Fraglich ist, ob innerhalb eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb die Abgabe mehrerer Hauptangebote vom Auftraggeber zugelassen werden muss. Die VK Bund verneint dies in einer Entscheidung eines etwas ungewöhnlichen Falles.
Leitsätze
1. Im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb muss der Auftraggeber die Abgabe mehrerer Hauptangebote nicht zulassen.
2. Der Auftraggeber hat Informationen zum Vergabeverfahren, die Einfluss auf die Angebotserstellung und damit den Wettbewerb haben, allen Bietern – möglichst gleichzeitig – zur Verfügung zu stellen.
3. Vergaberechtsverstöße, die dem Antragsteller erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens zur Kenntnis gebracht werden, müssen nicht gesondert gerügt, sondern lediglich – zeitnah – im Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden.
§§ 97 Abs. 1, 2 GWB; §§ 3 b Abs. 3 Nr. 6 EU VOB/A; § 17 Abs. 10 VgV
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Anmietung eines Bürogebäudes im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Dabei hatte er es den Bietern freigestellt, die geforderten Mietflächen durch ein vorhandenes Bestandsgebäude, durch Anpassung eines sich bereits in Bau befindlichen Gebäudes oder einen völligen Neubau bereitzustellen. Nach mehreren Verhandlungen und darauf geplanter Zuschlagserteilung kam es zu einem längerdauernden Nachprüfungsverfahren durch zwei Instanzen. Um weitere Verzögerungen zu verhindern, einigten sich der AG und die beiden verbleibenden Bieter A und B auf einen Vergleich. Danach setzte der AG das Verfahren in den Stand vor abschließender Angebotsabgabe zurück und forderte die beiden Bieter auf, ihre Angebote letztverbindlich zu erneuern. A rügte daraufhin verschiedene Punkte und fragte, ob die Abgabe mehrerer Hauptangebote zugelassen sei. Der AG bejahte dies, sofern sich diese in technischer Hinsicht unterscheiden würden, z.B. Bestandsgebäude und Neubau. Dies rügte wiederum B als unzulässig, da der Vergleich völlig neue Hauptangebote gerade nicht vorsehe. Dieser Rüge half der AG ab und machte deutlich, dass mit dem letzten verbindlichen Angebot kein gänzlich neues Hauptangebot, das bisher nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen sei, abgegeben werden könne. Darauf rügte Bieter A, dass der AG die Zulassung mehrerer Hauptangebote wieder zurückgenommen habe. Nachdem der AG dieser Rüge nicht abhalf, beantragte A Nachprüfung u.a. mit dem Argument, dass die Erweiterung des Wettbewerbs durch Zulassung mehrerer Hauptangebote nicht rückgängig gemacht werden könne.
Die Entscheidung
Die VK Bund gibt dem AG Recht. Vergaberechtlich ist es nicht zu beanstanden, dass es der AG letztlich nicht zugelassen hat, ein Bieter könne mehrere Hauptangebote abgeben. Eine Zulassung von mehreren Hauptangeboten hätte im vorliegenden Vergabeverfahren bedeutet, dass auch gänzlich neue – bisher unverhandelte – Angebote hätten eingereicht werden können. Dies hätte im vorliegenden Fall aber ebenso gegen die vom AG für das Vergabeverfahren bekanntgegebenen Vergabebedingungen wie auch den Vergleich, den die Verfahrensbeteiligten geschlossen hätten, verstoßen. Die Entscheidung des AG, keine neuen Hauptangebote zuzulassen, ist daher vergaberechtskonform.
Rechtliche Würdigung
Wie die VK weiter ausführt, können zwar Vergabeunterlagen grundsätzlich auch noch während des laufenden Vergabeverfahrens vom Auftraggeber geändert werden, soweit dies transparent und diskriminierungsfrei gegenüber allen Bietern geschieht. Im vorliegenden Fall bestehen jedoch folgende Besonderheiten: So ist bereits zu Beginn der Angebotsphase der Ablauf des Verhandlungsverfahrens in seinen einzelnen Phasen (Angebote und Verhandlungsrunden) genau beschrieben worden, worauf sich die Bieter eingestellt hatten. Zudem gehört es zum Wesen des vorliegend vorgegebenen Verfahrensablaufs, dass die zunächst indikativen und später verbindlichen Angebote verhandelt und auf die Bedürfnisse des AG angepasst werden; gänzlich neue Angebote waren demgegenüber nicht entsprechend verhandelt worden, so dass diese mit den verhandelten Angeboten als nicht ohne Weiteres vergleichbar angesehen werden konnten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier nach dem Vergleich – nur noch die letzte Angebotsrunde wiederholt werden soll und damit weitere Verhandlungen ausgeschlossen sind. Denn dem Vergleich selbst, auf den sich die Verfahrensbeteiligten verbindlich geeinigt haben, ist unzweifelhaft zu entnehmen, dass die bereits vorliegenden Angebote des A und B nur noch einmal überarbeitet werden durften, und zwar zur Abgabe eines letzten verbindlichen Angebots. Indem zudem von „letztverbindlichen Angeboten“ und „letztgültigen Vergabeunterlagen“ sowie dem „Stand vor abschließender Angebotsabgabe“ die Rede ist, wird ausdrücklich klargestellt, dass weitere Angebotsrunden und Verhandlungen nicht mehr vorgesehen sind. Die Verwendung des Begriffs „erneuern“ macht dabei deutlich, dass Ausgangspunkt für die letzte Angebotsabgabe das bisherige (verhandelte) Angebot sein soll, das erneuert, d.h. überarbeitet werden darf.
A macht des weiteren geltend, dass dem B Bieterfragen beantwortet worden sind, ohne dass auch er Kenntnis davon erlangt hat. Richtig ist, dass es aufgrund des Transparenzgebots und des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) seitens des Auftraggebers geboten ist, Informationen zum Vergabeverfahren allen Bietern – möglichst gleichzeitig – zur Verfügung zu stellen. Dies ist vorliegend weder durchgängig bei der Beantwortung von Bieterfragen des B noch von Bieterfragen des A erfolgt. Die VK hat jedoch im Ergebnis festgestellt, dass dem A keine Informationen vorenthalten worden sind, die für das vorliegende Vergabeverfahren von entscheidender Bedeutung sind; insbesondere hat es sich nicht um Informationen gehandelt, die einen Einfluss auf die Angebotserstellung und damit den Wettbewerb gehabt hatten. Nicht zu beanstanden ist, dass A seiner Rügeobliegenheit nicht nachgekommen ist. Soweit er nämlich Vergaberechtsverstöße in Bezug auf die Angebotswertung geltend macht, die ihm erst nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens zur Kenntnis gebracht worden sind, hat er die entsprechenden Verstöße nicht gesondert rügen, sondern lediglich – zeitnah – im Nachprüfungsverfahren geltend machen müssen; eine Rüge ist insoweit entbehrlich.
Praxistipp
Wie die Entscheidung zeigt, ist ein öffentlicher Auftraggeber im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens in der konkreten Gestaltung der einzelnen Verhandlungsrunden zwar relativ frei, hat aber dabei sowohl die vergaberechtlichen Grundsätze (Transparenz, Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung) als auch die von ihm selbst aufgestellten und bekannt gemachten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien zwingend zu beachten. Ebenfalls ist es ihm auch im Verhandlungsverfahren untersagt, über die letztverbindlichen und endgültigen Angebote erneut zu verhandeln (siehe § 3b Abs. 3 Nr. 6 EU VOB/A; §17 Abs. 10 VgV).
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Michael Werner ist Rechtsanwalt und bei der DEGES GmbH in Berlin tätig. Herr Werner ist Experte im deutschen und europäischen Vergaberecht sowie im Bauvertragsrecht. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war Herr Werner langjähriger Leiter der Rechtsabteilung des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie e.V. und Mitglied im Deutschen Vergabe - und Vertragsausschuss des Bundes (DVA).
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