dortigen Verfahren – anders als vorliegend – die Vergabestelle zuvor selbst einen zusätzlichen Teilleistungsvertrag mit der Deutschen Post AG abgeschlossen hatte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 23.02.2011, Az.: VII Verg 17/11, der dortige ursprüngliche Nachprüfungsantrag wurde vor Verfahrensende zurückgenommen).
Rechtsanwalt Dr. Christian v. Ulmenstein ist seit Juli 2023 Partner der Kanzlei LEINEMANN PARTNER Rechtsanwälte, Berlin. Er betreut und berät als Fachanwalt für Vergaberecht Vergabestellen und Bieter in komplexen öffentlichen Ausschreibungsverfahren (Bau- und Dienstleistungsvergaben). Seit der Öffnung des Postsektors gehört zu seinen Leistungen seit vielen Jahren auch die Beratung von Unternehmen und Vergabestellen bei der öffentlichen Beschaffung von Postdienstleistungen.
Der Nachprüfungsantrag wurde zurückgenommen, nachdem das OLG Düsseldorf (im Rahmen eines Beschlusses nach § 118 GWB) mitteilte, dass der Nachprüfungsantrag keine Aussicht auf Erfolg habe. Ausschlaggebend war, dass
a) der Zuschnitt auf reine Konsolidierungsleistungen vom Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers gedeckt sei und
b) der Schwellenwert für EU-Vergaben nicht erreicht sei, da das Entgelt für die Beförderung durch die Deutsche Post AG nicht auftragswerterhöhend berücksichtigt werde.
Der öffentliche Auftraggeber hat also nur die so genannte Konsolidierung der Ausgangspost
ausgeschrieben. Die von der Ausschreibung nicht erfasste Beförderung der Post durch die Deutsche Post AG kann nicht zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens gemacht werden, das sich gegen die Ausschreibung der Postkonsoldierung richtet.
Bei Interesse kann der Beschluss per eMail angefordert werden unter alexander.fandrey@kapellmann.de