Primärer Rechtsschutz bei Auftragsvergaben unterhalb der europäischen Vergabeschwellenwerte kann regelmäßig – abgesehen von besonderen landesrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten, z.B. in Sachsen-Anhalt – vor den ordentlichen Gerichten gewährt werden.
Bei Vergabeverstößen ist daher der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit einem entsprechenden Unterlassungsantrag das praktikable Rechtsschutzinstrument, um einen drohenden Zuschlag zu verhindern. Eine mit § 115 GWB vergleichbare Regelung kennt die Zivilprozessordnung (ZPO) hingegen nicht: Nach § 938 ZPO bestimmt das Gericht vielmehr nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zur Zweckerreichung einer einstweiligen Verfügung erforderlich sind. Hierzu zählt nach der Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.1.2010 – 27 U 1/09) auch ein vorläufiges Zuschlagsverbot. Fraglich ist, ob sich der öffentliche Auftraggeber gegen ein solches Zuschlagsverbot zur Wehr setzen kann.
§§ 935, 940, 567 ZPO
Leitsatz
„Gegen eine im einstweiligen Verfügungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergangene Zwischenverfügung, mit der zeitlich beschränkt dem Antrag entsprochen wird (hier: keine Zuschlagserteilung vor abschließender erstinstanzlicher Entscheidung), ist eine sofortige Beschwerde nicht statthaft.“
Sachverhalt
Mit Beschluss vom 15.7.2015 hat das LG Heilbronn im Wege einer einstweiligen Zwischenverfügung in einem einstweiligen Verfügungsverfahren dem Verfügungsbeklagten aufgegeben, befristet bis zur Entscheidung auf Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung u.a. die Zuschlagserteilung zu unterlassen. Zugleich hat das LG Heilbronn die mündliche Verhandlung auf den 23.7.2015 terminiert. Gegen das vorläufige Zuschlagsverbot richtete sich die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten. Dieser Beschwerde hat das LG Heilbronn nicht abgeholfen und die sofortige Beschwerde dem OLG Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Die Entscheidung
Das OLG Stuttgart hat die Beschwerde gegen den Beschluss des LG Heilbronn vom 15.7.2015 als unstatthaft verworfen (Rdnr. 2).
Die sofortige Beschwerde findet nach § 567 Abs. 1 ZPO statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Landgerichte, wenn dies (1.) im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder (2.) es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen wird (Rdnr. 3).
Eine Zwischenverfügung ist in dem einstweiligen Verfügungsverfahren nach der ZPO gesetzlich nicht geregelt, sodass auch die Beschwerde für diese Entscheidung nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Die Zwischenverfügung stellt auch keine Entscheidung nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO dar, weil hierdurch ein Gesuch nicht zurückgewiesen wurde (Rdnr. 4).
Die vom LG Heilbronn wegen Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung getroffene Anordnung, in der dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung insoweit stattgegeben wurde, als der Verfügungsbeklagten zeitlich beschränkt eine Auftragsvergabe untersagt wurde, beinhaltet eine vorläufige Regelung und stellt somit eine einstweilige Verfügung nach den §§ 935, 940 ZPO dar (vgl. auch LAG Saarland, Beschluss v. 11.5.2006 – 1 Ta 19/06). Die gerichtliche Anordnung ist nur zeitlich begrenzt bzw. auflösend bedingt und gilt lediglich bis zur erstinstanzlichen Entscheidung, die nach mündlicher Verhandlung ergeht. Selbst wenn der Zwischenverfügung im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht der Charakter einer einstweiligen Verfügung zuerkannt werden würde, könnten die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht weiter reichen als diejenigen, die das Gesetz gegen die einstweilige Verfügung selbst vorsieht (Rdnr. 6).
Eine Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung kann in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung ergehen. In diesem Fall sieht das Gesetz bei einer völligen oder teilweisen Stattgabe des Antragsbegehrens eine Widerspruchsmöglichkeit für den Verfügungsbeklagten vor (§§ 936, 924 ZPO). Der Widerspruch führt dazu, dass das erstinstanzliche Gericht über die Rechtsmäßigkeit der einstweiligen Verfügung durch Endurteil entscheiden muss. Gegen das Endurteil steht wiederum der Rechtsbehelf der Berufung zur Verfügung (Rdnr. 7).
Der Gesetzgeber hat folglich bis zur Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung das Eilverfahren allein der ersten Instanz zugeordnet (vgl. LAG Saarland, Beschluss v. 11.5.2006 – 1 Ta 19/06). Die Zwischenverfügung, die inhaltlich eine vorläufige Regelung auf Zeit darstellt kann daher nicht weiter gehen als die vorläufige Regelung im Beschlusswege nach §§ 922 Abs. 1, 936, 940 ZPO. Eine vorläufige Zwischenverfügung kann deshalb auch nicht mit einer Beschwerde in der zweiten Instanz angegriffen werden (Rdnr. 8). Dies gilt selbst dann, wenn die Belehrung der angefochtenen Entscheidung ein unstatthaftes Rechtsmittel bezeichnet (Rdnr. 9).
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung des OLG Stuttgart ist inhaltlich stringent. Sie entspricht in der Regel den dringlichen Bedürfnissen der Bieter, die eine Zuschlagserteilung effektiv unterbinden müssen, wenn ihr primäres Rechtsschutzbegehren nicht durch die Auftragsvergabe leerlaufen soll. Den Interessen der öffentlichen Auftraggeber ist hierbei dadurch Rechnung zu tragen, dass ein vorläufiges Zuschlagsverbot – wie vorliegend – zugleich mit der zeitnahen Terminierung der mündlichen Verhandlung verbunden werden muss. Andernfalls ist für den betroffenen öffentlichen Auftraggeber die Dauer der zeitlichen Begrenzung des einstweiligen Zuschlagsverbots nicht vorhersehbar und daher eine vorläufige Untersagung der Auftragserteilung unverhältnismäßig.
Praxistipp
Für den Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erscheint es ratsam, bereits mit der Antragsschrift auf eine gerichtliche Zwischenverfügung in Form eines mit Ordnungsmitteln bewehrten vorläufigen Zuschlagsverbotes hinzuwirken. Dadurch kann der Gefahr eines richterlichen „Übersehens“ der regelmäßig in der Praxis notwendigen Zwischenverfügung vorgebeugt werden.
Eine Zuschlagserteilung kann ein Bieter allerdings nicht einstweilig beantragen, weil dies die Hauptsache unzulässigerweise vorwegnehmen würde.
Hinweis der Redaktion
Die Problematik von Unterschwellenvergaben wird während des 2. Deutschen Vergabetags in Berlin im Workshop: “Unterschwellenvergaben – wie geht es weiter nach Umsetzung der EU-Richtlinien?“ diskutiert. Programm und Anmeldung unter www.deutscher-vergabetag.de.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
Sehr informativer Beitrag zum Thema Rechtschutz. Leider hab ich als Laie ohne das nötige Fachvokabular meine Verständigkeitsprobleme und muss noch ein paar Mal drüberlesen…