Ministerialdirektor Dr. Philipp Steinberg ist Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Als Abteilungsleiter verantwortet Dr. Steinberg auch die Unterabteilung „Wettbewerbs- und Strukturpolitik – I B“, die auch das Vergaberecht umfasst. Für den Vergabeblog stand Herr Dr. Steinberg für ein Interview zum Thema Corona-Pandemie und öffentliche Beschaffung zur Verfügung.
Vergabeblog: Die Corona-Pandemie stellt alle auf eine harte Probe. Das BMWi gehört zu den Bundesministerien, die derzeit in vorderster Reihe gefordert sind. Wenn Sie uns einen Einblick gestatten. Wie sieht der Arbeitsalltag derzeit bei Ihnen und in denen von Ihnen verantworteten Bereichen des Ministeriums aus?
Dr. Philipp Steinberg: Wir arbeiten seit Ausbruch der Pandemie intensiv an der Bewältigung der Krise, insbesondere was ihre wirtschaftlichen Folgen anbetrifft. Die Bundesregierung hat zahlreiche Hilfspakete auf den Weg gebracht, die in einem Umfang von über einer Billionen Euro die deutsche Wirtschaft stabilisieren werden – unabhängig von der Unternehmensgröße und unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten. In meiner Abteilung wird z.B. der Wirtschaftsstabilisierungsfonds aufgebaut. Dieser Fonds übernimmt für Unternehmen der Realwirtschaft Garantien und kann wo nötig sogar Kapital zuschießen. Unterstützt werden neben größeren Unternehmen auch systemrelevante KMU, Unternehmen im Bereich kritischer Infrastruktur und Startups. Die notwendige Infrastruktur in kürzester Zeit aus dem Homeoffice heraus auf die Beine zu stellen, stellt alle Beteiligten – und da nehme ich mich nicht aus – vor extreme Herausforderungen.
Vergabeblog: Mit dem Rundschreiben vom 19.03.2020 hat Ihr Haus reagiert und Hinweise zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Beschaffung von Leistungen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 gegeben. Was sind die aus Ihrer Sicht entscheidenden Botschaften für öffentliche Auftraggeber, aber auch die Marktteilnehmer?
Dr. Philipp Steinberg: Wir haben in Deutschland einen sehr guten rechtlichen Rahmen für die öffentliche Auftragsvergabe. Und dieser Rahmen bietet alle Voraussetzungen, um in Extremfällen wie der aktuellen Krise sehr schnell und effizient beschaffen zu können. Genau diese Möglichkeiten haben wir in dem Rundschreiben aufgezeigt: Sei es durch die direkte Einholung von Angeboten, sei es durch die Ausreizung bestehender Verträge durch Vertragsverlängerungen oder Ziehung von Optionen.
Wir haben die rechtlichen Instrumentarien, um den aktuellen Bedarfen gerecht zu werden. Dies sieht auch die EU-Kommission in ihrer Mitteilung vom 1. April so, die ebenfalls die Möglichkeiten des EU-Vergaberechts für schnelle und effiziente Dringlichkeitsbeschaffungen aufzeigt und eine hilfreiche Ergänzung zu unserem Rundschreiben darstellt. Auch haben die Länder entsprechend reagiert und die Flexibilität, wie sie vor allem die UVgO etwa bei der Festlegung von Wertgrenzen für Verhandlungsvergaben bietet, umfassend genutzt.
Europa ist mir ein Herzensanliegen, das gilt auch für die Beschaffung, hier dürfen wir nicht allein national denken. Wichtig ist daher auch, dass die EU-weiten Angebote einer gemeinschaftlichen Beschaffung über die Grenzen hinweg noch stärker genutzt werden.
Eine andere Frage ist, was der Markt bei zurzeit dringend benötigten Produkten z.B. aus dem medizinischen Bereich zu leisten imstande ist. Dieses Problem kann auch das Vergaberecht nicht lösen. Hier ist es wichtig, dass Bund und Länder ihre Beschaffungsaktivitäten genau aufeinander abstimmen. Der Krisenstab der Bundesregierung kümmert sich bereits seit Ausbruch der Pandemie genau darum mit Hochdruck.
Vergabeblog: Mit der räumlichen Distanz, die zwischen MitarbeiterInnen von Vergabestellen aufgrund der Arbeit im Homeoffice eingetreten ist, aber auch wegen der Schließung von Verwaltungsgebäuden und Rathäusern, steht die Vergabe vor neuen Herausforderungen. Öffnungen von Angeboten und Teilnahmeanträgen müssen nun auch im virtuellen Raum mit Webkonferenzen bzw. Remote-Desktop-Verbindungen durchgeführt werden. Die E-Vergabesysteme haben bisher wohl nur die Situation technisch vorgesehen, dass zwei Personen vor einem Bildschirm sitzen, um die Öffnung durchzuführen. E-Vergabeanbieter haben sich im Mitgliedernetzwerk des DVNW dazu bereits mit pragmatischen Lösungsvorschlägen gemeldet, erste Produktweiterentwicklungen gibt es bereits.
Wir beobachten also offensichtlich eine sich vertiefende Digitalisierung der Vergabe aufgrund einer Krisenerscheinung. Was sagt dies für Sie aus und was wird davon vielleicht oder sollte sogar bleiben?
Dr. Philipp Steinberg: Trotz aller immensen Probleme, die die Pandemie in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens mit sich bringt, können wir zurzeit auch die Möglichkeiten und Chancen erleben, die das umfassende digitale Zusammenarbeiten mit sich bringt. Nicht nur in der Verwaltung, überall entdecken wir neue Formen der Vernetzung, die noch vor Kurzem an Sicherheitsbedenken, an Bequemlichkeit und an Unsicherheiten im Umgang mit IT-Technik gescheitert sind – um nur einige Gründe zu nennen. Nun merken wir, dass ein Großteil der Arbeit und Abstimmungen doch virtuell im digitalen Raum durchgeführt werden kann und dies sogar schneller und mit weniger Aufwand.
Digitalisierung wird auch gerade in meiner Abteilung in der gemeinsamen Arbeit an Dokumenten etwa über SharePoint und das über Hierarchien hinweg gelebt. Mein eigenes Büro ist übrigens nicht erst seit Ausbruch der Pandemie papierlos!
Ich würde es begrüßen, wenn diese Krise dem Einsatz von gut strukturierter Vergabemanagement-Software einen starken Push geben würde. Zwar haben wir bereits umfassende Vorgaben zur elektronischen Durchführung von Vergabeverfahren. Aber nicht alle Vergabestellen haben die Vorteile der E-Vergabe bereits so erkannt, dass sie ihre gesamte Vergabetätigkeit elektronisch abwickeln. Ich bin aber zuversichtlich, dass sich das bereits in naher Zukunft ändern wird.
Wir schauen uns die Entwicklung jedenfalls genau an und werden sowohl auf nationaler wie europäischer Ebene genau untersuchen, ob der Rechtsrahmen mit Blick auf die Digitalisierung der Vergabeverfahren an der einen oder anderen Stelle angepasst werden muss.
Vergabeblog: Die sozialen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie zeigen sich allerorts bereits. Diese werden in Abhängigkeit der Dauer und Intensität der Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens zunehmen. Irgendwann jedoch wird es eine Rückkehr in Richtung eines „normalen Betriebs“ geben. Was kommt dann aus Ihrer Sicht auf die öffentliche Beschaffung zu, was wird sie leisten müssen?
Dr. Philipp Steinberg: Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat am 29.3. in einem Interview klargestellt, dass die Rettungspakete allein nicht genügen werden, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Benötigt wird ein umfassendes ‚Fitnessprogramm‘ für die deutsche Wirtschaft, das sich nicht beschränkt auf klassische Konjunkturprogramme, sondern darauf ausgerichtet ist, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft strukturell zu verbessern und sie zu revitalisieren. Auch die öffentliche Beschaffung wird hier ihren Beitrag leisten – wie bereits zu Zeiten der Finanzkrise in den Jahren ab 2009. Über Einzelmaßnahmen zu diskutieren, ist es aber noch zu früh. Im Moment ist all unsere Kraft und Engagement darauf gerichtet, die Krise so schnell wie möglich zu überwinden und die negativen Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft von vornherein so gering wie möglich zu halten.
Vergabeblog: Sehr geehrter Herr Dr. Steinberg, vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Jan Buchholz vom Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW).
Hinweis der Redaktion
Herr Dr. Steinberg wird auch wieder auf dem diesjährigen 7. Deutschen Vergabetag am 29.10.2020 zu hören sein. Über den Beginn des Ticketverkaufs für den 7. Deutschen Vergabetag informieren wir hier im Vergabeblog, im Mitgliedernetzwerk (Mitglied werden) und über unseren Newsletter (bestellbar hier).
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