Der Ausschlussgrund Änderungen an den Vergabeunterlagen ist nur einschlägig, wenn die Gefahr besteht, dass der Auftraggeber ein Angebot bezuschlagt, das nicht seinen Anforderungen entspricht. Diese Gefahr ist nicht gegeben, wenn der Bieter in einem Vordruck mit einer Eigenerklärung zur Eignung seine Unternehmensbezeichnung ergänzt. Eine falsche Schreibweise durch verdrehte Buchstaben ist derart offensichtlich, dass dies einen Ausschluss ebenfalls nicht rechtfertigt. Der Auftraggeber kann (ggf. muss) dies selbst korrigieren. Denn sind Rechen- oder wie Schreibfehler derart offenkundig, ist eine Korrektur durch den Auftraggeber im Wege der Angebotsauslegung auch ohne Aufklärung angezeigt.
§ 57 VgV
Sachverhalt
Der Antragsgegner schrieb mit EU-Bekanntmachung Sicherheitsdienstleistungen für Flüchtlingsunterkünfte in insgesamt drei Losen aus. Die Antragstellerin beteiligte sich mit einem Angebot u.a. für Los 2 an dem Verfahren. Sie ist Rechtsnachfolgerin der X GmbH. Auf diesen Umstand wies sie in ihrem Anschreiben zum Angebot hin.
Mit dem Angebot war das Dokument Vordruck 1 Eigenerklärung zur Eignung ausgefüllt einzureichen. Zur Angabe zur Anzahl der Beschäftigten und der Führungskräfte in den letzten drei Jahren waren die Angaben in einer Tabelle einzutragen. Seitens des Antragsgegners waren die Jahresangaben 2016, 2017 und 2018 vorgegeben. In dem Vordruck ergänzte die Antragstellerin im Rahmen ihres Angebotes für Los 2 die Angaben des Antragsgegners zu den Jahreszahlen wie folgt:
Angaben — 2016 YX GmbH — 2017 XY GmbH —- 2017 XY GmbH
Darunter trug sie entsprechend der vorgegebenen Beschäftigungen die jeweiligen Anzahlen ein, wobei sich die Angaben der Antragstellerin in allen Spalten unterschieden. Der Antragsgegner informierte die Antragstellerin mit Schreiben gemäß § 134 GWB, dass ihr Angebot u.a. für Los 2 wegen Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen werde. Die Antragstellerin rügte diesen Ausschluss. Der Antragsgegner wies die Rüge zurück. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass es sich nicht um eine Abweichung vom geforderten Leistungsinhalt bzw. von den geforderten Angaben zur Eignung handle. Sie habe mit der Ergänzung der Unternehmensbezeichnungen in dem ungeschützten Word-Formular keine andere Leistung als die Ausgeschriebene angeboten.
Der Antragsgegner ist u.a. der Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag unbegründet sei, da bei Änderungen an den Vergabeunterlagen ein Ausschluss ohne Aufklärung zwingend sei. Zudem seien mit den Eintragungen falsche Unternehmens- und Jahresbezeichnungen eingetragen worden.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für zulässig und auch begründet. Der Ausschluss des Angebotes war unzulässig.
Die Ergänzung der Unternehmensbezeichnungen im Dokument Vordruck 1 Eigenerklärung zur Eignung stellen keine Änderung der Vergabeunterlagen dar, die nach §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zum Ausschluss des Angebotes führen. Änderungen an den Vergabeunterlagen, die nach §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zum Ausschluss führen, liegen nach der Vergabekammer und ständiger Spruchpraxis der Nachprüfungsinstanzen nur vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber ausgeschrieben hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, mithin wenn eine inhaltliche Änderung der ausgeschriebenen Leistung, der Vertragsbedingungen oder der Preise erfolgt (vgl. aus jüngerer Zeit VK Bund, Beschluss vom 27.09.2019 Az. VK 2-70/19). Damit wird sichergestellt, dass die Wertung der Angebote unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung erfolgen kann und der Auftraggeber nach der Bezuschlagung auch das erhält, was er zuvor ausgeschrieben hat. Zudem ist es Ziel der Regelung, eine widerspruchsfreie und wirksame Vertragsgrundlage und eine entsprechende Vertragsdurchführung zu ermöglichen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 24.06.2019 Az. VK 1 – 31/19). Nach dem Willen des Verordnungsgebers liegt eine von § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV umfasste Änderung der Vergabeunterlagen zudem auch nur dann vor, wenn im Ergebnis eine andere als die ausgeschriebene Leistung angeboten wird. Damit wird deutlich, dass der Verordnungsgeber nicht jede noch so marginale formale Abweichung mit einem Angebotsausschluss sanktionieren will.
Daran ändert nach Ansicht der Vergabekammer auch das vieldiskutierte Urteil des BGH vom 18.06.2019 (Az. X ZR 86/17) nichts. Der BGH entschied, dass eine manipulative und mit dem Ausschluss zu sanktionierende Änderung der Vergabeunterlagen dadurch gekennzeichnet ist, dass bei Hinwegdenken der Abweichung kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliegt. Er begründet dies mit dem in der Entscheidung aufgezeigten Wertungswandel einer nicht mehr nach dem Gedanken formaler Ordnung geprägten Rechtsprechung und der damit angepassten Auslegung der vergaberechtlichen Bestimmungen. Unabhängig von einem (möglichen) Wertungswandel, zu dem die BGH-Entscheidung auch keine tiefergehende Auseinandersetzung enthält, liegt aber jedenfalls in der Ergänzung von Unternehmensbezeichnungen kein manipulativer Eingriff, auf den der BGH letztlich ebenfalls abstellt. Im Ergebnis sind jedenfalls nur Angebote auszuschließen, die den Inhalt der Angebote und damit der ausgeschriebenen Leistung abändern. Angebote sind vor einem Ausschluss grundsätzlich auszulegen. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass sich ein Bieter in redlicher Weise verhält.
Die ergänzten Unternehmensbezeichnungen stellen nach der Auslegung der Ergänzungen weder eine Gefahr für die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung dar, noch bergen sie für den Auftraggeber die Gefahr, im Falle der Bezuschlagung dieses Angebotes etwas anders zu erhalten als das, was er beschaffen möchte. Es handelt sich nicht um Änderungen des eigentlichen Kerns der Vergabeunterlagen, nämlich der Leistungsbeschreibung oder der Vertragsbedingungen. Es handelt sich lediglich um Ergänzungen der vorgegebenen Spalten zur Eignungsprüfung.
Ob das Dokument Vordruck 1 Eigenerklärung zur Eignung aufgrund der Ergänzungen der Unternehmensbezeichnung ggf. auch als fehlerhaft im Sinne des § 56 Abs. 2 S. 1 VgV betrachtet werden kann und somit der Korrektur zugänglich wäre, wofür einiges spricht, konnte für die Vergabekammer dahinstehen, da nach obigen Ausführungen eine von der VgV sanktionierte Änderung der Vergabeunterlagen jedenfalls nicht vorliegt (so dass eine Nachforderung überhaupt nicht erforderlich ist). Die falsche Schreibweise der Unternehmensbezeichnung in der ersten Spalte zu den Angaben zu 2016 durch zwei verdrehte Buchstaben ist auch vor dem Hintergrund der Ausführungen im Anschreiben der Antragstellerin derart offensichtlich, dass dies einen Ausschluss ebenfalls nicht rechtfertigt, sondern der Antragsgegner dies selbst korrigieren kann und vorliegend auch muss. Denn sind Rechen- oder wie vorliegend Schreibfehler derart offenkundig, ist eine Korrektur durch den Auftraggeber auch ohne Aufklärung angezeigt.
Die Eintragung in der dritten Spalte 2017 XY GmbH war ein offensichtlicher Schreibfehler hinsichtlich der Jahresangabe, denn die darunter eingetragenen Mitarbeiterzahlen unterscheiden sich von jene in der zweiten Spalte, die ebenfalls mit 2017 XY GmbH überschrieben wurde. Ebenso ist aufzuklären, ab wann die zahlenmäßig genannten Mitarbeiter dem Unternehmen der Antragstellerin zuzuordnen sind. Dies ist jedoch vom Antragsgegner im Rahmen der Wertung zu prüfen und ggf. aufzuklären. Die Vergabekammer stellte klar, dass, soweit es sich um einen Schreibfehler handeln sollte, dieser auch entsprechend auf 2018 korrigiert werden kann, ohne dass das Angebot allein wegen dieses Schreibfehlers auszuschließen wäre. Nach § 56 Abs. 2 S. 1 VgV sind Korrekturen in fehlerhaften unternehmensbezogenen Unterlagen grundsätzlich zulässig. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist auch im Hinblick auf die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung die Korrektur offensichtlicher Fehler oder die Klarstellung offensichtlicher Ungereimtheiten möglich, sofern eine inhaltliche Änderung des Angebots, welche einer Nachverhandlung gleichkäme, ausgeschlossen ist. Eine Änderung des Angebotsinhaltes bzw. der unter der Spalte mit der Jahresangabe und der Unternehmensbezeichnung angegebenen Mitarbeiterzahlen wäre nach Ansicht der Vergabekammer mit der Korrektur der Jahresangabe ebenso wenig verbunden wie eine Ergänzung bzw. Aufteilung der Jahresangaben mit entsprechender Unternehmensbezeichnung. Die Antragstellerin würde durch die Korrektur nachträglich nicht besser gestellt werden bzw. ihr würde damit nicht die Möglichkeit gegeben werden, Inhalte des Angebotes bzw. vorliegend der Eignungsangaben inhaltlich zu ändern.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der Vergabekammer ist zutreffend. Dementsprechend hat das Kammergericht die Beschwerde auch mit Beschluss vom 04.05.2020 (Az. Verg 2/20) zurückgewiesen. Gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sind Angebote auszuschließen, wenn bei denen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen worden sind (im Baubereich ergibt sich diese Rechtsfolge aus § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A). Seit der von der Vergabekammer zutreffend thematisierten Entscheidung des BGH vom 18.06.2019 (Az. X ZR 86/17) scheiden sich an der Frage, wann dies der Fall ist, sprichwörtlich die Geister. Der Beschluss der Vergabekammer belegt zum einen, zurecht, dass der Abgesang auf den Ausschlussgrund verfrüht war, zum anderen, dass ein Ausschluss aufgrund von materiell-rechtlich irrelevanten (bzw. durch Auslegung oder als logischen zweiten Schritt Aufklärung) Anpassungen, welche ohne Änderung des maßgeblichen Angebotsinhalts beseitigt werden können, nicht (mehr) zulässig ist.
Im Hinblick auf die sich aktuell in Diskussion befindliche Frage der Bedeutung des Ausschlussgrunds betreffend die Änderung von Vergabeunterlagen kurz zur Erinnerung. Der BGH hatte im Kern Folgendes entschieden:
Diese vielfach kritisierte Entscheidung hatte das OLG Düsseldorf vor wenigen Monaten mit Beschluss vom 12.02.2020 (Az. Verg 24/19) im Rahmen einer Bauvergabe bereits restriktiv ausgelegt und Folgendes ausgeführt:
„Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.06.2019 (X ZR 86/17) eine Änderung der Vergabeunterlagen bei widersprechenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters und des Auftraggebers im Fall einer sog. Abwehrklausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers, wonach etwaige (abweichende) Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bieters nicht Vertragsbestandteil werden, verneint und ferner ausgeführt, dass auch ohne eine solche Abwehrklausel ein Angebot in der Wertung verbleiben kann, wenn die Verwendung der abweichenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters erkennbar auf einem Missverständnis über die in den Vergabeverfahren einseitige Maßgeblichkeit der vom Auftraggeber vorgegebenen Vergabe- und Vertragsbedingungen beruht (BGH, NZBau 2019, 661, 663 Rn. 23 ff.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, obwohl in Ziff. 1.1 Satz 3 ZVB geregelt ist, dass alle abweichenden Bedingungen im Angebot des Auftragnehmers nur dann gelten, wenn sie von der Antragsgegnerin schriftlich anerkannt sind. Voraussetzung für die Anwendbarkeit von Ziff. 1.1 Satz 3 ZVB sind indes abweichende Bedingungen im Sinne von Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Bieters. Nach § 305 Abs. 1 S.1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Der für einen bestimmten Vertrag ausgearbeitete Text ist daher nicht von § 305 Abs. 1 S. 1 BGB erfasst (BGH NJW-RR 2002, 13; Grüneberg in Palandt, BGB, 79. Aufl., § 305 Rn. 9). Der Formulierung im Angebotsbegleitschreiben vom 17.04.2019 ist zu entnehmen, dass es sich um eine individuelle Formulierung der Antragstellerin für den ausgeschriebenen Auftrag und nicht für eine Vielzahl von Verträgen handelt.“
Die 1. Beschlussabteilung der VK Berlin hat zeitlich vor der Entscheidung des OLG Düsseldorf mit Blick auf die Entscheidung des BGH klargestellt, dass nur Angebote auszuschließen sind, die den Inhalt der Angebote und damit der ausgeschriebenen Leistung abändern.. Vor einem etwaigen Ausschluss sind, so methodisch völlig zutreffend, Angebote zunächst auszulegen (und der Bieterwille zu erforschen). Sodann sind Angebote ggf. aufzuklären und unter Umständen, nach entsprechender Ermessenausübung, Unterlagen oder Informationen nachzufordern. Ein Ausschluss kommt erst dann in Betracht, wenn danach (noch) Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen verbleiben.
Praxistipp
Vor einem Ausschluss wegen Änderungen oder Ergänzungen an den Vergabeunterlagen sind die freilich unter Berücksichtigung der hierfür maßgeblichen Grenzen rechtlichen Instrumente
– der Auslegung,
– der Aufklärung und
– der (etwaigen) Nachforderung
von dem öffentlichen Auftraggeber anzuwenden. Nur wenn sodann im Ergebnis ein Angebot verbleibt, dass dazu führen würde, dass der Auftraggeber ein Angebot bezuschlagt, dass nicht seinen Anforderungen entspricht, ist ein Ausschluss zulässig (und mitunter unumgänglich). Diese Gefahr ist regelmäßig allerdings nicht gegeben, wenn der Bieter in einem Vordruck eine marginale Ergänzung vornimmt oder sich in seinem Angebot ein eindeutiger Schreibfehler eingeschlichen hat.
Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
Die (Clickbait?) Überschrift des Beitrags ist nach meinem Verständnis bestenfalls irreführend. Sie wäre passend, wenn zwar ein Ausschlussgrund einschlägig, ein Ausschluss aber unverhältnismäßig o.ä. gewesen wäre. Hier scheiterte ein Ausschluss ja aber wohl bereits auf der Tatbestandsseite, weil nach erforderlicher Auslegung des Angebots (bzw. mangels erforderlicher Aufklärung) ein Ausschlussgrund gar nicht hätte bejaht werden dürfen.