Die Beschaffung von Standardsoftware durch öffentliche Auftraggeber birgt für diese, ebenso wie für Bieter, diverse Stolperfallen. Um derartige Hindernisse souverän zu bewältigen, hat Dr. Roderic Ortner einen Leitfaden für öffentliche Auftraggeber entworfen, in dem er sich insbesondere mit Lösungen für die zusätzlichen Probleme befasst, die der Erwerb von „gebrauchter” Software mit sich bringt. Dieser Blogbeitrag, der aus zwei Teilen besteht, fasst die wesentlichen Gesichtspunkte des Leitfadens zusammen. Den Leitfaden können Sie über den Vergabeblog hier herunterladen.
Einleitung und Einführung in den Leitfaden
Unsere öffentliche Verwaltung befindet sich im Effizienzmodus. Der Tinte des Geheimen Legationsrats Johann Wolfgang von Goethe sind längst Maus und Tastatur gewichen und mit diesen werden heute Computerprogramme bedient. Möglicherweise wäre der talentierte Herr Goethe sogar ein guter Programmierer geworden. Denn ein Computerprogramm ist „eine Folge von Befehlen, die nach Aufnahme in einen maschinenlesbaren Träger fähig sind zu bewirken, dass eine Maschine mit informationsverarbeitenden Fähigkeiten eine bestimmte Funktion oder Aufgabe oder ein bestimmtes Ergebnis anzeigt, ausführt oder erzielt“ (§ 1 (i) der Mustervorschriften der WIPO). Einfacher ausgedrückt: Ein Computerprogramm ist ein Buch in Computersprache und wie auch ein Buch urheberrechtlich geschützt. Die Reichweite des Schutzes kann freilich durch Gestaltung der Nutzungsrechte (Lizenzbedingungen) eingeschränkt werden. Die Einzelheiten sind freilich komplex, und teilweise umstritten. Der Leitfaden soll hier dem öffentlichen Auftraggeber helfen, Hintergründe zu verstehen und keine Fehler zu machen. Dazu enthält er Praxishinweise und konkrete Formulierungsvorschläge.
Gleichbehandlung von Neusoftware und Gebrauchssoftware
Es gibt allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Buch und Computerprogramm: Während die Konservatoren der Anna Amalia Bibliothek versuchen müssen, den Verfall Goethes Schriften aufzuhalten, bleibt ein Computerprogramm (engl. Software) bestehen. Diese einfache Erkenntnis ist wichtig, da Software weitergereicht werden kann, ohne irgendwann Verschleißerscheinungen aufzuweisen. Insofern ist es bereits vom allgemeinen Sprachgebrauch missverständlich, von „gebrauchter“ Software zu sprechen und aus Beschaffersicht daher auch falsch, gebrauchte Software gegenüber neuer zu diskriminieren. Der Europäische Gerichtshof und ihm folgend der Bundesgerichtshof betonen unlängst die Verkehrsfähigkeit von Software. Hier zeigt sich wieder die Ähnlichkeit zum Buch: Ein einmal erworbenes Buch darf der Eigentümer weiterverkaufen, das muss auch für Software gelten. In der Konsequenz darf „gebrauchte“ (engl. used) Software gegenüber „neuer“ Software auch nicht diskriminiert werden. Dies hat der öffentliche Beschaffer bei der Vorbereitung und Durchführung eines Vergabeverfahrens zu beachten, wenn er sich nicht angreifbar machen will. Der Leitfaden enthält hierzu konkrete Vorschläge.
Leistungsgegenstand und die Leistungsbeschreibung
Unter Standardsoftware ist in Abgrenzung zur Individualsoftware ein Softwareprogramm, Programm-Modul, Tool oder ähnliches zu verstehen, das für die Bedürfnisse einer Mehrzahl von Kunden am Markt und nicht speziell für den Auftraggeber vom Softwarehersteller entwickelt wurde. Aus o.g. Gründen ist es zunächst nicht ratsam, in der Leistungsbeschreibung oder dem Kriterienkatalog anzugeben, dass eine solche Standardsoftware zwingend Neusoftware sein soll. Bei der Leistungsbeschreibung sollten Einkauf, juristische Abteilung und der technische Bedarfsträger eng zusammenwirken, da andernfalls die Gefahr von Widersprüchen zwischen Leistungsbeschreibung und EVB-IT Vertrag besteht. Wie stets bei der Er- und Zusammenstellung der Vergabeunterlagen hat der Auftraggeber zudem darauf zu achten, dass er einen wirksamen Wettbewerb gewährleistet und so möglichst vergleichbare Angebote erhält, die seinen Anforderungen entsprechen. Daher hat eine möglichst präzise und erschöpfende Beschreibung des Leistungsgegenstands in der Leistungsbeschreibung zu erfolgen, was bei komplexen Programmen schier unmöglich zu sein scheint, so dass man sich häufig auf die Angabe eines Leitprodukts beschränkt.
Eignungskriterien
Der öffentliche Auftraggeber prüft, ob das Unternehmen, das sich mit einer bestimmten Standardsoftware am Vergabeverfahren beteiligt, auch die erforderliche Eignung mitbringt. Bei Software geht es hier häufig um bestehende Zertifizierungen durch den Hersteller und, wenn auch Software-Pflege beschafft wird, um den Nachweis, dass solche Pflegeleistungen in der Vergangenheit bei anderen Kunden zu deren Zufriedenheit durchgeführt wurden (was durch Referenzen zu belegen ist). Entscheidend ist letztlich, welches Unternehmen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags nach den festgelegten Vorgaben fähig ist. Diese Kriterien sind zwingend schon in der Bekanntmachung anzugeben. Hat sich der Auftraggeber für einen Erwerb ohne Pflegeleistungen entschieden, sollten die Kriterien auf ein Minimum beschränkt werden, um einen breiten Wettbewerb zu ermöglichen. Zu beachten ist unbedingt, dass das Gesetz die Nachweise bzgl. der beruflichen und technischen Leistungsfähigkeit abschließend aufführt. Daher ist eine Formulierung der Abfrage der Belege möglichst nah am Gesetzeswortlaut empfehlenswert. Auch hierzu gibt der Leitfaden konkrete Vorschläge.
Ankündigung von Teil 2
Im nächsten Teil wird der Autor auf die beizufügenden Vertragsbedingungen (Wahl der richtigen EVB-IT), deren Befüllung sowie auf die Zuschlagskriterien (insb. das Thema „Offenlegung der Rechtekette“) und deren rechte Formulierung eingehen.
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
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