Der EuGH hat entschieden: Öffentliche Auftraggeber sind bei der Vergabe von Rahmenvereinbarungen (auch nach der neuen Rechtslage) zur Angabe einer Schätz- und Höchstmenge verpflichtet. Ab Erreichen der Höchstmenge verliert die Rahmenvereinbarung ihre Wirksamkeit. Der Auftraggeber hat spätestens ab diesem Zeitpunkt (besser frühzeitig vor Erreichen) seinen Bedarf neu auszuschreiben und ist vergaberechtlich nicht mehr dazu berechtigt, weitere Einzelabrufe zu tätigen. Dieser Beitrag soll öffentlichen Auftraggebern praktische Hinweise auf den Weg geben, wie sie auf die neue Entscheidung reagieren und Risiken für bereits abgeschlossene Rahmenvereinbarungen vermeiden können.
Öffentliche Auftraggeber stehen nun vor der Herausforderung einer vergaberechtskonformen Kalkulation der Schätz- und Höchstmenge: Welche rechtlichen Vorgaben bestehen dabei? Inwiefern darf die Schätz- von der Höchstmenge abweichen? Welcher Wert gilt für die Entscheidung eines Verfahrens ober- oder unterhalb des Schwellenwertes?
Um diese Fragen zu beantworten, bedarf es zu zunächst einer Unterscheidung zwischen Mindestabnahme, Schätz- und Höchstmenge.
Auch nach der Entscheidung des EuGH bleibt es dabei: Eine Mindestabnahmemenge kann – muss aber nicht – angegeben werden. Letztendlich ist es eine rein wirtschaftliche Entscheidung, ob der öffentliche Auftraggeber sich zur Abnahme einer bestimmten Menge verpflichten möchte. Bietern erleichtert die Angabe einer garantierten Menge jedenfalls die Kalkulation der Angebotspreise.
Die Schätz- und Höchstmenge sind dagegen zwingend in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen anzugeben, so der EuGH. Wie die Schätzmenge zu berechnen ist, ist bekannt und gibt der Gesetzgeber klar vor (vgl. § 3 VgV, § 3 VSVgV, § 2 SektVO). Anhand welcher Vorgaben die Höchstmenge zu kalkulieren ist und inwiefern diese von der Schätzmenge abweichen darf, bleibt jedoch offen. Der EuGH schweigt dazu in seiner Entscheidung. Dennoch muss die Höchstmenge sachlich begründbar sein (allgemein geltender Grundsatz). Es ist dem öffentlichen Auftraggeber daher nicht gestattet, unrealistisch hohe Höchstmengen zu benennen, um keineswegs die Gefahr einer Neuvergabe vor Ablauf der ausgeschrieben Vertragslaufzeit der Rahmenvereinbarung zu laufen. Ob die Höchstmenge sachlich begründbar ist, hängt also maßgeblich von einer vernünftigen Budgetplanung ab; also ob Haushaltsmittel in dieser Höhe überhaupt realistisch zur Verfügung gestellt werden können.
Abbildung 1: Angabe der Schätz- und Höchstmenge
Grundsätzlich bleibt es dabei: die Schätzmenge bzw. die Auftragswertschätzung ist weiterhin als Maßstab heranzuzuziehen. Achtung ist jedoch bei dem Sonderfall geboten, bei dem die Schätzmenge zwar unterhalb des maßgeblichen Schwellenwertes liegt, die Höchstmenge diesen jedoch überschreitet. Der vergaberechtlich sicherste Weg wäre entweder die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens oder die Höchstmenge der unterhalb des Schwellenwert liegenden Schätzmenge gleichzusetzen.
Gibt ein öffentlicher Auftraggeber eine garantierte Menge (Mindestabnahmemenge) an und hält sich den Abruf weiterer Mengen als Option offen, so kann dies nur dann als Höchstmenge verstanden werden, wenn der öffentliche Auftraggeber in den Ausschreibungsunterlagen klarstellt, dass er über die Optionsmenge auch nicht mehr abrufen wird. Die Abrufberechtigung des Auftraggebers muss bei Erreichen der Optionsmenge enden. Hält er sich dies hingegen weiterhin offen, kann es sich nicht um eine Höchstmenge handeln.
Dem EuGH zufolge verliert eine Rahmenvereinbarung ihre Wirksamkeit ab Erreichen der Höchstmenge und die Berechtigung des Auftraggebers zu weiteren Einzelabrufen endet. Dem öffentlichen Auftraggeber steht trotz Erreichen der Höchstmenge jedoch die Möglichkeit offen, die in § 132 GWB gesetzlich eingeräumte Möglichkeit zur Auftragserweiterung zu nutzen. Erkennt der Auftraggeber vor Erreichen der Höchstmenge, dass sein Bedarf darüber hinaus geht, so kann er in den Grenzen des § 132 GWB noch über das Abrufvolumen der Höchstmenge Leistungen abrufen. Anknüpfungspunkt für die Grenzwerte in § 132 Abs. 3 GWB ist also die angegebene Höchstmenge.
Der „vergaberechtliche“ Verlust der Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung bedeutet jedoch nicht gleichzeitig, dass der Vertrag „zivilrechtlich“ endet. In zukünftigen Rahmenvereinbarung ist es daher sinnvoll eine Vertragsklausel aufzunehmen, in der das automatische Erlöschen der Vereinbarung mit Erreichen der Höchstmenge geregelt ist. Dabei sollte auch klargestellt werden, dass davon die Möglichkeit des Auftraggebers, in den Grenzen des § 132 GWB weitere Einzelabrufe vor Erreichen der Höchstmenge zu beauftragen, unberührt bleibt. Selbst wenn eine solche Vertragsklausel fehlt, würde das Erlöschen der Rahmenvereinbarung anhand einer ergänzenden Vertragsauslegung begründet werden können.
Abbildung 2: Rahmenvereinbarung mit Angabe einer Höchstmenge
Einige Auftraggeber sehen sich nach der Entscheidung mit der Problematik konfrontiert, welche Auswirkungen die Entscheidung auf bereits ausgeschriebene und vergebene Rahmenvereinbarungen hat, die den Vorgaben des EuGH zur Angabe einer Schätz- und Höchstmenge gerade nicht entsprechen. Beruhigend ist, dass diese nach dem EuGH nicht als unwirksame de-facto Vergabe nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB zu bewerten sind.
Dies scheint rechtlich nicht mehr haltbar zu sein. Unter Berücksichtigung der vom EuGH dargelegten Gründe zur verpflichtenden Angabe der Schätz- und Höchstmenge müsste Folgendes gelten: Die fehlende Höchstmenge ist durch die angegebene Schätzmenge zu ersetzen und wenn selbst diese fehlt, ist die vom Auftraggeber zugrunde gelegte Auftragswertschätzung als Grenze der Abrufberechtigung heranzuziehen. Der Auftraggeber kann nur noch in den Grenzen des § 132 GWB weitere Leistungen abrufen. Öffentliche Auftraggeber sollten daher ihre aktuell laufenden Rahmenvereinbarungen überprüfen und die bisher abgerufenen Mengen mit der angegebenen Schätzmenge bzw. Auftragswertschätzung vergleichen. Dabei sollte bedacht werden, dass andere Bieter nach den jeweils geltenden Informationsfreiheitsgesetzen einen Informationsanspruch auf Mitteilung der bisher abgerufenen Mengen auf Grundlage der vergebenen Rahmenvereinbarung innehaben. Das Angriffsrisiko ist daher nicht zu unterschätzen.
Die „vergaberechtliche“ Unwirksamkeit der Rahmenvereinbarung endet mit Erreichen der Schätzmenge bzw. der Auftragswertschätzung. Der öffentliche Auftraggeber hätte nun die Möglichkeit nach § 313 Abs. 1 und Abs. 3 BGB eine Vertragsanpassung- und Vertragskündigung zu erwirken. Zudem könnte er nach Ausschöpfen der weiteren Abrufmengen nach § 132 GWB gemäß § 133 Abs. 1 Nr. 1 GWB den Vertrag kündigen.
Abbildung 3: Rahmenvereinbarung ohne Angabe einer Höchstmenge
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau Rechtsanwältin Karoline Kniha verfasst.
Karoline Kniha ist Rechtsanwältin in der Sozietät Bird & Bird. Als Associate in der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht in München berät sie Unternehmen sowie die öffentliche Hand in den Bereichen des öffentlichen Wirtschafts- und Vergaberechts.
Dr. Alexander Csaki ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner in der Sozietät Bird & Bird. Als Partner der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht berät er hauptsächlich Mandaten im Gesundheitssektor, im Bereich Verkehr sowie Sicherheit- und Verteidigung, wobei vergabe-, sozial-, regulierungs- und europarechtliche Fragestellungen seine tägliche Praxis bestimmen.
Und welche Regelungen gibt es hinsichtlich der Bestimmung dieser Höchstmenge bzw. des Höchstwertes? Wenn der geschätzte Jahresbedarf / (Wert / Menge) € 200.000,- beträgt, kann man dann einfach als Höchstmenge € 2.000.000 angeben – damit man als Auftraggeber volle Flexibilität hat und „auf der sicheren Seite“ ist? Die Haushaltsmittel kann man ja durch Umschichtungen innerhalb des Titels bereitstellen (dann wird halt eine andere Leistung in diesem Jahr nicht beschafft und die geplante Neuanschaffung eines anderen Gegenstands auf das Folgejahr verschoben)
§ 132 III Nr. 2 GWB sieht ja eine unwesentliche Änderung bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen bis zu 10 Prozent und bei Bauaufträgen von bis zu 15 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes.
Wenn man aber jetzt einfach den Höchstwert auf +100 % oder + 1.000% des geschätzten Auftragswertes setzt wäre man fein raus. Und auf dem Papier begründen ließe sich das ja auch irgendwie: „wenn es jetzt wegen des Klimawandels von November bis März jeden zweiten Tag durchgängig schneit, braucht man halt + 5.000 % mehr Streusalz“
Das kann aber ja eigentlich nicht die Idee hinter dem EuGH Urteil sein, denn da geht es ja um Bieterschutz.