Während des laufenden Vergabeverfahrens erkannte Fehler und Ungenauigkeiten in der EU-Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen können durch eine Änderungsbekanntmachung bzw. die Veröffentlichung überarbeiteter Vergabeunterlagen korrigiert werden. Nicht vergessen werden darf, dass auch bereits veröffentlichte Antworten auf Bieterfragen in solchen Fällen auf Korrekturbedarf zu prüfen sind.
§ 97 Abs. 1 GWB
1. Es verstößt gegen das Transparenzgebot, wenn potenzielle Bieter aufgrund mehrerer Auslegungsmöglichkeiten der Vergabeunterlagen keine eindeutige Grundlage für ihr Angebot haben.
2. Auch missverständliche Antworten in Bieterinformationen können einen Transparenzverstoß begründen. Um eine Fortwirkung des Transparenzverstoßes auszuschließen, sind missverständliche Antworten ausdrücklich zu revidieren.
Der Auftraggeber schreibt die „Durchführung von Objekt- und Personenschutz in Form von Bewachungs- und Sicherheitsdienstleistungen in der Unterkunft für wohnungslose und geflüchtete Personen“ aus.
Zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit werden in der EU-Bekanntmachung u.a. die „Angabe, nach welchem Tarifvertrag die eingesetzten Kräfte monatlich, termingerecht und vollständig entlohnt werden“ und eine „Verpflichtungserklärung Vergabemindestlohn“ gefordert. Nach der Leistungsbeschreibung soll die Abrechnung zu „den im Angebot genannten Festpreisen als einheitlicher Stundenverrechnungssatz“ erfolgen. Nachforderungen des Auftragnehmers sind unzulässig. Dies soll auch für Fälle von „Erhöhungen der tariflichen Löhne durch einen freiwilligen Wechsel des bislang anwendbaren Tarifvertrags“ gelten. Die Bieter sollen mit Angebotsabgabe angeben, nach welchem Tarifvertrag die eingesetzten Kräfte entlohnt werden.
Auf eine Bieterfrage (Bieterfrage Nr. 3) teilt der Auftraggeber in der Bewerberinformation Nr. 1 mit, das der Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Schleswig-Holstein vom 3.6.2021 „bei Anbietern aus Schleswig-Holstein Anwendung finde“. Jeder Anbieter werde sich nach den bei ihm geltenden Tarifverträgen richten müssen.
Mit einer weiteren Bieterinformation informiert der Auftraggeber die Bieter über Änderungen u.a. bei den vorzulegenden Nachweisen. Zugleich veröffentlicht der Auftraggeber eine Änderungsbekanntmachung im EU-Amtsblatt. Danach ist die Angabe, nach welchem Tarifvertrag die eingesetzten Kräfte entlohnt werden, nun nicht mehr erforderlich und auch eine Verpflichtungserklärung Vergabemindestlohn muss nicht mehr vorgelegt werden.
Mit Vorabinformation nach § 134 GWB teilte der Auftraggeber der Antragstellerin mit, dass das von ihr abgegebene Angebot nicht das wirtschaftlichste gewesen sei und er beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Nach vorangegangener Rüge stellt die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag. Sie macht geltend, dass die Beigeladene sowie ein weiterer vor ihr platzierter Bieter auszuschließen seien. Sie habe ihr Angebot so kalkuliert, das dieses soeben auskömmlich sei. Die besser platzierten Bieter könnten ihren Preis nur unter Missachtung gesetzlicher und tariflicher Grundlagen oder von Kalkulationsvorgaben des Auftraggebers unterschritten haben. Sowohl in Bezug auf die Anwendung des Lohntarifvertrags für Sicherheitsleistungen in Schleswig-Holstein als auch im Hinblick auf die Einordnung des Bewachungsobjekts als Flüchtlingsunterkunft habe die Auftraggeberin Kalkulationsvorgaben gemacht.
Im Nachprüfungsverfahren trägt der Auftraggeber u.a. vor, dass der von der Beigeladenen kalkulierte Stundengrundlohn sowohl unterhalb des ab 1. Juli 2021 geltenden Lohntarifvertrags für Sicherheitsdienstleistungen in Schleswig-Holstein als auch unterhalb des vorherigen (für allgemeinverbindlich erklärten) Lohntarifvertrags für Sicherheitsdienstleistungen in Schleswig-Holstein vom 5. Dezember 2019 liege. Dies sei nicht zu beanstanden, da nicht gefordert gewesen sei, dass der künftige Auftragnehmer seine Mitarbeiter nach einem Tarifvertrag vergüte. Die Beigeladene habe erklärt, nicht tarifgebunden zu sein. Diese Aussage sei nicht in Zweifel zu ziehen. Die Beigeladene habe mitgeteilt, dass sie im Jahr 2021 Personal neu eingestellt habe, das für die Ausführung des Auftrags vorgesehen sei. Für diese Beschäftigten entfalte der vorherige allgemein verbindliche Tarifvertrag keine Nachwirkung.
Die Vergabekammer Schleswig-Holstein weist den Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung zurück. Zwar habe der Auftraggeber u.a. deshalb gegen den Transparenzgrundsatz verstoßen, weil er Bieterfragen in einer mehrdeutigen Weise beantwortet habe. Die Intransparenz sei jedoch nicht kausal dafür, dass die Antragstellerin nicht den ersten Platz in der Bieterreihenfolge erreicht habe. Der Auftraggeber habe nicht festgelegt, dass mit einem tariflichen Lohn angeboten werden müsse. Zwar gebe die Formulierung der Antwort in der Bieterinformation Nr. 3 die Möglichkeit einer Fehlinterpretation, so dass die Vergabeunterlagen intransparent seien. Diese Intransparenz habe sich aber nicht zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt, denn diese sei tarifgebunden und habe daher mit Tariflohn anbieten müssen.
Die Antragstellerin legt gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein und stellt einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde. Sie trägt vor, dass sie nicht mit Tariflohn habe anbieten müssen. Sie habe allein deshalb die Stundenlöhne aus dem Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Schleswig-Holstein in ihrem Angebot zugrunde gelegt, weil der Auftraggeber den Lohntarifvertrag in der Bieterinformation Nr. 3 und der Auftragsbekanntmachung für anwendbar erklärt habe. Ohne diese Vorgabe hätte sie ihr Angebot – mit Ausnahme eines Sonderzuschlags aufgrund eines für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrags – frei und auf Basis des Vergabemindestlohns kalkulieren können.
Das OLG Schleswig gibt dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde statt. Bei einer summarischen Prüfung stehe nicht fest, dass die sofortige Beschwerde der Antragstellerin keine oder nur geringe Aussicht auf Erfolg habe. Das Interesse der Antragstellerin an der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung überwiege das Interesse des Auftraggebers an einem zügigen Abschluss des Vergabeverfahrens.
Nach summarischer Prüfung könne eine Rückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe wegen eines Verstoßes des Auftraggebers gegen den Transparenzgrundsatz in Betracht kommen. Vergabeunterlagen seien klar und eindeutig zu formulieren, so dass sie von allen Unternehmen im gleichen Sinne verständlich seien und die Angebote miteinander verglichen werden könnten. Wenn für fachkundige Unternehmen auch nach Auslegungsbemühungen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben, seien Vergabeunterlagen nicht eindeutig. Die Angaben in der Bewerberinformation Nr. 1 habe bei den Bietern die Vorstellung wecken können, dass sie den Tariflohn nach dem Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Schleswig-Holstein vom 3.6.2021 anbieten müssten. Die Intransparenz sei durch die nachfolgende Bieterinformation sowie die Änderungsbekanntmachung im EU-Amtsblatt nicht hinreichend beseitigt worden.
Die Intransparenz könne sich auch zu Lasten der Antragstellerin ausgewirkt haben. Die Antragstellerin habe unwidersprochen und unwiderlegt vorgetragen – mit Ausnahme des Sonderzuschlags aufgrund des für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrags – nicht tarifgebunden zu sein. Bei einem hinreichend transparenten Vorgehen der Vergabestelle hätte die Antragstellerin daher auf Grundlage des Vergabemindestlohns nach § 4 Vergabegesetz Schleswig-Holstein zzgl. des vorgenannten Sonderzuschlags kalkulieren und so erheblich preisgünstiger anbieten können. Es sei möglich, dass die Antragstellerin dann die günstigste Bieterin gewesen wäre.
Das OLG Schleswig stellt fest, dass Auftraggeber sich nicht hinreichend deutlich von der missverständlichen Antwort auf die Bieterfrage 3 distanziert habe. Für den Auftraggeber sei es geboten gewesen, die „missverständliche und rechtlich unzutreffende Antwort“ auf die Bieterfrage 3, dass bei Anbietern aus Schleswig-Holstein der Lohntarifvertrag für Sicherheitsdienstleistungen in Schleswig-Holstein vom 3. Juni 2021 Anwendung finde und sich jeder Bieter nach dem bei ihm geltenden Tarifvertrag richten müsse, „im Wege eines actus contrarius“ ausdrücklich als gegenstandslos zu bezeichnen.
Ein transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren erfordert, dass die Voraussetzungen für die Teilnahme an dem Vergabeverfahren im Vorhinein eindeutig festgelegt und bekanntgegeben werden. Die Eignungsanforderungen müssen nach § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB bereits in der EU-Bekanntmachung bzw. der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufgeführt werden. Stellt der Auftraggeber im Nachhinein fest, dass er seine bekanntgemachten Eignungsanforderungen ändern muss, kann er dies im Wege einer „Bekanntmachung über Änderungen oder zusätzliche Angaben“ im EU-Amtsblatt tun. Um den Bietern Gelegenheit zu geben, sich auf die geänderten Anforderungen einstellen zu können, wird dann im Regelfall die Teilnahme- bzw. Angebotsfrist zu verlängern sein.
Wie die Entscheidung des OLG Schleswig zeigt, genügt die Veröffentlichung einer Änderungsbekanntmachung bzw. einer geänderten Fassung der ursprünglichen Bewerbungs- bzw. Angebotsbedingungen oder der Leistungsbeschreibung für eine
vergaberechtskonforme Korrektur von Ausschreibungsvorgaben unter Umständen jedoch nicht. Auch die während des Vergabeverfahrens vom Auftraggeber erteilten Antworten auf Bieterfragen sind Bestandteil der Vergabeunterlagen. Im Zuge der Überarbeitung der Angaben in der Bekanntmachung und der sonstigen Teile der Vergabeunterlagen muss die Vergabestelle daher auch prüfen, ob die hierzu in Bieterinformationen erteilten Antworten ebenfalls unzutreffend oder irreführend sind bzw. dies durch die Änderungen geworden sind. Zwar mag bei einer Auslegung aus Sicht eines verständigen Bieters in vielen Fällen klar sein, dass bestimmte frühere Bieterinformationen infolge einer späteren Änderung anderer Teile der Vergabeunterlagen nicht mehr passen. Verbleibende Unklarheiten gehen jedoch nicht zu Lasten des Bieters. Die scharfe Sanktion der Ablehnung eines Teilnahmeantrags oder des Ausschlusses eines Angebots kann nur auf klare und unmissverständliche Vorgaben gestützt werden. Im Zweifelsfall sind missverständliche Antworten auf Bieterfragen dann mit einer weiteren Bieterinformation ausdrücklich zu revidieren bzw. für gegenstandslos zu erklären.
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
Frage:
Was haben die oben zitierten Forderungen des Auftraggebers mit der wirtschaftlichen Leistunsgfähigkeit zu tun?
M.E. nichts!