Entscheidungsträger der öffentlichen Hand sehen sich bei politisch heiklen oder rechtlich fragwürdigen Vergabeentscheidungen mit negativen finanziellen Auswirkungen für den öffentlichen Haushalt recht schnell dem strafrechtlichen Vorwurf der Untreue ausgesetzt. Im Zusammenhang mit einer Vergabeentscheidung eines Oberbürgermeisters für Dienstleistungen einer Detektei zur Überwachung von Mitarbeitern eines städtischen Baubetriebshofs lotet der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 8. Januar 2020 die Grenze zwischen einer zulässigen Ermessensentscheidung und der Verwirklichung des Untreuetatbestands näher aus.
§ 266 StGB
Leitsätze des Bundesgerichtshofs
1. Ein Entscheidungsträger handelt im Bereich der öffentlichen Verwaltung nicht stets pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wählt. Beim Unterlassen eines Preisvergleichs oder einer Ausschreibung kommt eine Strafbarkeit nur bei evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstößen in Betracht.
2. Ein Vermögensnachteil kann bei der Haushaltsuntreue auch nach den Grundsätzen des persönlichen Schadenseinschlags eintreten.
Sachverhalt
In einer Kreisstadt gab es seit mehreren Jahren Hinweise darauf, dass Mitarbeiter des städtischen Baubetriebshofs während der Arbeitszeit im Staatsforst Holz fällen und auf eigene Rechnung verkaufen. Das Rechtsamt bestätigt dem um Aufklärung bemühten Oberbürgermeister auf dessen Nachfrage, dass eine Überwachung von Mitarbeitern des Baubetriebshofs durch eine Detektei rechtmäßig sei. Nach der Geschäftsordnung des Stadtrats war der Oberbürgermeister zur eigenständigen Vergabe von Aufträgen bis zu einer Höhe von EUR 25.000 berechtigt. Nach Abstimmung mit dem Leiter der Kämmerei, dem Hauptamtsleiter und dem Leiter des Rechtsamts erteilt der Oberbürgermeister einer Detektei einen Überwachungsauftrag, ohne die Marktüblichkeit der angebotenen Preise zu prüfen. Aufgrund eines pauschalen Aufschlags von 25% liegen die Preise der beauftragten Detektei deutlich über den Preisen anderer Detekteien.
Die Detektei beginnt mit der Überwachung und unterrichtet den Oberbürgermeister regelmäßigen über den Sachstand. Rund einen Monat nach Beginn der Überwachung wird eine Abschlagszahlung für die bisherigen Leistungen der Detektei vereinbart und bezahlt. Die Überwachung wird dann noch rund drei weitere Wochen fortgeführt. Anschließend stellt die Detektei eine Rechnung über rund EUR 276.000 netto, die der Oberbürgermeister als sachlich und rechnerisch richtig abzeichnet und zur Zahlung freigibt.
Der Landesdatenschutzbeauftragte ahndet das Geschehen später mittels Bußgeldbescheid. Die Strafkammer des Landgerichts verurteilt den Oberbürgermeister wegen Untreue zu einer Bewährungsstrafe.
Die Entscheidung
Auf die Revision des Oberbürgermeisters hebt der BGH das Urteil des Landgerichts auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück.
Der BGH stellt fest, dass den Oberbürgermeister gegenüber der Stadt eine Vermögensbetreuungspflicht trifft. Zum einen durfte der Oberbürgermeister nach der Geschäftsordnung eigenständig Aufträge nur bis zu einer Höhe von EUR 25.000 vergeben, zum anderen musste er bei der Vergabe die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit beachten.
Nach Auffassung des BGH liegt in der ungeprüften Erteilung des Bewachungsauftrags zu marktunüblich hohen Preisen keine strafbare Treuepflichtverletzung. Die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit würden nicht zu einer Kostensenkung um jeden Preis verpflichten. Ein Entscheidungsträger handele nicht stets pflichtwidrig, wenn er nicht das sparsamste im Sinne des niedrigsten Angebots wähle. Vielmehr komme eine Untreue nur bei einem evidenten und schwerwiegenden Pflichtverstoß, also bei einer gravierenden Pflichtverletzung, in Betracht. Hiervon sei bei der Beauftragung der Detektei nicht auszugehen, weil ein Auftraggeber hier neben dem Preis auch wesentlich auf Faktoren wie Seriosität, Auftreten am Markt, Größe, Dauer des Bestehens, Empfehlungen, Bewertungen und den persönlichen Eindruck abstellen und diesen Faktoren gegenüber dem Preis den Vorrang einräumen dürfe. Zwar sei es pflichtwidrig, dass vor der Auftragsvergabe nicht mehrere Angebote vergleichbar seriöser Detekteien eingeholt worden seien. Ein evidenter und schwerwiegender Pflichtverstoß im Sinne einer gravierenden Pflichtverletzung sei angesichts der Besonderheiten der beauftragten Dienstleistung hierdurch aber noch nicht belegt.
Es komme aber eine durch Unterlassen begangene Untreue in Betracht. Denn aufgrund der internen Begrenzung der Vergabemöglichkeit auf EUR 25.000 hätte der Oberbürgermeister den Vertrag mit der Detektei von vorneherein auf diese Summe begrenzen oder durch fortlaufende Nachfrage sicherstellen müssen, dass die Summe nicht überschritten wird. Spätestens zum Zeitpunkt der Abschlagszahlung i.H.v. EUR 100.000 habe der Oberbürgermeister die Überschreitung seiner Möglichkeit zur eigenständigen Vergabe erkennen und den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen müssen. Der Stadt könne auch Schaden entstanden sein, da die wie die Ahndung des Vorgangs durch den Landesdatenschutzbeauftragten nahelege vermutlich rechtswidrigen Ermittlungsleistungen der Detektei unter dem Gesichtspunkt des persönlichen Schadenseinschlags aufgrund einer Überschreitung der Grenzen zulässiger Mitarbeiterüberwachung möglicherweise subjektiv ohne Wert seien, was der Oberbürgermeister jedenfalls zum Zeitpunkt der Abschlagszahlung erkannt habe könne.
Rechtliche Würdigung
In Bezug auf den Vorwurf eines Verstoßes gegen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz legt der BGH die Messlatte für die Überschreitung der Grenze zur Strafbarkeit mit der Forderung einer gravierenden Pflichtverletzung vor dem Hintergrund der bei Ermessenentscheidungen bestehenden Entscheidungsspielräume relativ hoch an. Werden demgegenüber im Innenverhältnis klar gesetzte Grenzen (wie hier die betragsmäßige Begrenzung der Befugnis zur eigenständigen Auftragsvergabe) überschritten, ist das Risiko einer Strafbarkeit deutlich größer. Eine Strafbarkeit wegen Haushaltsuntreue gemäß § 266 StGB kommt dann nicht nur durch positives Tun, sondern auch durch Unterlassen in Betracht.
Praxistipp
Die Entscheidung des BGH führt vor Augen, dass Entscheidungsträgern der öffentlichen Hand bei Vergabeverstößen nicht nur vergaberechtliche Angriffe, sondern auch strafrechtliche Sanktionen drohen (vgl. zu den Folgen von Vergabefehlern in Beschäftigungsverhältnissen Pilarski im Vergabeblog vom 20.02.2020, Nr. 43051). Strafrechtlich wird dabei oft entscheidend sein, ob dem Entscheidungsträger ein vorsätzliches Handeln bezüglich aller Elemente des Untreuetatbestands nachgewiesen werden kann. Um das Risiko einer Untreuestrafbarkeit zu vermeiden, sind Entscheidungsträger der öffentlichen Verwaltung gehalten, bei Vergabeentscheidungen insbesondere die Grenzen der ihnen im Innenverhältnis eingeräumten Kompetenzen nicht zu überschreiten.
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
0 Kommentare