Am 28. Februar hat der Generalanwalt beim EuGH dem Gericht empfohlen, die Regelungen der HOAI zu zwingenden Mindest- und Höchstsätzen für europarechtswidrig zu erklären. Es ist zu erwarten, dass der EuGH der Empfehlung des Generalanwalts folgt. Eine solche Entscheidung wird auch vergaberechtliche Folgen haben.
§§ 1, 3, 7 HOAI 2013, Art. 15 Abs. 2 Richtlinie 2006/123/EG, Art. 49 AEUV, § 127 Abs. 2 GWB, § 76 Abs. 1 S. 2 VgV
Leitsatz
Der Europäische Gerichtshof sollte erklären, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Europarecht verstoßen hat, indem sie Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren durch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure zwingenden Mindest- und Höchstsätzen unterworfen hat.
Sachverhalt
Die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure in der Fassung von 2013 (HOAI 2013) enthält in §§ 1, 3 verbindliche Honorarregelungen für in Deutschland ausgeführte Grundleistungen der Flächen-, Objekt- und Fachplanung, die von Architekten und Ingenieuren mit Sitz in Deutschland erbracht werden. § 7 trifft Regelungen zu Höchst- und Mindestsätzen, die nur in besonderen Ausnahmefällen unter- bzw. überschritten werden dürfen.
Gegen diese Regelungen wandte sich die Europäische Kommission bereits im Jahr 2015 () und erhob schließlich eine Vertragsverletzungsklage zum EuGH (). Nach Auffassung der Kommission hindert das System der Mindest- und Höchsthonorare der HOAI neue Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten am Marktzugang. Zur Begründung verweist die Kommission zunächst darauf, dass es für ausländische Dienstleistungserbringer ohne Sitz im Inland generell schwerer sei, Kunden zu gewinnen. Dieser Nachteil werde nun dadurch verschärft, dass es ihnen durch die Regelungen der HOAI verwehrt sei, ihre Leistungen zu Preisen unter den festgelegten Mindesttarifen bzw. höherwertige Leistungen zu Preisen über den Höchsttarifen anzubieten.
Die Bundesrepublik insoweit durch nationale und europäische Verbände unterstützt berief sich im Wesentlichen darauf, dass die Regelungen zu Höchst- und Mindestsätzen bei Planungsleistungen erforderlich seien, um das bei diesen Leistungen erforderliche und im öffentlichen Interesse stehende hohe Qualitätsniveau zu gewährleisten. Zudem verweist sie auf die in der HOAI geregelten Ausnahmemöglichkeiten.
Die Entscheidung
Der Generalanwalt Maciej Szpunar stellt sich nun in seinem Schlussantrag auf Seiten der Kommission und empfiehlt dem EuGH, die in der HOAI geregelten Mindest- und Höchstsätze für europarechtswidrig zu erklären. Er sieht in den beanstandeten HOAI-Regelungen eine gem. Art. 15 Abs. 2 g der RL 2006/13 (Europäische Dienstleistungsrichtlinie) unzulässige Beschränkung. Die Regelungen stellten einen Eingriff in die Privatautonomie dar, der die Möglichkeit der Unternehmen, über den Preis zu konkurrieren, beeinträchtigt und die Niederlassungsfreiheit beschränkt. An dieser Beschränkung würden auch die eng gefassten Ausnahmeregelungen der HOAI nichts ändern. Aus seiner Sicht ist es der Bundesrepublik Deutschland schließlich auch nicht gelungen, nachzuweisen, dass die HOAI-Regelungen zu Mindest- und Höchstsätzen geeignet und erforderlich sind, um wie von der Bundesrepublik Deutschland angeführt das hohe Qualitätsniveau bei Planungsleistungen zu gewährleisten.
Ergänzend weist er zudem darauf hin, dass der maßgebliche Art. 15 der Richtlinie 2006/123 nach der Rechtsprechung des EuGHs unmittelbar anwendbar ist und den Mitgliedstaaten von Einzelpersonen entgegengehalten werden kann.
Rechtliche Würdigung
Der Schlussantrag des Generalanwalts Szpunar hat noch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland. Derartige Rechtsfolgen ergäben sich erst aus einer Entscheidung des EuGHs. Hiermit ist, dem Vernehmen nach, im 2. oder 3. Quartal 2019 zu rechnen. In aller Regel folgt der EuGH aber den Schlussanträgen des Generalanwalts.
(1) Inhalt und Rechtsfolgen einer dem Generalanwalt folgenden EuGH-Entscheidung
Folgt der EuGH erwartungsgemäß dem vorbeschriebenen Schlussantrag, so wäre damit nicht unmittelbar eine Aufhebung oder Änderung der kritisierten Vorschriften der HOAI verbunden. Der EuGH würde vielmehr gem. Art. 260 AEUV lediglich feststellen, dass Deutschland mit den Regelungen der §§ 1, 3, 7 HOAI gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat und daher innerhalb einer vom EuGH vorgegebenen Frist geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um diesen Rechtsverstoß abzustellen. Dies bedeutet zweierlei:
Bleibt also bis zum Tätigwerden des nationalen Verordnungsgebers alles beim Alten? So einfach ist es leider nicht. Nicht zu Unrecht weist der Generalanwalt auf die unmittelbare Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie hin, die es jedem Planer ermöglicht, sich völlig unabhängig von der Entscheidung des EuGHs direkt auf Art. 15 der RL 2006/123/EG zu berufen. In einer gerichtlichen Auseinandersetzung würde dies ggf. zu einer Aussetzung des Verfahrens und einer Vorlage an den EuGH führen (so z.B. LG Dresden, Beschluss vom 08.02.2018 6 O 1751/15 anhängig EuGH C-137/18; anders zuvor OLG Naumburg, Urt. v. 13.04.2017 1 U 48/11).
(2) Relevanz für Planervergaben
Da die HOAI zwingendes Preisrecht enthält, ist sie derzeit noch stets Grundlage entsprechender Ausschreibungen. D.h. sowohl den Verträgen als auch den Preisblättern wird die HOAI zugrunde gelegt. Umstritten ist, ob die Auftraggeber zwingend die Honorarzonen der HOAI festlegen müssen (). Anerkannt ist aber jedenfalls, dass die Mindest- und Höchstsätze der HOAI einzuhalten und Angebote, die hiergegen verstoßen, regelmäßig auszuschließen sind.
Auch in § 127 Abs. 2 GWB und § 76 Abs. 1 VgV finden diese Reglementierungen des Preiswettbewerbs ihren Niederschlag. Danach sind verbindliche Vorschriften zur Preisgestaltung bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots zu beachten bzw. Architekten- und Ingenieurleistungen im Leistungswettbewerb zu vergeben und der Preis bei Anwendbarkeit der HOAI nur im dort vorgeschriebenen Rahmen zu berücksichtigen.
Praxistipp
Sollte die für Deutschland zu erwartende negative Entscheidung des EuGHs kommen, so gilt folgendes:
Unserer Einschätzung nach wird das stets heraufbeschworene Risiko von massiven Qualitätseinbußen durch Auftragsvergaben zu Discount-Preisen schon allein dadurch vermieden, dass § 76 VgV bei Planervergaben weiterhin den Schwerpunkt auf den Leistungswettbewerb legt. Auch ohne HOAI-Mindest- und Höchstsätze lassen sich die Auswirkungen eines Preiswettkampfs daher über eine entsprechend geringe Gewichtung des Preismerkmals (z.B. 30 %) abfedern.
Auch könnte überlegt werden, inwiefern Elemente eines Qualitätswettbewerbs mit Festpreisen (§ 58 Abs. 2 Nr. 3 VgV) genutzt werden können.
Da eine etwaige Entscheidung des EuGHs nur Höchst- und Mindestsätze beträfe, könnten Auftraggeber zudem ansonsten weiter auf das System der HOAI zurückgreifen. Dies gilt insbesondere auch für die Beschreibung der Leistungsphasen und Grundleistungen, die regelmäßig der Vertrags- und Preisblattgestaltung zugrunde liegt.
Schließlich könnten Auftraggeber die Mindestsätze der HOAI ggf. im Einzelfall bis auf weiteres auch künftig als Aufgreif-Werte der gem. § 60 VgV durchzuführenden Auskömmlichkeitsprüfung heranziehen. Hier wäre die Marktentwicklung zu beobachten.
Vorsicht wird aber spätestens ab einer Entscheidung des EuGHs bei zwingenden Mindest- und Höchstsatzvorgaben in den Vergabeunterlagen sowie bei Angebotsausschlüssen, die auf Abweichungen von den entsprechenden HOAI-Vorgaben gestützt werden, geboten sein. Hier ist mit verstärkten Auseinandersetzungen mit Bietern zu rechnen. Zu hoffen ist, dass dann Bund und Länder – wie nach der EuGH-Entscheidung zum vergabespezifischen Mindestlohn – Rundschreiben zur europarechtskonformen Auslegung der HOAI und zum Umgang mit den HOAI-Sätzen in Vergabeverfahren versenden würden, um Unsicherheiten auf Auftraggeber-Seite bis zur Umsetzung der EuGH-Entscheidung auf Verordnungsebene zu vermeiden.
Bietern kann trotz der für sie im Einzelfall vielleicht positiven Entscheidung des EuGHs nicht empfohlen werden, nunmehr (ohne vorherige vergaberechtliche Rüge) in der Hoffnung auf eine künftige Änderung der HOAI ohne Vorliegen der entsprechenden Ausnahmen von den Höchst- und Mindestsätzen abweichende Preise anzubieten. Denn zum einen ist unklar, wie sich die öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen positionieren werden. Zum anderen könnten jedenfalls Preise, die die Mindestsätze unterschreiten, im Einzelfall auch als unauskömmlich angesehen werden.
Anmerkung der Redaktion
Veranstaltungshinweis: Am 21. März findet der 3. Bau-Vergabetag in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Berliner Gendarmenmarkt statt. Mit den aktuellen Entwicklungen zur HOAI wird sich auch die Podiumsdiskussion unter dem Titel „Zur Zukunft der VOB/A und HOAI – Aktuelle Herausforderungen öffentlicher Bau- und Planungsvergaben“ befassen.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Puppel verfasst.
Henner M. Puppel ist seit 2004 bei Luther beschäftigt und leitet den Bereich Public Private Partnership. Er berät schwerpunktmäßig Wirtschaftsunternehmen und die öffentliche Hand in der ganzheitlichen Strukturierung und Durchführung von Projektentwicklungen und komplexen Bauvorhaben. Hierzu zählt die Realisierung als Public Private Partnership (ÖPP/PPP) sowie in anderen öffentlichen Beschaffungsvorhaben (u.a. drittvorfinanzierte Bauvorhaben und Grundstücksveräußerungen mit Bauverpflichtung) und allen damit verbundenen Fragen des Vergabe- und Vertragsrechts. Zu den Beratungsfeldern zählt ebenfalls die baubegleitende Rechtsberatung im Rahmen des Umsetzungscontrollings von Bauvorhaben sowie die Vertragsgestaltung und -verhandlung im Bereich des Anlagenbaus (Kraftwerksbau, erneuerbare Energien sowie Industrieanlagen).
Dr. Rut Herten-Koch berät sowohl die öffentliche Hand und ihre Unternehmen als auch private Eigentümer, Investoren, Projektentwickler und Bieter in Vergabeverfahren. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Begleitung und Gestaltung komplexer Verfahren – sei es im Bauplanungs- oder im Vergaberecht. Darüber hinaus vertritt Rut Herten-Koch ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen und den Verwaltungsgerichten. Seit 2002 ist sie als Rechtsanwältin im Bereich öffentliches Recht und Vergaberecht in Berlin tätig. Rut Herten-Koch ist seit Juli 2015 Partnerin bei Luther.
0 Kommentare