Macht der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen eignungsrelevante Vorgaben, die einen differenzierten Arbeits- und Personalaufwand bedingen, hat er diese von ihm selbst aufgestellten Bedingungen auch im Rahmen der Eignungsprüfung zu beachten.
GWB § 122 Abs. 1
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren einen Auftrag zur Instandhaltung von Stahltragpfählen in zwei Losen aus. 50% der zu erbringenden Leistungen bildeten Unterwasserschweißarbeiten. Für beide Lose waren je zwei feste Fertigstellungsfristen vorgegeben (Los 1: 15. Dezember 2018 und 30. November 2019; Los 2: 15. Dezember 2018 und 31. Oktober 2019). Für die beiden Bauabschnitte waren damit in beiden Losen jeweils unterschiedliche maximale Umsetzungszeiträume vorgesehen. Der Personaleinsatz und die Anzahl der Tauchergruppen waren von den Bietern ausweislich der Vergabeunterlagen entsprechend den Fertigstellungsterminen einzuplanen. Für das eingesetzte Personal waren auf Verlangen Befähigungsnachweise und weitere Unterlagen einzureichen.
Die Antragstellerin und die Beigeladene gaben Angebote für beide Lose ab. Der Auftraggeber beabsichtigte, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, da sie das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hätte. Die Antragstellerin wandte sich dagegen mit einer Rüge. Sie machte u.a. geltend, die Beigeladene sei nicht geeignet, da sie nicht in der Lage sei, den Auftrag innerhalb der vorgegebenen Zeit zu erfüllen. So verfüge sie nicht über hinreichend Taucherpersonal.
Der Auftraggeber war jedoch der Meinung, die Eignung ordnungsgemäß geprüft und festgestellt zu haben. Aus dem die Eignungsprüfung dokumentierenden Vergabevermerk ist ersichtlich, dass der Auftraggeber bei der Beigeladenen für Los 1 eine Umsetzungsdauer von insgesamt 83 Wochen unterstellt hat. Dies entspricht der Summe der maximalen Ausführungszeiträume aus den beiden Bauabschnitten. Darüber hinaus brachte der Auftraggeber eine Wochenarbeitszeit von zehn Arbeitsstunden pro Tag und fünf Arbeitstagen in Ansatz und unterstellte, dass 15% der von der Beigeladenen kalkulierten Arbeitsstunden nicht durch Tauchergruppen verbraucht würden. Auf dieser Basis gelangte der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass die Beigeladene mit der geplanten Personalmenge die maximale Umsetzungsdauer von 83 Wochen unterschreiten würde und auch im Übrigen eine ordnungsgemäße Auftragsdurchführung zu erwarten sei. In Bezug auf Los 2 galt Entsprechendes. Dagegen rief die Antragstellerin die zuständige Vergabekammer an.
Die Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag hatte insoweit Erfolg! Die VK Bund stellte fest, dass dem Auftraggeber im Rahmen der Prüfung der Leistungsfähigkeit der Beigeladenen mehrere Beurteilungs- und Prognosefehler unterlaufen sind. Statt bei der Berücksichtigung des angebotenen Personaleinsatzes nach den einzelnen Bauabschnitten zu differenzieren und die jeweiligen Ausführungszeiträume isoliert zu betrachten, stelle der Auftraggeber pro Los pauschal auf die gesamte Bauzeit ab. Durch diese pauschalierende Betrachtungsweise missachte der Auftraggeber die von ihm selbst aufgestellten eignungsrelevanten Vorgaben. Die Fertigstellungstermine würden gerade einen differenzierten Arbeits- und Personalaufwand bei beiden Bauabschnitten erfordern.
Ferner enthalte der Vergabevermerk keine schlüssige Begründung, warum der Auftraggeber davon ausgehe, dass ausgerechnet 15% der von der Beigeladenen kalkulierten Stunden nicht durch Tauchergruppen verbraucht würden. Der Auftraggeber habe den genauen Anteil von Arbeiten, die nicht durch Taucher erbracht werden sollen, nicht selbst ermittelt.
Auch die unterstellte Arbeitszeit von zehn Arbeitsstunden pro Tag bei fünf Arbeitstagen sei unsachgemäß. Denn der Auftraggeber habe nicht überprüft, ob dieser Arbeitszeitansatz mit § 3 ArbZG in Einklang zu bringen sei. Danach betrage die regelmäßige Arbeitszeit nämlich acht Stunden pro Werktag. Ausnahmen hiervon seien nur unter besonderen Voraussetzungen möglich.
Schließlich habe der Auftraggeber auch nicht berücksichtigt, dass die von der Beigeladenen für die Auftragsdurchführung eingeplanten Taucher während der Bauzeit krankheits- oder urlaubsbedingt ausfallen können. Zwar dürfe der Auftraggeber in der Regel davon ausgehen, dass die Bieter solche Ausfälle bei ihrer Personalplanung berücksichtigt haben. Anders liege der Fall aber dann, wenn es wie hier für die termingerechte Umsetzung einer spezifischen Baumaßnahme essentiell ist, dass die einzusetzenden Taucher regelmäßig einsatzbereit sind. In so einem Fall dürfe der Auftraggeber diesen Punkt im Rahmen der Eignungsprüfung nicht unberücksichtigt lassen, sondern müsse vielmehr selbst (ggf. im Wege der Aufklärung) ermitteln, ob die Personalplanung des Bieters die fristgerechte Umsetzung realistischerweise erwarten lässt.
Rechtliche Würdigung
Die Grenzen des dem Auftraggeber bei der Eignungsprüfung zustehenden Beurteilungsspielraums wurden bereits in mehreren Entscheidungen der Vergabekammern und Vergabesenate thematisiert. So ist zwar geklärt, dass der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers grundsätzlich weit ist. Gleichwohl bedeutet weit keineswegs grenzenlos: Der Auftraggeber darf die von ihm selbst aufgestellten Kriterien nicht missachten und darf keine sachwidrigen Erwägungen anstellen.
Die Entscheidung der VK Bund baut darauf auf. Die VK Bund setzt sich dabei äußert detailliert mit den im Vergabevermerk dokumentierten Erwägungen des Auftraggebers zur Eignungsprüfung auseinander, was zu begrüßen ist. Denn schließlich normiert § 122 GWB nicht nur eine generelle Pflicht des Auftraggebers zur Eignungsprüfung, sondern gerade auch eine Pflicht zur auftragsbezogenen Eignungsprüfung. Bei der Eignungsprüfung geht es darum, festzustellen, ob der Bieter seine vertraglichen Verpflichtungen aus dem konkret in Rede stehenden Auftrag voraussichtlich ordnungsgemäß erfüllen wird. Daher ist richtigerweise zu fordern, dass der Auftraggeber die von ihm selbst vorgegebenen fixen Fertigstellungszeiträume sowie sonstige spezifische Vorgaben entsprechend würdigt.
Praxistipp
Der Inhalt des konkreten Auftrags gibt vor, wie die Eignungsprüfung auszusehen hat. Je spezifischer die Anforderungen des ausgeschriebenen Auftrags sind, desto detaillierter muss der Auftraggeber diese bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit berücksichtigen. Es liegt im eigenen Interesse der Auftraggeber, zumindest ihre wesentlichen Erwägungen, die sie im Rahmen der Eignungsprüfung anstellen, nachvollziehbar zu dokumentieren. Wie die vorliegende Entscheidung zeigt, müssen die dokumentierten Erwägungen eine differenzierte auftragsbezogene Herangehensweise erkennen lassen und dürfen sich nicht in Widerspruch zu den vom Auftraggeber selbst aufgestellten eignungsrelevanten Kriterien setzen. Übergangene Bieter, die einen Nachprüfungsantrag stellen, sollten ihrerseits stets sehr sorgfältig die Unterlagen aus der Akteneinsicht in der Vergabeakte studieren. Hierbei lassen sich etwaige Anknüpfungspunkte für eine fehlerhafte oder unvollständige Beurteilung durch den Auftraggeber finden und in ein Nachprüfungsverfahren einbringen.
Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.
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