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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 31/08/2020 Nr. 44782

Elektronische Angebotsabgabe: Bieter müssen ausreichend Zeit einkalkulieren (VK Bund, Beschl. v. 29.05.2020 – VK 2-19/20)

EntscheidungAuch im Verhandlungsverfahren gilt: Keine Gnade bei verspätetem Angebot. Das Verhandlungsverfahren lässt zwar ein Nachverhandeln über den Angebotsinhalt zu. Gleichwohl sind die allgemeinen Formvorschriften, insbesondere auch die Vorgaben zur Angebotsfrist, einzuhalten. Verzögert sich die elektronische Angebotsabgabe deshalb, weil das Bietertool zunächst ein Update installiert, geht die Verzögerung zulasten des Bieters.

§ 31 Abs. 2 Nr. 5 VSVgV

Leitsatz

  1. Erstangebote im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens sind „normale“ Angebote, für die alle Regeln des Vergaberechts gelten, soweit nicht spezifische Ausnahmen für Verhandlungsverfahren vorgesehen sind.
  2. Die spezifische Ausnahme für Angebote im Verhandlungsverfahren ist die Nicht-Geltung des Nachverhandlungsverbots.
  3. In Bezug auf die Einhaltung von Fristen ist für Erstangebote im Verhandlungsverfahren keine Ausnahme vorgesehen, so dass auch diese fristgerecht einzureichen sind.
  4. Funktioniert in einem elektronischen Vergabeverfahren das Hochladen nicht auf Anhieb und führt dies zu einer (hier: sehr geringfügigen) zeitlichen Verzögerung mit der Folge des Versäumnisses der Angebotsfrist, fällt dies in die Sphäre des Bieters.

Sachverhalt

Ein Auftraggeber führte nach den Regelungen der VSVgV ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb durch. In diesem Zug wollte ein Bieter über das Online-Vergabeportal nach eigenen Angaben rund 30 Minuten vor Ende der Angebotsfrist sein Erstangebot abgeben. Nach technischen Schwierigkeiten mit dem Bietertool (es war zunächst eine Update-Installation erforderlich) war das Angebot jedoch erst 7 Minuten nach Ende der Angebotsfrist vollständig hochgeladen. Mit dem technischen Bietersupport hatte sich der Bieter nicht in Verbindung gesetzt. Der Auftraggeber schloss das Angebot wegen des verspäteten Eingangs aus.

Hiergegen wendete sich der Bieter mit der Begründung, die technischen Schwierigkeiten seien der Sphäre des Auftraggebers zuzurechnen. Auch ein vom Bieter zu installierendes Tool sei der Sphäre des Auftraggebers zuzurechnen, da ohne dieses Tool die Beteiligung am Vergabeverfahren nicht möglich sei.

Darüber hinaus vertrat der Bieter die Auffassung, dass im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens die (geringfügige) Überschreitung der Angebotsfrist zudem nicht zum Ausschluss des Angebots führen müsse, da ohnehin weitere Angebotsrunden stattfinden sollten.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer folgte der Argumentation des Bieters nicht. Der verspätete Angebotseingang ist nach Auffassung der VK Bund vom Bieter zu vertreten. Die auf dem Rechner des Bieters zu installierende E-Vergabe-App ist seiner Sphäre zuzurechnen, sodass auch die erforderliche Update-Installation vor dem Hochladen des Angebots allein in der Verantwortung des Bieters liegt. Die Vergabekammer führt zudem aus, dass Bieter solche Umstände im Prozess der Angebotsabgabe einkalkulieren müssen und deshalb gehalten sind, die Angebotsabgabe mit ausreichendem Zeitpuffer vorzunehmen. Im Übrigen hätte sich der Bieter vor Ende der Angebotsfrist an den technischen Support wenden können, um so ggf. eine Verlängerung der Angebotsfrist aufgrund seiner technischen Probleme zu bewirken.Gleichzeitig stellt die VK Bund auch klar, dass auch im Verhandlungsverfahren die vorgegebenen Fristen zwingend zu beachten sind. Auch bei Erstangeboten im Verhandlungsverfahren handele es sich um „normale“ Angebote, für die alle Regeln des Vergaberechts gelten.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung der Vergabekammer des Bundes zeigt einmal mehr, dass die E-Vergabe und damit zusammenhängende technische Probleme in regelmäßigen Abständen neue vergaberechtliche Probleme aufwerfen. Im vorliegenden Fall konnte der Fehler wohl recht eindeutig der Sphäre des Bieters zugeordnet werden, sodass die Entscheidung der Vergabekammer nicht überraschend war. Rechtlich spannender würde es dann, wenn nicht abschließend geklärt werden kann, wessen „Sphäre“ ein technisches Problem zuzuordnen ist, da der Amtsermittlungsgrundsatz im Nachprüfungsverfahren eigentlich keine Beweislastentscheidung kennt.

Praxistipp

Die im Bereich der VSVgV ergangene Entscheidung ist ohne Weiteres auch auf andere Verfahrensordnungen übertragbar. Sie zeigt einmal mehr, dass sich Bieter bei der Angebotsabgabe nicht auf das reibungslose Funktionieren der Software verlassen dürfen. So wie auch schon zu Zeiten der „Papier-Angebote“ der „Kurierfahrer im Stau“ dem Bieter zuzurechnen war, gibt es auch in der Welt der E-Vergabe Verzögerungen, die der Bieter zu vertreten hat und die letztlich nur durch ausreichenden Zeitpuffer in den Griff zu bekommen sind. Auch die Entscheidung der VK Bund zeigt einmal mehr, dass Bieter bei technischen Problemen schnellstmöglich versuchen sollten, eine Verlängerung der Angebotsfrist zu erwirken.

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Dr. Alexander Dörr

Dr. Alexander Dörr ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Er berät bundesweit in erster Linie die öffentliche Hand bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsprojekten sowie bei komplexen vergaberechtlichen Fragestellungen. Ein Schwerpunkt bildet dabei die rechtliche und strategische Begleitung von großvolumigen Ausschreibungsvorhaben öffentlicher Auftraggeber, überwiegend im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Daneben vertritt Herr Dörr regelmäßig öffentliche Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem hält er zu unterschiedlichen vergaberechtlichen Themen Schulungen und Seminare. Dr. Dörr ist unter anderem Dozent am Bildungszentrum der Bundeswehr. Er publiziert darüber hinaus zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und ist regelmäßiger Autor auf vergabeblog.de.

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2 Antworten zu „Elektronische Angebotsabgabe: Bieter müssen ausreichend Zeit einkalkulieren (VK Bund, Beschl. v. 29.05.2020 – VK 2-19/20)“

  1. Avatar von René M. Kieselmann

    Interessant. Dass ein formaler Ausschluss schon beim Erstangebot erfolgt, ist erstaunlich. Das wäre allenfalls nachvollziehbar, wenn schon auf das erste Angebot der Zuschlag erteilt werden kann (dazu konnte ich in der Entscheidung nichts finden). Vor dem Hintergrund, dass im Verhandlungsverfahren meist (und sinnvollerweise) weiter verhandelt wird, ist die Entscheidung zu hinterfragen.

    1. Avatar von Alexander Dörr
      Alexander Dörr

      In Bezug auf die Angebotsfrist kann ich es vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebots noch nachvollziehen. Die Vergabekammer führt jedoch recht pauschal aus, dass es sich auch bei Erstangeboten im Verhandlungsverfahren um „normale“ Angebote handele, für die alle Regeln des Vergaberechts (mit Ausnahme des Nachverhandlungsverbots) gelten würden. Konsequent zu Ende gedacht, müssten dann auch Abweichungen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen zum Ausschluss indikativer Angebote führen. Dies sah das OLG Düsseldorf – meines Erachtens zurecht – in der Vergangenheit anders. Gerade das etwas lockerere Korsett macht ja das Verhandlungsverfahren aus.