Re-Verstaatlichungstendenzen in Rheinland-Pfalz? Die Landesregierung hat die Gemeindeordnung dahin gehend geändert, dass die bislang geltende Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 Gemeindeordnung (GemO RLP), wonach die Gemeinde wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern darf, wenn „der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann“, nicht mehr für den Bereich der Energieversorgung, der Wasserversorgung und des öffentlichen Personennahverkehrs gilt.
Die Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO RLP, die der Gemeinde eine wirtschaftliche Betätigung bereits bei Leistungsparität mit einem Dritten untersagt, wurde dahingehend geändert, dass sie nur gilt, wenn sich die Gemeinde außerhalb der zentralen Dienste der Daseinsvorsorge betätigt. Damit, so die Rheinland-Pfälzische Landesregierung, werde für bestimmte Unternehmen, wie z. B. die Strom und Gaswirtschaft, „der zurzeit bestehende Wettbewerbsnachteil der kommunalen Versorgungsunternehmen beseitigt“.
Weiterhin wurde der Gemeinde unter bestimmten Voraussetzungen eine wirtschaftliche Betätigung außerhalb des Gemeindegebiets gestattet, um insbesondere für die kommunalen Energieversorgungsunternehmen die durch das Örtlichkeitsprinzip bestehende Benachteiligung gegenüber der Privatwirtschaft zu beseitigen. Ein entsprechender neuer Absatz 2 wurde in § 85 GemO RLP eingefügt, zudem § 14 a des Zweckverbandsgesetzes dahingehend geändert, dass auch Anstalten im Sinne des § 86 a Abs. 1 GemO Träger einer gemeinsamen kommunalen Anstalt sein können.
Durch die Öffnung der Versorgungsmärkte sei den kommunalen Unternehmen in ihren ehemaligen Monopolbereichen Konkurrenz durch die Privatwirtschaft entstanden, heißt es im Landesgesetz zur Änderung der Gemeindeordnung und des Zweckverbandsgesetzes (Drucksache 15/3032). Um in diesem Wettbewerb mit der Privatwirtschaft bestehen zu können, versuchten kommunale Unternehmen ihre Effizienz zu steigern und erlittene Gewinneinbußen wettzumachen, indem sie anstrebten, größere Märkte zu bedienen, die über das eigene Gemeindegebiet hinausgehen. Einer Effizienzsteigerung stünden jedoch die Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 der GemO RLP sowie das Örtlichkeitsprinzip entgegen. Es handele sich hierbei um gesetzliche Restriktionen, denen die privatwirtschaftlichen Unternehmen nicht unterworfen sind, sodass den kommunalen Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil entstanden sei, so die Landesregierung.
Es mag durchaus sein, dass, wie die Landesregierung sagt, unter dem Druck des Wettbewerbs durch die Öffnung der Versorgungsmärkte die Luft für die kommunalen Unternehmen dünner geworden ist. Aber, war das nicht gerade das Ziel der Liberalisierung? Vor allem jedoch: Soll man auf die veränderte Marktsituation dergestalt reagieren, dass man, wie nun in Rheinland-Pfalz geschehen, eine Existenzberechtigung kommunaler Unternehmen auch für die Fälle einräumt, in denen – um im Wortlaut der Gemeindeordnung zu bleiben – der öffentliche Zweck wirtschaftlicher durch private Anbieter erbracht werden könnte?
Was meinen Sie?
Der neue § 85 Abs. 1 und 2 GemO Rheinland-Pfalz lautet:
(I) Die Gemeinde darf wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern, wenn
- der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt,
- das Unternehmen nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinde und dem voraussichtlichen Bedarf steht und
- bei einem Tätigwerden außerhalb der Energieversorgung, der Wasserversorgung und des öffentlichen Personennahverkehrs der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann.
(II) Die Betätigung eines wirtschaftlichen Unternehmens der Gemeinde außerhalb des Gemeindegebiets ist zulässig, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die berechtigten Interessen aller hiervon unmittelbar Betroffenen Gemeinden gewahrt wird.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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