Der Bieter zeigt sich von der Rügeantwort unbeeindruckt. Nun liegt der Nachprüfungsantrag auf dem Tisch. Und jetzt? Den Anwalt des Vertrauens anrufen? Oder aus Kostengründen doch besser selbst vor der Vergabekammer brillieren? Oftmals können auch öffentliche Auftraggeber die Erstattung ihrer Anwaltskosten für das Vergabekammerverfahren verlangen, wenn der Nachprüfungsantrag erfolglos bleibt.
§ 182 Abs. 4 Satz 1 GWB
Leitsatz
Sachverhalt
Die Antragsgegnerin schreibt einen Auftrag für Sicherheitsdienstleitungen in einem EU-weiten Vergabeverfahren aus. Bestandteil der Vergabeunterlagen ist ein Preisblatt, in das die Bieter u.a. Angaben zu den Gesamtpreisen pro Monat und zum jeweiligen Lohnkostenanteil machen sollen. Im Angebot der Antragstellerin ist die Spalte Lohnkostenanteil im Preisblatt nicht ausgefüllt. Die Antragsgegnerin schließt das Angebot der Antragstellerin daraufhin aus, weil es wesentliche Preisangaben nicht enthalte. Die anwaltlich vertretene Antragstellerin rügt den Ausschluss als vergaberechtswidrig. Sie macht geltend, dass sich die fehlenden Preisangaben den Kalkulationsblättern zum Preisblatt entnehmen ließen. Jedenfalls sei die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen, fehlende oder unvollständige Angaben nachzufordern.
Die Antragsgegnerin hilft der Rüge nicht ab. Sie beruft sich darauf, dass es nicht Aufgabe eines öffentlichen Auftraggebers sei, fehlende Angaben in einem zwingend auszufüllenden Preisblatt eigenständig zu ergänzen. Zu einer Nachforderung sei sie gemäß § 56 Abs. 2 VgV nicht verpflichtet gewesen. Sie habe auf eine Nachforderung verzichtet, weil genügend vollständige und wertungsfähige Angebote vorgelegen hätten.
Die anwaltlich vertretene Antragstellerin leitet daraufhin ein Nachprüfungsverfahren ein. Die Antragsgegnerin beauftragt ebenfalls einen Rechtsanwalt. Die Antragserwiderung des Auftraggebers beschränkt sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung der Argumentation aus der Rügeantwort.
Nachdem der Vorsitzende der Vergabekammer mit einer Verfügung darauf hinweist, dass und aus welchen Gründen der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet sei, nimmt die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag zurück. Die Vergabekammer stellt daraufhin mit Beschluss klar, dass das Nachprüfungsverfahren eingestellt ist und legt der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Kosten der notwendigen Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin auf. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin erklärt die Vergabekammer für notwendig.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass die Hinzuziehung eines Anwalts für die Antragsgegnerin nicht notwendig gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Zustellung des Nachprüfungsantrags sei die Antragsgegnerin in der Lage gewesen, sich auch ohne anwaltlichen Beistand angemessen zu verteidigen. Denn es sei lediglich auf Aspekte angekommen, zu denen die Antragsgegnerin bereits im Vergabeverfahren Stellung genommen habe. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin habe lediglich die Ausführungen aus der Rügeantwort wiederholt.
Die Entscheidung
Das OLG Naumburg ändert die Entscheidung der Vergabekammer ab. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten sei nicht notwendig gewesen.
Zwar sei die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren im Nachprüfungsverfahren anders als im Zusammenhang mit verwaltungsrechtlichen Vorverfahren nicht restriktiv zu handhaben.
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den Auftraggeber, beurteile sich ganz wesentlich danach, ob der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren mehr auftragsbezogene Sach- und Rechtsfragen aufwerfe (mit denen sich der Auftraggeber im Vergabeverfahren ohnehin auseinandersetzen muss) oder ob die aufgeworfenen Fragen eine komplexe Rechtsmaterie mit Vorschriften aus dem nationalen und dem EU-Recht bzw. aus dem Prozessrecht betreffen. Ferner sei der Beschleunigungsdruck, die Bedeutung des Beschaffungsvorhabens für die Aufgabenerfüllung und der Aspekt der Gewährleistung der prozessualen Waffengleichheit zu berücksichtigen.
Nach diesen Maßstäben sei die Hinzuziehung anwaltlichen Beistands durch die Antragsgegnerin nicht notwendig gewesen. Die Rügen der Antragstellerin hätten sich auf einen überschaubaren Sachverhalt bezogenen. Ob das Angebot der Antragstellerin die geforderten Angaben enthielt und ob auf eine Nachforderung verzichtet werden durfte, seien Gesichtspunkte, welche dem Kernbereich der Durchführung des Vergabeverfahrens zuzuordnen seien. Die Antragsgegnerin habe diese Aspekte auch bereits vor Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen der Entscheidung über den Ausschluss der Antragstellerin und im Rahmen der Rügeantwort bewertet. Der Nachprüfungsantrag habe keine zusätzlichen Probleme aufgeworfen.
Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit könne die Hinzuziehung anwaltlichen Beistands rechtfertigen, wenn sich der Bieter einer vergaberechtlich spezialisierten Kanzlei bediene und der Auftraggeber zwar juristisch, aber nicht spezifisch vergaberechtlich bzw. forensisch geschultes Personal zur Verfügung stehe. Gleiches gelte, wenn das Nachprüfungsverfahren nach Erledigung des Vergabeverfahrens auf Feststellung einer Rechtsverletzung zur Vorbereitung eines zivilgerichtlichen Schadensprozesses gerichtet sei.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass es bei der Beschaffung um sog. Hilfsleistungen für die Antragsgegnerin gegangen sei. Selbst im Falle eines Unterliegens sei nur ein geringer Zeitverlust zu besorgen gewesen. In wirtschaftlicher Hinsicht hätten der Antragsgegnerin keine Nachteile gedroht.
Rechtliche Würdigung
Die Erwägungen des Vergabesenats zeigen, dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung anwaltlichen Beistands durch den öffentlichen Auftraggeber eine Frage des Einzelfalls ist. Hier gab den Ausschlag, dass Gegenstand des konkreten Nachprüfungsantrags sehr begrenzt war und der Vortrag des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren nicht wesentlich über die Ausführungen in der Rügeantwort hinausging. Die Vergabekammer hatte den Nachprüfungsantrag zudem als offensichtlich unbegründet angesehen. Wenn die Angriffspunkte eines Nachprüfungsantrags ausnahmsweise derart beschränkt und die Rechtslage zudem eindeutig ist, wird dies gegen die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den Auftraggeber sprechen.
Praxistipp
Ausgangspunkt für die Entscheidung über die Anwaltskosten des öffentlichen Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer ist die Analyse der im Nachprüfungsantrag angeführten Angriffspunkte des Bieters. Von einem öffentlichen Auftraggeber wird grundsätzlich erwartet, dass er selbst hinreichende Kenntnisse der auftragsbezogenen Sach- und Rechtsfragen hat und er diesbezügliche Angriffe eines Bieters auch im Nachprüfungsverfahren mit Bordmitteln kontern kann.
In vielen Fällen wird dem Auftraggeber die Notwendigkeit anwaltlichen Beistands aber nicht abzusprechen sein. So liegt es regelmäßig, wenn der Nachprüfungsantrag Fragen im Zusammenhang mit den EU-rechtlichen Grundlagen des Vergaberechts oder prozessuale Fragen (z.B. Rügepräklusion, Antragsbefugnis, Umfang der beantragten Akteneinsicht) aufwirft. Auch ein Zusammenhang der vergaberechtlichen Argumentation des Bieters mit schwierigen Fragen aus speziellen Rechtsgebieten wie z.B. Abfallrecht, Postrecht, Sozialrecht oder Datenschutzrecht kann die Notwendigkeit der Hinzuziehung anwaltlichen Beistands begründen, wenn der Auftraggeber nicht selbst über Personal verfügt, das über die konkret erforderlichen Kenntnisse verfügt.
Gleiches muss gelten, wenn es um neue und in der Rechtsprechung ungeklärte Fragen geht. Das Vergaberecht ist ein dynamisches und stark durch die Rechtsprechung geprägtes Rechtsgebiet. Insbesondere bei Themen, zu denen es uneinheitliche oder sehr einzelfallbezogene und daher schwer zu überblickende Rechtsprechung der Vergabenachprüfungsinstanzen gibt, wird einem Auftraggeber zur Gewährleistung einer sachgerechten Rechtsverteidigung die Hinzuziehung anwaltlichen Beistands kaum zu verwehren sein. Dies gilt vor dem Hintergrund des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit insbesondere dann, wenn auch der Antragsteller anwaltlich vertreten ist. Zwar rechtfertigt die anwaltliche Vertretung des Antragstellers die Hinzuziehung eines anwaltlichen Beistands durch den Auftraggeber für sich genommen nicht. Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit ist jedoch ein Aspekt, der bei der Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts richtigerweise mit in die Waagschale gehört und durchaus auch den Ausschlag geben kann, wenn der Bieter sich durch einen vergaberechtlich spezialisierten Rechtsanwalt vertreten lässt.
Ebenso dürfen auch Art und Umfang des zu vergebenden Auftrags vom Auftraggeber bei seiner Entscheidung über die Hinzuziehung eines Anwalts berücksichtigt werden. Das OLG Düsseldorf hat bereits im Jahr 2000 entschieden, dass eine herausragende Bedeutung eines Auftrags für den Aufgabenbereich des öffentlichen Auftraggebers schon für sich allein die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsbeistands rechtfertigen kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.07.2000 Verg 1/00).
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
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