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Verfahrensvorbereitung, Markterkundung und Messebesuch ein weites Feld!? (VK Bund, Beschl. v. 08.08.2016 – VK 2-39/16)

EntscheidungEin probates Mittel zur Erkundung des relevanten Bietermarktes für den in Rede stehenden Vergabegegenstand ist der Besuch einer Fachmesse. Hier kann der Auftraggeber mit diversen Unternehmen zur Vorbereitung der Vergabe Gespräche führen oder weitere Termine vereinbaren. Potentielle Bieter haben allerdings keinen Anspruch darauf, dass der Auftraggeber auch mit ihnen Gespräche führt. Der Auftraggeber kann sich auf einige, wenige Gesprächsteilnehmer beschränken.

§§ 28 Abs. 1 VgV (2016), 2 EU Abs. 7 Satz 1 VOB/A (2016)

Sachverhalt

Zur Vorbereitung einer Vergabe zur Beschaffung flammhemmender Funktionswäsche besucht die öffentliche Auftraggeberin und Antragsgegnerin (Ag) zwecks Markterkundung eine Fachmesse. Die Ergebnisse der dort geführten Gespräche mit Unternehmen der Faserherstellungsbranche hält die Ag in einem Ergebnisprotokoll fest. Auf dieser Grundlage leitet die Ag eine Vergabe in Gestalt eines Offenen Verfahrens ein. Im Verlauf des Vergabeverfahrens passt die Ag die Leistungsbeschreibung zu Zwecken der Aktualisierung mehrfach an.

Die Antragstellerin (ASt) gab im Ergebnis kein Angebot ab. Stattdessen rügte sie das Vorgehen der Ag, weil sie der Auffassung ist,

es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit derzeit technisch nicht möglich, alle Anforderungen der Leistungsbeschreibung einzuhalten. [] Da kein sachlicher Grund ersichtlich sei, der eine solche Einengung des Bieterfeldes gegenüber der letztjährigen und der vorangegangenen Ausschreibung rechtfertigen könne, seien das Gebot der Produktneutralität sowie die Grundsätze der Wettbewerbsoffenheit und der Nichtdiskriminierung verletzt. Es sei zu befürchten, dass die Leistungsbeschreibung auf die Produkte von maximal zwei Anbietern zugeschnitten worden sei. Der Messebesuch [] stelle keine hinreichende Markterkundung dar, da die Gespräche offenbar ausschließlich mit Firmenvertretern der Faserherstellerbranche geführt worden seien, []. Das Vorgehen der Ag sei offensichtlich von vornherein darauf ausgelegt worden, den Beschaffungsbedarf und die Leistungsbeschreibung in Abstimmung mit bestimmten Anbietern und den von diesen verwendeten Lösungsansätzen zu konzipieren, mit denen im Vorfeld Gespräche geführt worden seien. Die Ag wies die Rüge zurück, woraufhin die ASt einen Nachprüfungsantrag stellte.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag in Gestalt eines Feststellungsantrags ist zwar zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer betont zunächst, dass die Umstellung des Antrags auf Feststellung einer Rechtsverletzung nach erfolgter Aufhebung der Vergabe durch den Ag zulässig ist. Hierfür bedarf es eines gesonderten Feststellungsinteresses, das sich durch jedes gemäß vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art rechtfertigt, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern. Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Feststellungsinteresse der ASt hier wegen einer Wiederholungsgefahr zu bejahen. Denn die Ag hat nicht etwa ihre Beschaffungsabsicht zur Gänze aufgegeben, sondern die Aufhebung erfolgte, weil kein wertbares Angebot einging. Es kann daher folglich davon ausgegangen werden, dass es ein erneutes Vergabeverfahren mit überarbeiteten Vergabeunterlagen geben wird. Wiederholungsgefahr ist mithin anzunehmen.

Im Hinblick auf die Unbegründetheit führt die Vergabekammer im Wesentlichen Folgendes aus:

Was die neuen, im Vergleich zur Vorgängerausschreibung geänderten Vorgaben der Leistungsbeschreibung anbelangt, so ist nicht gänzlich auszuschließen, dass diese angesichts des Wettbewerbsergebnisses kein Angebot war ausschreibungskonform Defizite aufwiesen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Vorgaben in der Summe, also in einer Zusammenschau aller Parameter der Leistungsbeschreibung, nicht erfüllbar sind, paradox sind und damit nicht vergaberechtskonform sind. Eine Unerfüllbarkeit ergibt sich aber schon aus dem eigenen Vortrag der ASt nicht, denn sie trägt vor, dass es nur einige wenige Unternehmen geben dürfte, welche die Vorgaben in Summe erfüllen könnten. Damit macht die ASt deutlich, dass auch ihrer Auffassung nach die Erfüllbarkeit aller Parameter gegeben ist, wenn auch nur durch wenige Marktteilnehmer. Wenn aber die Vorgaben erfüllbar sind, dann sind die Vorgaben nicht vergaberechtswidrig.

Schließlich verpflichtete der Messebesuch der Ag diese nicht, mit allen anwesenden Unternehmen zu sprechen; dies wäre je nach Größe der Messe in der Praxis wohl auch kaum machbar. Ein Messebesuch als solcher ist ein probates Mittel zur Informationsbeschaffung für die Vorbereitung eines Vergabeverfahrens. Im Übrigen hat die Ag auf der Messe ausschließlich mit Faserherstellern gesprochen. Im Unterlassen einer die ASt einbeziehenden Markterkundung liegt keine vergaberechtlich relevante Ungleichbehandlung der ASt.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung, die noch zum alten Recht ergangen ist, ist im Ergebnis zuzustimmen. Eine unzulässige Produktvorgabe gemäß §§ 31 Abs. 6 VgV, 7 EU Abs. 2 VOB/A in Gestalt einer zugeschnittenen Leistungsbeschreibung liegt nicht immer bereits dann vor, wenn nach der Leistungsbeschreibung nur wenige Unternehmer für die Leistung in Betracht kommen. Es müssen weitere, wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen hinzukommen. Ebenso ist es vergaberechtlich unschädlich, wenn nur wenige Unternehmen auf dem relevanten Markt eine nachgefragte Leistung anbieten können. Sofern nicht objektiv feststeht, dass es überhaupt keinen potentiellen Bieter gibt, ist von der Erfüllbarkeit der Vorgaben und damit deren Vergaberechtskonformität auszugehen. Dieses Ergebnis ist in Anbetracht des nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (sehr weiten) Verständnisses des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers konsequent und folgerichtig. Gleichwohl bleibt ein fader Beigeschmack, da der Ag vorliegend offenbar große Probleme hat, die Leistung so (vollständig und erschöpfend) zu beschreiben, dass Unternehmen bereit und in der Lage sind, zuschlagsfähige Angebote abzugeben. Offenkundig werden die Anforderungen vorliegend ungeachtet der Marktkenntnis von dem Ag überspannt.

Dass sich öffentliche Auftraggeber zur Verfahrensvorbereitung einer Vielzahl von Erkenntnisquellen bedienen können, stellt die Vergabekammer anhand des Messebesuchs sehr deutlich heraus. Da es hier sowohl auf Seiten der Berater, als auch auf Seiten der Auftraggeber immer wieder Stimmen gibt, die hier unter dem Stichwort Compliance sehr restriktive Verhaltensweisen anmahnen (z.B. kein Kontakt im Vorfeld der Vergabe zu potentiellen Bietern, keine bieterbezogene Recherche zum potentiellen Beschaffungsbedarf), ist die Entscheidung der Vergabekammer an diesem Punkt zu begrüßen. Sie liegt zudem auf einer Linie mit der Neuregelung in § 28 Abs. 1 VgV (ähnlich § 2 EU Abs. 7 Satz 1 VOB/A). Danach darf der Auftraggeber vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens Markterkundungen zur Vorbereitung der Auftragsvergabe und zur Unterrichtung der Unternehmen über seine Auftragsvergabepläne und -anforderungen durchführen.

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Praxistipp

Bei der Abfassung der Leistungsbeschreibung sollten Auftraggeber den relevanten Bietermarkt im Auge haben und im Zweifel von zu strengen und wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben Abstand nehmen. Hier ist ein sachgerechter Ausgleich zum Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (so eindeutig und erschöpfend wie möglich, § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB) nach §§ 121 Abs. 1 GWB, 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A zu finden. Das Know-how zur Abfassung einer ordnungsgemäßen Leistungsbeschreibung können (und dürfen!) sich Auftraggeber auf vielfältige Weise selber aneignen. Der Messebesuch gehört ebenso dazu, wie das Gespräch mit potentiellen Bietern im Vorfeld der Vergabe (sei es beim Rundgang auf der Messe, sei es bei individuell vereinbarten Terminen zur Vorstellung von Produkten, Lösungsansätzen etc.). Dabei gilt es die Spielregeln einzuhalten: (a) Informationsbeschaffung ist zulässig, eine bieterbezogene (technische) Lösung auszuschreiben dagegen nicht; (b) Termine/Gespräche mit Bietern möglichst immer zu zweit wahrnehmen/führen; (c) Über wesentliche Kontakte sollte wenigstens stichwortartig Protokoll geführt werden, so dass die Gesprächsinhalte später in der Vergabeakte nachvollzogen werden können.

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Über Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG

Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.

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