Um die Erteilung eines öffentlichen Auftrages als vergaberechtsfreies Inhouse-Geschäft qualifizieren zu können, ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH u.a. die Voraussetzung der Kontrolle wie über eigene Dienststellen erforderlich. Für den öffentlichen Auftraggeber muss die Möglichkeit gegeben sein, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen der beauftragten Einrichtung ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen; zudem muss die von dem öffentlichen Auftraggeber ausgeübte Kontrolle wirksam, strukturell und funktionell sein (so zuletzt EuGH, Urteil vom 8.5.2014 C-15/13 Datenlotsen Informationssysteme, Rdnr. 26 der Urteilsgründe).
Dagegen schließt die auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall aus, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen (EuGH, Urteil vom 11.1.2005 C-26/03 Stadt Halle, Rdnr. 49 der Urteilsgründe). Vor diesem Hintergrund war der EuGH im Rahmen eines portugiesischen Vorabentscheidungsersuchens mit der Frage befasst, ob das Kontrollkriterium auch dann erfüllt sein kann, wenn der Auftragnehmer weder privatrechtlich verfasst ist noch über ein Gesellschaftskapital verfügt, sondern eine gemeinnützige Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht darstellt, deren ebenfalls nicht gewinnorientierten Mitglieder überwiegend dem öffentlichen, aber minderheitlich dem privaten Bereich zuzuordnen sind.
Art. 1 Abs. 2 Buchst. a) und Abs. 8 RL 2004/18/EG; § 99 GWB
Leitsatz
Die Inhouse-Voraussetzung der Kontrolle wie über eigene Dienststellen ist nicht erfüllt, wenn der Auftragnehmer eine gemeinnützige Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht ist, zu deren Mitgliedern bei der Erteilung des Auftrages nicht nur Einrichtungen des öffentlichen Sektors zählen, sondern auch private (Sozial-)Träger, selbst wenn sie ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig sind.
Sachverhalt
Der EuGH-Entscheidung liegt ein direkt von einem öffentlichen Krankenhaus an eine gemeinnützige Vereinigung vergebener Auftrag über die Lieferung von Mahlzeiten zugrunde. Mitglieder der gemeinnützigen Vereinigung können Einrichtungen des öffentlichen und sozialen (Privat-)Sektors sein. Unter den insgesamt 88 Mitgliedern der gemeinnützigen Vereinigung befanden sich deshalb u.a. 23 private, ohne Gewinnerzielungsabsicht tätige Sozialträger. Gegen den ohne europaweites Vergabeverfahren durch das öffentliche Krankenhaus erteilten Auftrag hat ein Konkurrent vor den zuständigen portugiesischen Nachprüfungsinstanzen mit der Begründung geklagt, das öffentliche Krankenhaus könne über die gemeinnützige Vereinigung wegen der privaten Mitglieder keine Kontrolle wie über eigene Dienststellen ausüben.
Die Entscheidung
Der EuGH weist eingangs darauf hin, dass sich im vorliegenden Sachverhalt im Wesentlichen die Frage stellt, ob die sich aus dem Urteil Stadt Halle ergebende Rechtsprechung anwendbar ist, weil die gemeinnützige Vereinigung nicht die Rechtsform einer Gesellschaft aufweist und somit kein Gesellschaftskapital besitzt, und deren Mitglieder, die dem sozialen Sektor angehören, keine Unternehmen im Sinne des vorgenannten Urteils sind (vgl. Rdnr. 34 der Urteilsgründe). Die Luxemburger Richter stellen hierzu klar, dass weder die (privatrechtliche) Rechtsform noch die Verfolgung kommerzieller Zwecke, der an einem Auftragnehmer beteiligten Einrichtungen, für das Nichtvorliegen des Kontrollkriteriums im Urteil Stadt Halle maßgeblich waren. Vielmehr war einzig entscheidend, dass die dortigen Gesellschafter des Auftragnehmers Überlegungen folgten, die mit ihren privaten Interessen in Verbindung standen, die anderer Art als die im öffentlichen Interesse liegenden Ziele des betroffenen öffentlichen Auftraggebers waren (vgl. Rdnr. 36 der Urteilsgründe).
Der Umstand, dass der EuGH in seiner Entscheidung Stadt Halle auf Begriffe wie Unternehmen oder Gesellschaftskapital Bezug genommen hat, führt nicht dazu, dass er seine Schlussfolgerung nur auf die Fälle beschränken wollte, in denen gewerbliche Unternehmen, die eine Gewinnerzielung anstreben, an einem Auftragnehmer beteiligt sind (vgl. Rdnr. 37 der Urteilsgründe). Dementsprechend ist die Gemeinnützigkeit des Auftragnehmers und seiner Mitglieder insoweit unerheblich. Für den EuGH ist es im Hinblick auf das Kontrollkriterium ausschlaggebend, dass die privatrechtlichen Mitglieder der gemeinnützigen Vereinigung Interessen und Ziele verfolgen, die sich von den im öffentlichen Interesse liegenden Ziele unterscheiden, die von den öffentlichen Auftraggebern angestrebt werden, die zugleich Mitglieder der gemeinnützigen Vereinigung sind (vgl. Rdnr. 39 der Urteilsgründe). Auch kann nach Überzeugung der Luxemburger Richter die unmittelbare Beauftragung der gemeinnützigen Vereinigung seinen privatrechtlichen Mitgliedern einen Wettbewerbsvorteil verschaffen (vgl. Rdnr. 40 der Urteilsgründe). Entscheidend ist im vorliegenden Fall einzig und allein, dass der Auftragnehmer nicht nur aus öffentlich-rechtlichen Mitgliedern, sondern auch aus privatwirtschaftlichen Einrichtungen bestand (vgl. Rdnr. 43 der Urteilsgründe), ganz gleich, ob letztere in der Mehr- oder Minderheit sind. Der EuGH hat deshalb das Vorliegen des Inhouse-Kontrollkriteriums verneint.
Rechtliche Würdigung
Die Luxemburger Richter haben ihre bisherige Rechtsprechung zur Inhouse-Voraussetzung der Kontrolle wie über eigene Dienststellen konsequent fortgeführt. Das Urteil überrascht deshalb nicht:
Weder die durchaus anerkennenswerten Aufgaben eines Auftragnehmers und seiner Gesellschafter/Mitglieder in sozialer Hinsicht noch deren (steuerrechtliche) Gemeinnützigkeit sind für die Frage nach der kontrollschädlichen Verfolgung privater Interessen von Bedeutung. Allein der Umstand, dass ein beauftragtes Unternehmen bzw. eine beauftragte Einrichtung über privatwirtschaftliche Gesellschafter bzw. Mitglieder verfügt, schließt eine Kontrolle wie über eigene Dienststellen aus. Die Entscheidung ist für den Rechtsanwender deshalb erfreulich klar und deutlich. In diesem Zusammenhang ist abschließend daran zu erinnern, dass die neuen (bis zum 18.4.2016 umzusetzenden) EU-Vergaberichtlinien unter bestimmten Voraussetzungen private Kapitalbeteiligungen an einem kontrollierten Auftragnehmer für die Annahme eines Inhouse-Geschäftes zulassen [vgl. etwa Art. 12 Abs. 3 Buchst. c) RL 2014/24/EU].
Allerdings muss es sich um Kapitalbeteiligungen nicht beherrschender Art oder ohne Sperrminorität handeln, die zudem gesetzlich vorgeschrieben sind und keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte Person vermitteln. Die vorstehenden Grundsätze dürften aufgrund der Regelungslücke – für privatwirtschaftliche Beteiligungen/Mitgliedschaften entsprechend gelten, die nicht als Kapitalbeteiligung an der kontrollierten Einrichtung anzusehen sind.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
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