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„Die Kultur des Vergaberechts“ – Ein Rückblick auf den 19. & 20.01.2023


Das Forum „Die Kultur des Vergaberechts“ ist ein neues Tagungsformat, das das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) unter der fachlichen Leitung von Prof. Hermann Hill, Staatsminister a.D. erstmals am 19. und 20. Januar 2023 in Berlin ausgerichtet hat. Auf der Tagungsagenda fanden sich Themen und Vorträge, die über beschaffungs- und vergaberechtliche Fragestellungen hinausgingen. Ein Rückblick:

Die Idee

Das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW) richtet seit vielen Jahren Kongresse und Seminare zur öffentlichen Beschaffung aus. Angesichts der teils aktuell akuten aber teils auch lange bekannten Herausforderungen der öffentlichen Beschaffung wurde deutlich, dass im Netzwerk der Bedarf besteht, sich auch über Rahmenbedingungen und „weiche“, nicht gesetzlich geregelte Aspekte der Vergabe auszutauschen.

Gemeinsam mit Prof. Hermann Hill, Staatsminister a.D., richten wir den Blick deshalb auf Themen, die das Verwaltungshandeln (teilweise indirekt) beeinflussen. wie Innovationsfähigkeit, Transformation und Nachhaltigkeit. Hill war Mitglied des Sachverständigenrates „Schlanker Staat“ der Bundesregierung und verschiedener Kommissionen zur Verwaltungsreform auf Bundes- und Landesebene. Er war u.a. Mitveranstalter der Qualitätswettbewerbe der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. (Alle Tagungen mit Prof. Hill kennenlernen.)

Angesichts der vielfältigen Krisen und Herausforderungen geraten auch Auftrag und Funktion des Vergaberechts in die Diskussion. Grund genug, der „Kultur des Vergaberechts“ eine eigene Tagung zu widmen.

Der Tagungsrahmen

Mit dem Haus der Bundespressekonferenz in Berlin-Mitte, unmittelbar gegenüber dem Reichstagsgebäude und die Heimat des Bundespressekonferenz e.V., war ein geeignetes Tagungszentrum gefunden um mit 100 Teilnehmenden aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung Fragestellungen um den Themenkomplex strategische Perspektiven und Impulse zur Zukunftsfähigkeit des Vergaberechts nachzugehen.

Ab der Mittagszeit trafen sich bereits die ersten Teilnehmenden bei Kaffee und leichtem Imbiss um sich auf die Agenda einzustimmen. Die Fragestellungen, wie Beschaffung gelebt werden muss, wie Beschaffenden die Aufmerksamkeit zukommt, die es bedarf, um den politisch gewollten Stellenwert der Beschaffung in der Praxis zu generieren, luden bereits vor dem offiziellen Beginn zu Diskussion ein.

Die Agenda – Tag 1 – DER MENSCH IM MITTELPUNKT

Die Begrüßung war, anders als bei den anderen Tagungen des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) nicht den Geschäftsführern Marko Junk und Martin Mündlein, sondern Prof. Dr. Hermann Hill als fachlichen Leiter vorbehalten. Und diese Einführung steckte die Ziele bereits weit ab: Redegewand und kommunikationsstark band Prof. Hill die Teilnehmenden – fast schon wie in einer Vorlesung – in seine thematische Einführung ein und brachte den Appell aus, die Transformation des Vergaberechts auch als Chance zur Transformation der Verwaltung insgesamt zu nutzen.

Im Anschluss dieser pointierten Einführung übernahm Diplom-Psychologin und Rechtsassessorin Alica Mohnert. Ihr interdisziplinärer Vortrag verband die Themen Recht und Psychologie. Und da, so Frau Mohnert, Psychologie auch dann wirkt, wenn man versucht, sie zu ignorieren, beleuchtete sie in ihrem Vortrag mögliche Fehler und Fallen bei der menschlichen Entscheidungsfindung. Sie kommt in ihrem Vortrag zu dem Ergebnis, das sachgerechte Entscheidungen psychologische Kompetenzen erfordern; mögliche Fehler und Fallen der Entscheidungsfindung zu erkennen und möglichst zu vermeiden kann daher gerade bei der Verausgabung von Haushaltsmittel nicht verkehrt sein.

Die Agenda – Tag 1 – ZIELE UND HERAUSFORDERUNGEN

Nach einer kurzen Netzwerkpause bei Kaffee und Imbiss lag der thematische Fokus auf den Zielen und Herausforderungen der Beschaffung. Was strategische Beschaffung auszeichnet und wie Nachhaltigkeitskriterien im Vergabeverfahren berücksichtigt werden können, erläuterte Frau Dr. Irene Lausen, Referatsleiterin Vergabewesen im Hess. Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. In ihrem Vortrag arbeitete sie insbesondere heraus, dass das Vergaberecht keine Definition der „Nachhaltigkeit“ bereitstelle. Es sei daher eine gute Orientierungshilfe, diesen Begriff mit den Belangen von zukünftigen Generationen zu füllen.

Jana Zacharias vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) berichtete von den aktuellen Vorhaben des BMWK, das Vergaberecht weiterzuentwickeln. Der Überblick unter dem Titel „Vergaberecht als Motor der Transformation“ zeigte auf, mit welchen Stellschrauben das Vergaberecht die Transformation der gesamten öffentlichen Verwaltung vorantreiben kann. Denn die Beschaffenden sind im Zugzwang ihre Arbeitsweisen und Prozesse so weit wie möglich an Anforderungen der Wirtschaft anzupassen. Nicht nur weil die Anzahl der abgegebenen Angebote in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken sind, sondern auch weil die transformatorischen Ansprüche wachsen. Beschaffungsgegenstände beinhalten häufiger innovative, vorher nicht berücksichtigte Elemente, Nachhaltigkeit gewinnt an Stellenwert und die Digitalisierung birgt viele Chancen aber auch Herausforderungen für den Vergabealltag.

Die Agenda – Tag 1 – INHOUSE-VERGABE UND DIGITALE VERGABE

Bevor eine austausch- und diskussionsreiche Agenda am Tag 1 zu Ende ging, standen noch die Themen Inhouse und digitale Vergabe auf dem Tableau.

Dr. Sönke Schulz betrachtete in seinem Vortrag „Nachnutzung von Online-Diensten im föderalen Staat als Herausforderung für das Vergaberecht“ anschaulich und zugleich anspruchsvoll mehrdimensionale Inhouse-Gestaltungen. Ein Beispiel für eine intakte Bund-Länder-Kommunale Zusammenarbeit wählte Dr. Schulz den Marktplatz govdigital. Als weiteren Denkanstoß gab Dr. Schulz den Teilnehmenden folgende Fragestellung mit: Wenn institutionalisierte Inhouse-Konstellationen wie etwa govdigital für IT-Leistungen praktisch funktionieren, müssen solche Konstellationen dann zwingend auf IT-Leistungen begrenzt werden?

Die „digitale Vergabe zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens“ war das Thema von Rechtsanwalt Henrik-Christian Baumann und letzter Impulsvortrag des Tages. Herr Baumann stellte heraus, dass die zwei Themen, die den öffentlichen Sektor 2023 am meisten bewegen werden, die Digitalisierung und noch mehr die Personalnot sein werden. Es sei daher wichtig, wenn die Kultur thematisiert werde, den Menschen nicht außer Betracht zu lassen. Vergaben werden nicht nur im Vergabeverfahren beschleunigt und digitalisiert. Der Beschaffungsprozess müsse insgesamt betrachtet werden.

Den Tagesabschluss bildete ein Abendempfang, bei dem die Teilnehmenden die Eindrücke des Tages diskutieren und auswerten konnten.

Die Agenda – Tag 2 – ENTSCHEIDUNGSSPIELRÄUME

Der zweite Tag startete mit dem Themenkomplex „Entscheidungsspielräume“, für den wir einen Blick auf bereits vorhanden Freiräume bei der Gestaltung von Vergabeverfahren werfen wollten. Felix Zimmermann, der Leiter des Referats DGI5, Öffentliches Auftragswesen und Digitalisierung des öffentlichen Einkaufs, im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), setzte den Startschuss. Er betrachtete Vergabeverfahrens sowie die daran beteiligten Personen ganzheitlich und zeigte auf, wo Komplexität reduziert werden könnte, um eine schnellere und effizientere Beschaffung zu ermöglichen. Dafür nutze er eine sehr anschauliche Anekdote über ein selbst gemaltes Bild, mit dem er seinem Kind ein Vergabeverfahren erklären wollte. Dieser Versuch die Vergabe möglichst einfach und verständlich zu erklären, machte besonders deutlich, an welchen Stellen Änderungsmöglichkeiten bestehen.

Eine der möglichen Stellschrauben, wurde direkt im nächsten Vortrag besprochen: Agile Arbeitsmethoden, die in der Privatwirtschaft genutzt werden, um mehr Flexibilität und kürzere Reaktionszeiten zu unterstützen. Katja Frischmuth, LL.M., Doktorandin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, sprach über die Herausforderung, die Agilität für die Vergabe bedeutet, und ordnete die agiles Arbeiten auch in den aktuell gültigen Rechtsrahmen ein.

Häufig werden vorhandene Spielräume von den Vergabestellen nicht genutzt, auch weil eine Rechtsunsicherheit besteht, zum Beispiel bei der Wahl der Vertragsart oder bei Änderungen des Leistungsumfangs.

Nach ausführlichen Diskussionen und einer kurzen Kaffeepause ging es weiter mit dem letzten Themenkomplex „Innovation und Partnerschaft“.

Die Agenda – Tag 2 – INNOVATION UND PARTNERSCHAFT

Susanne Kurz, stellvertretende Leiterin des Kompetenzzentrums innovative Beschaffung (KOINNO), stellte die neue Markterkundungsplattform für innovative Bedarfe, den KOINNOvationsplatz, vor. Dabei betonte Sie auch die Wichtigkeit der Markterkundung für die Beschaffung von Innovationen. Außerdem gab Sie Impulse, wie BeschafferInnen mit einer Innovationspartnerschaft auch Lösungen finden können, die so nicht auf dem Markt verfügbar sind.

Die Innovationskraft und Schnelligkeit von Start-ups sind zwei Stärken, die der Staat nutzen muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch wie können Vergabestellen und Start-ups fruchtbare und innovative Partnerschaften schließen? Anja Theurer, Vorstand bei Staat-up, sprach über häufige Probleme und Lösungsansätze.

Für viele BeschafferInnen ist die rechtliche Absicherung das oberste Gebot, weshalb sie sich bei der Beauftragung lieber an bekannte und bewährte Auftraggeber halten, anstatt neue oder unbekannte Firmen zu wählen. Dabei gäbe es durch aus innovationsfreundliche Verfahrensarten und andere im rechtlichen Rahmen nutzbare Ansätze, die in der Praxis aber nicht oft genug genutzt werden.

Staat-up hat deshalb das Projekt „Start-up Beschaffungsindex“ gestartet. Dabei soll im ersten Schritt ermittelt werden, wie viele öffentliche Aufträge tatsächlich an Start-ups vergeben werden, um auf Basis dieser Daten Lösungsansätze zu finden.

Ausblick

Sobald feststeht, wann die nächste Ausgabe von „Die Kultur des Vergaberechts“ stattfindet, erfahren Sie es natürlich hier im Vergabeblog (zum E-Mail-Benachrichtigungsdienst, wählen Sie „Veranstaltungen“), auf LinkedIn oder über den Akademie-Newsletter.

Am 16. & 17. März 2023 findet die nächste Tagung mit Prof. Hill statt, Gute Führung und Zusammenarbeit. Das neue Tagungsformat stellt die Frage, wie Führungskräfte der öffentlichen Verwaltung besonders in Krisenzeiten zur Zukunftsfähigkeit Ihrer Behörde beitragen und die Mitarbeitenden bei der Bewältigung der unterschiedlichen Herausforderungen optimal unterstützen können.

Wir bedanken uns bei allen SprecherInnen und TeilnehmerInnen, dass Sie die Tagung mit Ihren Beiträgen bereichert haben und freuen uns darauf, Sie beim nächsten Mal wieder begrüßen zu dürfen.

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