Wie war das noch? Vor fast genau einem Jahr, dem 19.12.2008, gab die EU-Kommission bekannt, dass „eine Beschleunigung der Vergabeverfahren die Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Unterstützung ihrer Volkswirtschaften durch eine rasche Ausführung großer öffentlicher Investitionsprojekte beträchtlich unterstützen kann.“ – Ihrer Volkswirtschaften. Die Bundesregierung sowie die Länder setzten dies sogleich durch deutlich verringerte Wertgrenzen für beschränkte Ausschreibungen und freihändige Vergaben um, und für den „Oberschwellenbereich“ wurde die Anwendung des sog. beschleunigten Verfahren ohne Nachweis eines Ausnahmetatbestandes anerkannt. Die 3. Vergabekammer des Bundes (VK Bund, Beschluss vom 12.11.2009, VK 3-208/09) mußte nun dem ungläubigen, nicht berücksichtigen deutschen Bieter erklären: Zwar entstammten im konkreten Fall die verwendeten Mittel aus dem – deutschen – Konjunkturprogramm. Trotzdem spiele die Nationalität des Bieters vergaberechtlich keine Rolle, weshalb die Zuschlagserteilung an ein ausländisches Unternehmen nicht zu beanstanden sei. Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Dr. Roderic Ortner von der Kanzlei BHO Legal (Anm. d. Red.).
Aber der Reihe nach: Die Konjunkturpakete sorgen bei manchem öffentlichen Auftraggeber wie Unternehmen anscheinend für Verwirrung. In der Praxis lässt sich nämlich zunehmend beobachten, dass die Möglichkeiten zur Vereinfachung des Vergaberechts auf Grundlage der Konjunkturpakete I und II auch auf Vergaben angewendet werden, die oberhalb der Schwellenwerte liegen. Dies jedoch ist ein grober Vergabefehler!
Es ist nochmals klarzustellen, dass die Bundesregierung keine Ausnahmen von der Anwendung des Kartellvergaberechts („Vergaben oberhalb der Schwellenwerte“) bestimmen kann. Die Bundesregierung hat nur die Kompetenz, Ausnahmen in Bezug auf das Haushaltsrecht („Vergaben unterhalb der Schwellenwerte“) zu erlassen. Aussagen der Bundesregierung zu Vergabeverfahren im Rahmen der Konjunkturpakete I und II haben daher keine Aussagekraft für Beschaffungen, die unter das Kartellvergaberecht fallen. In Bezug auf das Kartellvergaberecht ist allein der Europäische Rat oder, soweit hierzu ermächtigt, die Europäische Kommission befugt, Ausnahmen zu bestimmen. Der deutschen Gesetzgeber hat dagegen nur unterhalb der Schwellenwerte die Kompetenz, Ausnahmen zu erlassen. Solche nationalen Ausnahmen aufgrund der Wirtschaftslage sind im Erlasswege über die Ministerien erfolgt. In diesen Erlassen ist etwa geregelt, dass bei Dienstleistungen bis 100.000 EUR die freihändige Vergabe zulässig ist. Soweit in den Erlassen etwas zur Vergabe oberhalb der Schwellenwerte steht, stellt dies nur einen klarstellenden Verweis auf die Maßnahmen auf europäischer Ebene dar.
Daher ist etwa auch folgender Hinweis der Vergabestelle in einer aktuellen Ausschreibung der gesamten IT-Ausstattung des Landtages NRW für die nächsten fünf (!) Jahre mit einem Volumen von über 2,5 Mio. EUR im Ergebnis zwar nicht zu beanstanden, aber jedenfalls ungenau: „Gründe für die Wahl des beschleunigten Verfahrens: Ausnahmeregelung nach dem Konjunkturpaket 2“. Für die Anwendung des beschleunigten Verfahrens lässt sich aus oben genannten Gründen gerade nicht das Konjunkturpaket 2 anführen.
Gibt es überhaupt Erleichterungen oberhalb der Schwelle aufgrund der derzeitigen konjunkturellen Lage? Die Antwort lautet „Ja“, aber eben nicht aus den Konjunkturpaketen, sondern (bislang) allein aus den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 12.12.2008 (17271/1/08 REV 1) sowie einer Pressemitteilung (!) der Kommission vom 19.12.2008 (IP/08/2040). Hieraus folgt, dass öffentliche Auftraggeber die beschleunigten Vergabeverfahren vorerst bis 31.12.2010 bei „großen öffentlichen Investitionsprojekten“ durchführen können. Den Charakter eines „großen öffentlichen Investitionsprojekts“ wird man für die besagte IT-Ausschreibung in NRW wohl noch bejahen können, so dass die Ausschreibung im Ergebnis richtiger Weise im beschleunigten Verfahren erfolgen darf.
Die Verwirrung zwischen Konjunkturpaket und Kartellvergaberecht beschäftigt übrigens nun erstmals und wenig überraschend auch die Vergabekammern: Bei dem einer aktuellen Entscheidung der 3. Vergabekammer des Bundes zu Grunde liegendem Sachverhalt war das einem ausländischen Unternehmen unterlegene, nicht berücksichtigte deutsche Unternehmen der Auffassung, dass der politische Aspekt der Sicherung von Arbeitsplätzen in Zeiten einer Wirtschaftskrise in die Angebotswertung hätte einbezogen werden müssen. Dem ist die Vergabekammer zu Recht entgegengetreten: „Die Berücksichtigung der Nationalität als weiteres Eignungskriterium ist wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz von vornherein unzulässig und steht in diametralem Gegensatz zum Grundanliegen des europäischen Vergaberechts, nämlich der Herstellung des Binnenmarkts auch für den Sektor des öffentlichen Auftragswesens (…). Aus vergaberechtlicher Sicht ist es – entgegen der Ansicht der ASt – daher irrelevant, dass die zu verwendenden Haushaltsmittel hier einem nationalen Konjunkturförderprogramm entstammen und der Förderzweck auf nationaler Ebene damit möglicherweise nicht erfüllt wird.“ (VK Bund, Beschluss vom 12.11.2009, VK 3-208/09).
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
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