VK Sachsen ordnet Verhältnis zwischen Vergabebekanntmachung und sonstigen Vergabeunterlagen im Übergangszeitraum zur e-Vergabe und setzt sich mit Inländerdiskriminierung bei Angebotswertung im steuerrechtlichen Kontext auseinander. Mit Beschluss vom 18.03.2019 hat die VK Sachsen über eines der wohl letzten Vergabeverfahren vor Einführung der verpflichtenden Verwendung der e-Vergabe entschieden und dabei widersprüchliche Angaben zur Text- und Schriftform bei widersprüchlichen Anforderungen zur Angebotsabgabe elegant aufgelöst. Auf einer Linie mit der VK Bund liegt die VK Sachsen, soweit sie bei der Angebotswertung die Hinzurechnung der 19 % Umsatzsteuer verlangt, wenn EU-Ausländer andernfalls besser als EU-Inländer gestellt wären, de facto aber der Auftraggeber bei beiden Angeboten Umsatzsteuer zu entrichten hat.
§ 97 Abs.1, Abs.2 GWB, § 1a UStG, § 126 b BGB
Leitsatz
Sachverhalt
Die Auftraggeberin (AG) schrieb im offenen Verfahren im Oktober 2018 kurz vor Eintritt der Pflicht zur e- Vergabe die Beschaffung eines Linux Clusters europaweit aus.
Laut Bekanntmachung waren die Angebote elektronisch in Textform einzureichen. Gemäß Bewerbungsbedingungen war das Angebot demgegenüber in Papierform einzureichen und mit Datum und Unterschrift zu unterzeichnen. Im Angebotsformular wurde darauf hingewiesen, dass eine fehlende Unterschrift zur Folge hat, dass das Angebot als nicht abgegeben gilt. In der Leistungsbeschreibung wurde auf ein Bepunktungssystem zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots verwiesen, aufgrund dessen der Zuschlag erfolgen sollte. In den Bewerbungsbedingungen heißt es: Bewerber aus anderen EU- Mitgliedsstaaten haben die besonderen umsatzsteuerrechtlichen Regelungen für den innergemeinschaftlichen Erwerb zu beachten.
Die Antragstellerin (Ast), ein Unternehmen aus Polen, das selbst ein nicht unterschriebenes Angebot in Papierform eingereicht hatte, rügte die beabsichtigte Bezuschlagung des Angebots der Beigeladenen, das als wirtschaftlicher eingestuft wurde als das der Beigeladenen. Im Rahmen der Rügeerwiderung stellte die AG dar, dass vorliegend der Nettoangebotspreis und nicht der Bruttoangebotspreis bei der Wertung berücksichtigt worden. Die Ast. war der Ansicht, die Wertung müsse ausweislich des Angebotsblatts anhand der Bruttoangebotspreise erfolgen. Die AG wies dies zurück, da der Ast. kein Umsatzsteuerprivileg zur Seite stehe und damit bei der nicht vorsteuerabzugsberechtigten AG Umsatzsteuer in Höhe von 19 % anfalle; bei Wertung der Bruttoangebotspreise läge eine Diskriminierung inländischer Bieter vor. Darüber hinaus sei das Angebot der Ast bereits auszuschließen, weil es nicht, wie in den Vergabeunterlagen gefordert, unterschrieben gewesen sei. Daraufhin leitete die Ast. ein Nachprüfungsverfahren ein.
Die Entscheidung
Der zulässig Antrag war im Ergebnis unbegründet. Die VK Sachsen gibt der ASt nur insoweit Recht, als ihr Angebot nicht mangels Unterschrift auszuschließen sei, die Wertung inklusive der Umsatzsteuer war aber nicht zu beanstanden.
Soweit die AG in der Vergabebekanntmachung darauf hinweist, dass Angebote und Teilnahmeanträge elektronisch einzureichen seien, sei das Bestimmungsrecht der AG abschließend ausgeübt worden, Somit stünden dem anderslautende Vorgaben in den Bewerbungsbedingungen oder Formularen nicht entgegen, denn maßgeblich seien vorrangig die Vorgaben der Vergabebekanntmachung. Vorliegend sei die in der Bekanntmachung vorgegebene Textform eingehalten worden, bei der gerade auf die eigenhändige Unterschrift verzichtet werde; ein Angebotsausschluss sei daher, insbesondere auch mit Blick auf die zu dieser Vorgabe im Widerspruch stehende Anforderung in den sonstigen Vergabeunterlagen, das Angebot in Papierform mit Unterschrift einzureichen, nicht angezeigt.
Die Wertung der Nettoangebotspreise war laut Vergabekammer jedoch nicht zu beanstanden.
Die umsatzsteuerlichen Regelungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt schreiben vor, dass grenzüberschreitende Lieferungen und Leistungen in den Fällen des § 1a UStG vom Erwerber zu versteuern sind. Dies sei in dem zugrundeliegenden Vergabeverfahren beim Angebot der ASt zu berücksichtigen. Demnach müsste die AG bei Bezuschlagung des Angebots der ASt 19% Umsatzsteuer an den deutschen Fiskus zusätzlich zum Angebotspreis an die ASt zahlen. Demnach verstöße die Hinzurechnung dieser 19% zum Angebotspreis der ASt nicht gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 S. 2 GWB, vielmehr würden die tatsächlichen Kosten zugrunde gelegt, die bei der AG anfallen würden.
Ferner verstöße ein solches Vorgehen nicht gegen das Diskriminierungsverbot nach § 97 II GWB. Vielmehr wären inländische Bewerber schlechter gestellt, wenn die AG die Umsatzsteuer nicht hinzurechnen würde, da bei der AG in beiden Fällen derselbe Steueraufschlag anfällt. Im Ergebnis müsse somit auch der Umkehrschluss zulässig sein, bei dem bei beiden Angeboten die Umsatzsteuer weggelassen würde und lediglich, wie von der AG erfolgt, der Netto-Angebotspreis für die Wertung berücksichtigt würde. Mit dem in der Bekanntmachung enthaltenen Hinweis, wonach Bewerber die besonderen umsatzsteuerrechtlichen Regelungen für den innergemeinschaftlichen Erwerb zu beachten haben, habe die AG nur deutlich gemacht, dass sie die unterschiedlichen Umsatzsteuermodi im Blick habe.
Rechtliche Würdigung
Der Beschluss greift kurz die Übergangsbestimmungen zur E-Vergabe auf und stellt insofern klar, dass eine Kombination der Übersendungs-Mittel i.S.v. § 81 VgV nicht auf die Kombination von elektronischen und nicht elektronischen Mittel abzielt. Die rechtliche Relevanz wird sich allerdings in aktuellen Streitigkeiten, welche auf in der Übergangsfrist durchgeführte EU- Verfahren beruhen, erschöpfen und in absehbarer Zukunft wieder zu vernachlässigen sein. Erfreulich eindeutig ordnet die VK das Verhältnis zwischen Bekanntmachung und sonstigen Vergabeunterlagen im Falle von widersprüchlichen Angaben. Die VK bezieht sich dabei allerdings zur Begründung auf das OLG München, das das Vorrangverhältnis mit eher allgemeinen knappen Überlegungen zu Gleichbehandlung und Wettbewerb begründet. Dass damit auch vorliegenden widersprüchliche Angaben aufgelöst werden können, scheint jedenfalls auf den zweiten Blick nicht ausgemacht: Die Bekanntmachung, die ja laut VK im Fall von Widersprüchen maßgeblich ist, sieht ja gerade keine Angebotsabgabe in Papierform vor. Würde man widersprüchliche Angaben aber nur noch zugunsten der Vorgaben in der Bekanntmachung auflösen, wäre das Angebot gerade in Anbetracht der nicht über die Plattform erfolgten Einreichung auszuschließen gewesen. Die einzuhaltende Formvorschrift soll sich laut VK dann wieder aus der Bekanntmachung selbst ergeben.
Die VK scheint dabei zwei Grundsätze zusammenführen zu wollen, die nicht zwingend zusammen passen: Einerseits dürfen Widersprüche nicht zulasten von Bietern aufgelöst werden, andererseits sollen die Vorgaben in der Bekanntmachung maßgeblich sein. Des letzteren Begründungsvehikels hätte es bei Lichte betrachtet jedoch gar nicht bedurft, bei Anwendung des zuerst genannten Prinzips wäre ein Angebotsausschluss ohnehin nicht möglich gewesen, denn auch dann wäre die jeweils günstigere Formvorgabe (Papier statt über die Plattform, Textform statt Schriftform) letztlich einschlägig und vorliegend eingehalten gewesen.
Darüber hinaus nimmt die VK an zwei Stellen auf den Empfängerhorizont Bezug. Sowohl bei der Frage, ob der in den Bewerbungsbedingungen enthaltene Hinweis auf die umsatzsteuerlichen Besonderheiten beim innergemeinschaftlichen Erwerb im Zusammenhang mit den Verpflichtungen der Bewerber indirekt auf die Beachtung der innerstaatlichen steuerrechtlichen Regelung bei der Wertung durch die AG verweist, als auch bei der Auslegung der Wertungsformel stellt die VK wenig überraschend auf den objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter ab.
Die VK bekräftigt die umsatzsteuerlichen Regelungen über den innergemeinschaftlichen Erwerb gegen Entgelt und bezieht klar Stellung zur Vereinbarkeit dieser Regelungen mit dem Diskriminierungsverbot gem. § 97 II GWB. Die Miteinbeziehung der von der AG zu entrichtenden Umsatzsteuer in die Wertung bei Bewerbern aus anderen EU-Staaten verstößt nach Ansicht der VK explizit nicht gegen das Diskriminierungsverbot. Hier liegt sie im Ergebnis auf einer Linie mit der VK Bund. Die VK führt dabei sogar aus, dass die AG aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots gem. § 97 I 2 GWB sogar dazu verpflichtet sei, ihrer Wertungsentscheidung die tatsächlich anfallenden Kosten zu Grunde zu legen, welche die Umsatzsteuer miteinbeziehen. Werden diese Besonderheiten von der AG bei ihrer Wertung nicht berücksichtigt, geht die VK darüber hinaus und spricht von Inländerdiskriminierung gegenüber deutschen Bietern. Hier hätte wohl das vergaberechtliche Gleichbehandlungsprinzip als Begründungsvehikel näher gelegen, denn in der europarechtlichen Literatur ist die rechtliche Herleitung des Verbots der Inländerdiskriminierung nicht unumstritten, sodass hier jedenfalls eine fundierte Herleitung angezeigt gewesen wäre. Jedenfalls im Ergebnis ordnet die VK den Antrag zu Recht als unbegründet ein.
Praxistipp
Die klare Hierarchie zwischen Bekanntmachung und Vergabeunterlagen sollen Auftraggeber im Auge behalten, denn nicht selten könnten Auslegungsstreitigkeiten gerade bei umfangreichen Begleitunterlagen überraschend klar (und nicht mehr zwingend zugunsten der Bieter) durch die Rechtsprechung aufgelöst werden. Soweit sich dieser Gedanke weiter verstetigt, hat dies sicher auch weiterhin Einfluss auf Streitigkeiten bei künftigen Verfahren, insbesondere bei unterschwelligen Verfahren, bei denen weiterhin Papierangebote abfragt werden.
Potentiellen Auftraggebern gibt die VK freundlicherweise zwei ihrer Einschätzung nach diskriminierungsfreie und vergaberechtskonforme Wertungsmechanismen im gleichgelagerten Steuerkontext als Praxistipp mit an die Hand: Die AG soll entweder, wie im vorliegenden Fall nur die Nettopreise berücksichtigen oder die Umsatzsteuer auf Angebote aus anderen EU-Staaten hinzurechnen. Im Ergebnis soll es also denklogisch nur einen einheitlichen Vergleich der Angebote mit oder ohne Umsatzsteuer geben.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau stud. jur. Neele Schauer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, der Kanzlei FPS Frankfurt/Berlin, verfasst.
Tim Kuhn ist seit 2018 als Rechtsanwalt bei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main, im Bereich des Vergaberechts tätig. Seine Schwerpunkte liegen einerseits in der Erstellung von Ausschreibungen für (Sektoren-)Auftraggeber und andererseits in der bundesweiten Beratung von Bietern in sämtlichen Stadien des Vergabeverfahrens, insbesondere in Nachprüfungsverfahren vor verschiedenen Vergabekammern und der anschließenden Beschwerdeinstanz bei dem Oberlandesgericht.
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