Hat von mehreren zur Angebotsabgabe aufgeforderten Bietern nur ein Bieter ein Angebot abgegeben, kann die Vergabestelle im Verhandlungsverfahren entweder nur mit diesem Bieter verhandeln oder das Vergabeverfahren aufheben, sofern auf dieser Grundlage kein wirtschaftliches Angebot ermittelt werden kann.
§§ 3 Abs. 1 S. 4, 17 Abs. 1 lit. c) VOL/A, § 101 Abs. 5 GWB
Sachverhalt
Nachdem geklärt ist, dass die Verwaltungsgerichte für die Überprüfung von Vergaben im Unterschwellenbereich nicht zuständig sind, verblieb der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bereich des Zuwendungsrechts immerhin noch ein Betätigungsfeld für eine eigene vergaberechtliche Spruchpraxis erhalten. Zuwendungsbescheide werden häufig unter der Auflage erteilt, dass der private Empfänger, der selbst kein öffentlicher Auftraggeber ist, die Mittel gleichwohl unter Beachtung der Regeln verwendet, die für öffentliche Auftraggeber gelten.
Das Verwaltungsgericht Köln befasste sich mit der Frage, ob ein Zuwendungsbescheid deshalb nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG widerrufen werden durfte, weil der Empfänger der Zuwendung nach Ansicht der Behörde gegen die Auflage verstoßen hatte, bei der Vergabe von Aufträgen für Dienstleistungen die VOL/A anzuwenden. Unter Verwendung der zur Verfügung gestellten Projektmittel erteilte die Klägerin im Wege der freihändigen Vergabe einen Werkvertrag für die Organisation einer Veranstaltung. Von insgesamt drei Dienstleistern, an welche die Klägerin herangetreten war, gab nur ein Bieter ein Angebot ab. Dieser Bieter erhielt den Auftrag. Die Zuwendungsstelle widerrief ihren Bescheid mit der Begründung, dass die Klägerin bei der Vergabe gegen § 3 Abs. 1 Sätze 3 und 4 VOL/A verstoßen habe.
Die Entscheidung
Der Zuwendungsempfänger wehrte sich gegen die Aufhebung des Zuwendungsbereichs mit einer Anfechtungsklage. Das Verwaltungsgericht Köln gab der Klage statt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 3 VOL/A wendet sich der Auftraggeber bei der freihändigen Vergabe an mehrere ausgewählte Unternehmen, um mit einem oder mehreren über die Auftragsbedingungen zu verhandeln. Diese in 2009 neu gefasste Definition stimmt mit der Definition für das Verhandlungsverfahren oberhalb der Schwellenwerte nach §101 Abs.5 GWB überein. § 3 Abs. 1 Satz 4 VOL/A präzisiert den Begriff der mehreren Unternehmen, indem bestimmt wird, dass bei der freihändigen Vergabe grundsätzlich mindestens drei Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden. Nach der Definition der freihändigen Vergabe bzw. des Verhandlungsverfahrens ist zwischen der Auswahl der Teilnehmer und den Verhandlungen mit den ausgewählten Teilnehmern zu trennen. Hierauf stützte sich auch das Verwaltungsgericht Köln. Auf der ersten Stufe habe die Zuwendungsempfängerin drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert. Dass hiervon nur eines ein Angebot abgab, sei der Klägerin nicht zurechenbar und habe sie nicht daran gehindert, auf der zweiten Stufe rechtmäßiger Weise nur mit diesem Unternehmen über sein Angebot zu verhandeln.
Rechtliche Würdigung
Die Begründung, mit der das Verwaltungsgericht Köln der Klage stattgab trifft zu und gibt Gelegenheit, sich einiger Besonderheiten des Verhandlungsverfahrens zu vergewissern. Im Ergebnis ist es durchaus denkbar, dass in einem Verhandlungsverfahren weder Angebote im Wettbewerb zueinander stehen, noch überhaupt über ein oder mehrere Angebote tatsächlich verhandelt wird. Sofern die Vergabestelle das erste Angebot im Verhandlungsverfahren nur als indikatives Angebot abfragt, hat ein Bieter keinen Anspruch darauf, dass die Vergabestelle mit ihm in Verhandlungen eintritt und muss damit rechnen, dass der Zuschlag ohne weiteres erteilt wird. Das setzt allerdings voraus, dass schon mit dem ersten Angebot sämtliche wesentlichen Vertragsbedingungen so festgelegt sind, dass mit dem Zuschlag der Vertrag wirksam zustande kommen kann.
Nachdem im vorliegenden Fall nur ein Angebot einging, hatte der Zuwendungsempfänger nur die Wahl, entweder das laufende Vergabeverfahren mit diesem Bieter fortzuführen oder aber, sollte mit diesem Bieter kein wettbewerblich zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen sein, unter den Voraussetzungen von § 17 Abs. 1 lit. c) VOL/A (entspricht § 20 Abs. 1 lit c) VOL/A-EG), soweit nämlich kein wirtschaftliches Angebot eingeholt werden konnte, das Vergabeverfahren aufzuheben.
Praxistipp
Das Verhandlungsverfahren ist kaum reguliert. Seine Flexibilität führt zwangsläufig zu Einbußen an Transparenz und Rechtssicherheit. Daher sollte die Vergabestelle den Ablauf im Vorhinein sorgfältig strukturieren und die einzelnen Verfahrensschritte dokumentieren. Bieter sollten sich Gewissheit darüber verschaffen, ob nach den Bewerbungsbedingungen das erste Angebot bereits verbindlich ist und ob Verhandlungsrunden vorgesehen sind.
Dr. Frank Roth ist Partner und Rechtsanwalt bei DLA Piper UK LLP in Köln. Er ist auf den Gebieten des Vergaberechts, des öffentlichen Preisrechts und der Streitbeilegung tätig. Er hat sich seit Einführung des Kartellvergaberechts im Jahr 1998 auf die Beratung bei der Vorbereitung von und der Teilnahme an Vergabeverfahren öffentlicher Auftraggeber spezialisiert und verfügt über branchenspezifische Erfahrungen insbesondere auf den Gebieten Energie, Informationstechnologie und Infrastruktur, Food & Healthcare. Einen wichtigen Bestandteil der vergaberechtlichen Beratung bildet die Vertretung in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Auch über diesen Bereich hinaus weist Dr. Frank Roth eine langjährige Erfahrung bei der Vertretung in streitigen Angelegenheiten vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten auf. Dr. Frank Roth veröffentlicht regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen.
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