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Interimsvergaben zur Daseinsvorsorge sind vollständig EU-rechtskonform – unabhängig von der Frage der Zurechnung. Eine Replik.

In dem Beitrag „Interimsvergabe. Ein rechtswidriger Kunstgriff, der mit geltendem Recht nicht in Einklang zu bringen ist“  () beanstandet der Autor die aus seiner Sicht vergaberechtswidrige Spruchpraxis zu Interimsvergaben zur Daseinsvorsorge. Zu Unrecht! Der nachfolgende Beitrag erklärt, weshalb diese Interimsvergaben vollständig EU-rechtskonform sind.

Knapp zusammengefasst vertritt der Autor des betreffenden Artikels die Ansicht, die Rechtsprechung habe das ungeregelte Rechtsinstitut der Interimsvergabe erschaffen, um Direktvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge auch dann zu legitimieren, wenn die Voraussetzungen einer Dringlichkeitsvergabe gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV nicht vorliegen, weil die Ursachen dem Auftraggeber zuzurechnen seien. Das Argument, dass diese Leistungen zur Aufrechterhaltung der Kontinuität der Daseinsvorsorge erforderlich seien, so dass eine Feststellung der Unwirksamkeit der Verträge nicht in Betracht komme, überzeugt den Autor nicht. Er fordert – anknüpfend an eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin – eine rechtsfolgenseitige Lösung des Problems und zwar in Form einer Bußgeld- oder Strafzahlung für Auftraggeber. Dabei verweist er insbesondere auf einige Passagen der Rechtsmittelrichtlinie, die diese alternativen Sanktionen doch vorsähe.

Der nachfolgende Beitrag legt dar, dass Interimsvergaben keineswegs immer unvereinbar mit geltendem Vergaberecht sind und begründet, weshalb diese jedenfalls im Bereich der Daseinsvorsorge nach den Vorgaben der EU-Rechtsmittelrichtlinie auch im Übrigen nicht finanziell sanktioniert werden dürfen und müssen.

Darüber hinaus formuliert er abschließend einen Gegenvorschlag.

I. Was ist eine Interimsvergabe (und was nicht)?

Um die nachfolgende Argumentation im Einzelnen nachvollziehen zu können, bedarf es zunächst einer Klärung des Begriffs der Interimsvergabe. Denn unbestreitbar richtig ist, dass weder das GWB, noch die VgV oder irgendeine andere Vergabe(ver)ordnung einen Ausnahmetatbestand für „Interimsvergaben“ vorsieht.

1. Kennzeichnend für die Interimsvergabe: Überbrückung und Akzessorietät zum „Hauptsache“-Vergabeverfahren

Da es keinen entsprechenden normierten Ausnahmetatbestand gibt, gibt es zwar auch keine gesetzliche Definition einer Interimsvergabe. Der Begriff ist allerdings selbsterklärend. „Interim“ (latein.) bedeutet „einstweilen, unterdessen“ – ein Interimsauftrag ist also ein Auftrag, der nicht dauerhaft und endgültig an ein Unternehmen vergeben wird, sondern lediglich zur Überbrückung (vgl. z.B. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 30.1.2014, Az: 11 Verg 15/13) eines noch nicht abgeschlossenen, aber bereits laufenden oder bevorstehenden Vergabeverfahrens. Der klassische Anwendungsfall liegt vor, wenn ein Nachprüfungsverfahren ein Vergabeverfahren so verzögert, dass es (voraussichtlich) nicht rechtzeitig vor Auslaufen des Bestandsvertrags abgeschlossen werden kann, so dass eine „Versorgungslücke“ droht.

Kennzeichnend für die Interimsvergabe ist also ihre Akzessorietät zu einem bereits laufenden oder bevorstehenden Vergabeverfahren über den eigentlichen Beschaffungsbedarf. Die Rechtsprechung begrenzt zulässige Interimsvergaben dementsprechend auf den Zeitraum, der erforderlich ist, um ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchzuführen und abzuschließen.

Das heißt aber auch: für den eigentlichen Bedarf führt der Auftraggeber durchaus ein reguläres Vergabeverfahren durch. Er geht einem solchen Vergabeverfahren also nicht durch eine Direktvergabe „aus dem Weg“ und er erspart sich auch keinen Aufwand. Im Gegenteil: die Interimsvergabe kommt noch zum eigentlichen Vergabeverfahren hinzu. Für Auftraggeber ist sie daher unattraktiv.

Diese Feststellungen werden für die Bewertung der Rechtmäßigkeit von Interimsvergaben zur Daseinsvorsorge und einer diesbezüglichen finanziellen Sanktion in den letzten beiden Abschnitten dieses Beitrags noch von Bedeutung sein.

2. Abgrenzung zur Dringlichkeitsvergabe

Von der Interimsvergabe abzugrenzen ist die Dringlichkeitsvergabe gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV. Nicht jede Dringlichkeitsvergabe erfolgt interimsweise.

Unter Berufung auf den Dringlichkeitstatbestand können vielmehr auch Auftragsvergaben fallen, die nicht nur zur Überbrückung erfolgen. Wenn beispielsweise zur Abwehr einer akuten Epidemie Impfstoffe beschafft werden oder auch eine Software, oder wenn Sandsäcke zur Abwehr einer Hochwasserkatastrophe beschafft werden, dann erfolgen diese Beschaffungen nicht akzessorisch zu einem laufenden Vergabeverfahren, sondern einmalig und dauerhaft.

Zwar wohnt allen Dringlichkeitsvergaben eine gewisse zeitliche Begrenzung inne, da sie nur in dem Zeitraum gerechtfertigt sein können, in dem ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren nicht möglich ist. Bei einmaligen Lieferleistungen kommt diese zeitliche Begrenzung aber in aller Regel nicht zum Tragen. Bei zeitlich begrenzbaren Leistungen dürfen Dringlichkeitsvergaben dagegen nicht eine jahrelange Laufzeit abdecken, da inzwischen durchaus auch ordnungsgemäße Vergabeverfahren durchgeführt werden können. Dringlichkeitsvergaben sind dann tatsächlich zugleich auch Interimsvergaben. Dieser Zusammenhang ist aber nicht zwingend, und die beiden Begriffe sind daher auch keine Synonyme.

Der Tatbestand der Dringlichkeitsvergabe ist vielmehr weiter und umfasst auch die endgültige Beschaffung, in denen Auftraggeber vom Aufwand einer EU-Ausschreibung vollständig befreit sind.

Keine – oder zumindest keine rechtmäßige – Interimsvergabe liegt demnach auch vor, wenn Auftraggeber missbräuchlich planmäßig „Interimsvergabe“ an „Interimsvergabe“ reihen, bis vom ursprünglich zu vergebenden Auftrag nichts mehr übrig ist. Dann handelt es sich faktisch um endgültige Vergaben unter dem „Deckmantel“ bzw. im Gewand der Interimsvergabe.

Festzustellen ist: eine Dringlichkeitsvergabe hat im Gegensatz zur Interimsvergabe nicht notwendigerweise einen Überbrückungscharakter.

II. Zur rechtlichen Bewertung von Interimsvergaben

Umgekehrt gilt aber auch: nicht jede Interimsvergabe ist zwangsläufig eine Dringlichkeitsvergabe im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV. Bedingt durch ihren Überbrückungscharakter kommen im konkreten Einzelfall vielmehr auch andere Ausnahmetatbestände zur Rechtfertigung in Betracht.

1. § 132 Abs. 3 Satz 1 GWB – Bagatelländerung

Zunächst einmal ist eine Auftragsverlängerung beim Bestandsauftragnehmer eine Auftragsänderung, die in den Grenzen des § 132 GWB selbstverständlich zulässig ist. Vergaberechtlich völlig unkritisch sind also Interimsaufträge innerhalb der Bagatellgrenzen des § 132 Abs. 3 Satz 1 GWB. Bei Liefer- und Dienstleistungen (die sich wohl einzig für interimsweise Vergaben anbieten dürften) sind das Aufträge mit einem Wert bis zu 10% des ursprünglichen Auftragswertes und unterhalb der Schwellenwerte – die teils auch deutlich über den derzeitigen 215.000,- Euro netto liegen, wie insbesondere im Bereich der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen gemäß § 130 GWB.

2. Vorhersehbarkeit gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV und gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB

Darüber hinaus gibt es natürlich auch Interimssituationen, in denen der Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV erfüllt ist, weil der Auftraggeber die betreffende Situation tatsächlich nicht vorhersehen konnte, und die ihm auch nicht zuzurechnen ist. Dazu zählen sicherlich alle Umstände, die in der Sphäre des bisherigen Auftragnehmers liegen, wie etwa eine Insolvenz oder ein Unternehmensverkauf, der eine Pflicht zur Neuausschreibung auslöst.

„Klassischerweise“ ergibt sich eine Interimssituation indes aus der Verzögerung eines laufenden Vergabeverfahrens durch ein Nachprüfungsverfahren – vorhersehbar und zurechenbar? Natürlich hätte sich diese Verzögerung immer vermeiden lassen, indem der Auftraggeber einfach das Vergabeverfahren um den Zeitraum, den das Nachprüfungsverfahren in Anspruch genommen hat, nach vorne verschoben hätte – also: einfach früher begonnen hätte. Strenge Stimmen der Rechtsprechung fordern genau das (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. März 2015, Az: 15 Verg 9/14).

Dieser Vorwurf aus der Retrospektive erscheint lebensfremd und wenig sachgerecht.

Schließlich kann die Dauer eines Nachprüfungsverfahrens sehr unterschiedlich sein. Es kann – je nach Zahl der angerufenen Nachprüfungsinstanzen und deren Auslastung – zwischen wenigen Wochen oder – insbesondere bei einer Divergenzvorlage an den BGH oder einem Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH – mehrere Jahren betragen. Maßstab einer Zurechnung muss aber doch sein, welchen Zeitpuffer ein vernünftig planender Auftraggeber zugrunde legt. Das ist sicherlich nicht bei jeder Standard-Ausschreibung das worst case –Szenario – zumal dies im Hinblick auf einen sich potentiell ändernden Beschaffungsbedarf und volatile Preise zur Vermeidung nachträglicher Auftragsänderungen auch gar nicht sinnvoll wäre.

Die Rechtsprechung ist hier auch nicht wirklich konsequent. So bezeichnet beispielsweise das KG Berlin den Zeitraum von sechs Wochen für eine reguläre Ausschreibung als ausreichend (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 10.05.2022, Az: Verg 1/22) –  wo ist hier der Risikopuffer?

Zumindest im Kontext des § 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB – also bei einer Weiterbeauftragung des Bestandsauftragnehmers im Umfang von bis zu 50% des ursprünglichen Auftragswertes – liegen reduzierte Anforderungen nahe, denn eine fehlende Zurechnung wird hier nicht gefordert.

Konsequenz eines zu strengen Maßstabs der Vorhersehbarkeit und Zurechenbarkeit im Kontext von Interimsvergaben der Daseinsvorsorge ist jedenfalls, dass vergaberechtliche Ausnahmetatbestände ohne Not stark verengt werden. Das Dilemma der Rechtsprechung ist insofern „hausgemacht“.

3. Alleinstellungssituation des Bestandsauftragnehmers

Aber selbst dann, wenn man einen derart strengen Maßstab der Vorhersehbarkeit anlegen möchte, kann eine Interimsvergabe mit geltendem Vergaberecht vielfach vereinbar sein. Der Beitrag übersieht nämlich, dass in Interimssituationen nicht nur der Ausnahmetatbestand der Dringlichkeit gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV relevant sein kann, sondern auch derjenige des Alleinstellungsmerkmals gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV. Diese Vorschrift erlaubt – verkürzt wiedergegeben –  eine Direktvergabe, wenn es zum Zeitpunkt der Angebotsaufforderung aus technischen Gründen keinen Wettbewerb gibt.

Die Rechtsmittelrichtlinie nennt in Erwägungsgrund 23 der Richtlinie 2007/66/EG schließlich bereits selbst, bezogen auf eine Aufhebung als Verzögerungsursache, die Möglichkeit eines anschließenden Alleinstellungsmerkmals des Bestandsauftragnehmers:

„In Ausnahmefällen ist die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Sinne des Artikels 31 der Richtlinie 2004/18/EG oder des Artikels 40 Absatz 3 der Richtlinie 2004/17/EG unmittelbar nach der Aufhebung des Vertrags zulässig. In diesen Fällen könnte die Anwendung zwingender Gründe gerechtfertigt sein, wenn aus technischen oder anderen zwingenden Gründen die verbleibenden Vertragsverpflichtungen zu diesem Zeitpunkt nur von dem Wirtschaftsteilnehmer erfüllt werden können, dem der Auftrag erteilt wurde.“

Erwägungsgrund 50 der RL 2014/24/EU führt überdies u.a. aus:

Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, (…) in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen.“

In Bezug auf die technischen Gründe heißt es dort:

 „Als solche könnten beispielsweise angeführt werden, dass es für einen anderen Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich ist, die geforderte Leistung zu erbringen, oder dass es nötig ist, spezielles Wissen, spezielle Werkzeuge oder Hilfsmittel zu verwenden, die nur einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer zur Verfügung stehen“.

Wenn Wettbewerber ohne die erforderliche Rüstzeit den Bestandsauftragnehmer gar nicht ad hoc ersetzen können, oder wenn der Interimsauftrag durch die begrenzte Laufzeit für Wettbewerber von vorn herein erkennbar unattraktiv ist, so dass eine Ausschreibung ohnehin ins Leere zu laufen droht, dürfte eine Interimsvergabe auch auf diesen Ausnahmetatbestand zu stützen sein – ohne dass es auf die Frage der Zurechnung ankommt.

Im Zwischenfazit lässt sich also festhalten:

Interimsvergaben sind – auch gemessen an geltendem Vergaberecht – nicht per se unzulässig.

Grafisch dargestellt verhalten sich Interimsvergabe, Direktvergabe und die unterschiedlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten etwa so zueinander:

III. Zur Rechtmäßigkeit einer finanziellen Sanktion für Interimsaufträge im Bereich der Daseinsvorsorge

Nun zu der Frage, wie eine finanzielle Sanktion für Interimsvergaben speziell im Bereich der Daseinsvorsorge rechtlich zu bewerten wäre, welche die noch verbleibenden Fälle erfasst, die nicht unter die vorstehenden Rechtsgrundlagen subsumiert werden können.

Richtig ist zunächst einmal, dass die Rechtsmittelrichtlinie in Artikel 2 d) Abs. 3 RL 2007/66/EG Satz 1 die Möglichkeit vorsieht, von einer Feststellung der Unwirksamkeit abzusehen. Die Vorschrift lautet hier:

„Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle einen Vertrag nicht als unwirksam erachten kann, selbst wenn der Auftrag aus den in Absatz 1 genannten Gründen rechtswidrig vergeben wurde, wenn die Nachprüfungsstelle nach Prüfung aller einschlägigen Aspekte zu dem Schluss kommt, dass zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, die Wirkung des Vertrags zu erhalten.“

Weiter heißt es dort:

„In diesem Fall sehen die Mitgliedstaaten alternative Sanktionen im Sinne des Artikels 2e Absatz 2 vor, die stattdessen angewandt werden.“

Der Blick in Art. 2 e) Absatz 2 lohnt – und zwar insbesondere in Satz 1:

„Die alternativen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

Dies ist letztlich Ausdruck des gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgt dabei grundsätzlich in einem Dreischritt: Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit einer Maßnahme zur Erreichung eines bestimmten Ziels (vgl. z.B. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in der Unionsrechtsordnung, EuR 2012, 265).

Eine Maßnahme, die zur Erreichung des betreffenden Ziels schon nicht geeignet ist, kann niemals verhältnismäßig sein. Dass sie dann auch nicht wirksam oder abschreckend ist, dürfte sich von selbst verstehen.

1. Fehlende Eignung

Schon an dieser Eignung würde es aber fehlen – zumindest, wenn die finanzielle Sanktion darauf ausgerichtet ist, Interimsvergaben zu verhindern.

Denn wenn sich ein Vergabeverfahren verzögert und im Bereich der Daseinsvorsorge eine Versorgungslücke droht, ist eine Interimsvergabe für den Auftraggeber faktisch alternativlos. Wenn er seinen Daseinsvorsorgeauftrag erfüllen möchte, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als den Auftrag direkt zu vergeben und daher wäre eine finanzielle Sanktion auch nicht geeignet, ihn von einem solchen Direktauftrag abzuhalten.

Die finanzielle Sanktion wäre auch nicht geeignet, Verzögerungen zu verhindern. Das wäre sie nur, wenn anzunehmen wäre, dass Auftraggeber Verzögerungen bewusst oder gar willentlich auslösen. Aber wie bereits zuvor dargestellt: dafür spricht bei echten Interimsvergaben rein gar nichts. Ein Interimsauftrag ist mit zusätzlichem Aufwand für den Auftraggeber verbunden. Er erspart sich kein Vergabeverfahren, denn das findet ja in der Hauptsache trotzdem statt.

Wenn überhaupt, dann ist es der Bestandauftragnehmer, der ggf. ein wirtschaftliches Interesse daran haben könnte, ein Vergabeverfahren zu verzögern und dadurch einen sich evtl. abzeichnenden Auftragsverlust hinauszuschieben, indem er auch bei schlechten Erfolgsaussichten einen Nachprüfungsantrag einreicht. Der Nachweis des Rechtsmissbrauchs gemäß § 180 GWB ist schließlich schwer zu führen. Eine finanzielle Sanktion würde dann jedenfalls „den Falschen“ treffen.

2. Fehlende Erforderlichkeit

Eine solche Sanktion wäre auch nicht erforderlich, um die effektive Durchsetzung vergaberechtlicher Vorschriften zu erreichen. Denn die eigentliche Leistung wird ja bereits in einem EU-weiten Vergabeverfahren ausgeschrieben oder dies steht zumindest bevor. Bei genauer Betrachtung wird die Interimsvergabe doch überhaupt erst erforderlich, weil der Auftraggeber die Leistung nicht dauerhaft ohne förmliches Vergabeverfahren vergibt. Sie ist, wie eingangs dargestellt, immer akzessorisch zu einem Vergabeverfahren „in der Hauptsache“. Die Interimsvergabe ist somit Konsequenz der Rechtstreue des Auftraggebers, nicht eines Rechtsbruchs. Sie ist also auch nicht zur Disziplinierung eines rechtsbrüchigen Auftraggebers erforderlich.

Wie man es also auch dreht und wendet:

Eine finanzielle Sanktion für Interimsvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge würde nicht der effektiven Durchsetzung des Vergaberechts dienen, sondern allenfalls einem vagen, allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl: sie wäre eine Sanktion um ihrer selbst willen. Sie wäre daher unverhältnismäßig und mit den Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie nicht vereinbar.

3. Zwischenfazit

Wenn jedoch in den Fällen der Interimsvergabe im Bereich der Daseinsvorsorge eine finanzielle Sanktion unverhältnismäßig und daher nicht mit Art. 2e) RL 2007/66/EG vereinbar wäre, muss sie in diesem Kontext auch unterbleiben. Deswegen ist die Vorgehensweise der Rechtsprechung, diese Interimsvergaben als rechtmäßig einzuordnen, folgerichtig. Hätte der Auftraggeber insoweit die Kosten eines verlorenen Nachprüfungsverfahrens zu tragen, würde dies letztlich wirtschaftlich einer finanziellen Sanktion gleichkommen – die aber, wie vorstehend gezeigt, nicht verhältnismäßig und damit auch nicht mit den Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar wäre.

IV. Warum Interimsvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge nach EU-Recht nicht sanktioniert – sondern allenfalls im Gegenteil: explizit zugelassen – werden müssten

Sollen also Interimsvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge vergaberechtlich folgenlos bleiben?

Ja! Unbedingt!

Erstens:

Es dürfte Einigkeit darin bestehen, dass Müll auch dann noch abgeholt werden muss und Rettungsdienste auch dann fahren müssen, wenn sich ein Vergabeverfahren – aus welchen Gründen auch immer – verzögert. Die Gewährleistung eines effektiven Binnenmarkts steht nicht über zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, und das erkennt Art. 2 d) Abs, 3 Satz 1 RL 2007/66/EG der Rechtsmittelrichtlinie auch explizit an. Es ist daher vollständig rechtskonform, wenn die Spruchpraxis im Bereich der Daseinsvorsorge das Vergaberecht nicht „ohne Rücksicht auf Verluste“ durchsetzt.

Die Interimsvergabe ist dabei – entgegen der Auffassung des Beitrags – auch nicht eine Lösung, die einseitig das Vergaberecht benachteiligt. Das wäre der Fall, wenn die Rechtsprechung unter Berufung auf die Daseinsvorsorge dauerhafte Direktvergaben zuließe. Interimsvergaben werden aber nur als Überbrückung gebilligt. Sie versöhnen damit die Ziele des Vergaberechts mit dem Postulat der Daseinsvorsorge. Über die Interimsvergabe wird die Pflichtenkollision zwischen Vergaberecht und Daseinsvorsorgeauftrag zwar aufgelöst, dabei werden aber die Vorgaben beider Rechtskreise jeweils nur mit Einschränkungen bedient.

Zweitens:

Bei genauerer Betrachtung ist das Institut der Interimsvergabe in der Rechtsmittelrichtlinie auch selbst bereits vorgesehen. Als alternative Sanktion nennt Art. 2 e) Abs. 2 RL 2007/66/EG nämlich auch:

„die Verkürzung der Laufzeit des Vertrags.“

Genau das ist aber Kern einer Interimsvergabe. Ihre Laufzeit ist auf den zur Überbrückung erforderlichen Zeitraum verkürzt. Die Rechtsprechung muss die Verkürzung der Vertragslaufzeit in diesen Fällen nur nicht mehr eigens anordnen, weil sie ja bei einer Interimsvergabe bereits schon verkürzt istdie Verkürzung ist diesem Rechtsinstitut begrifflich immanent.

Oder anders gesagt:

In der Logik der Rechtsmittelrichtlinie ist die Begrenzung auf einen Interimszeitraum bereits eine Sanktion. Sie kommt bei zwingenden Gründen des Allgemeininteresses als Alternative zu einer Unwirksamkeitsfeststellung in Betracht. Ein Auftraggeber, der die Laufzeit eines Auftrags schon von vorn herein selbst auf einen Interimszeitraum begrenzt, handelt hier gleichsam in vorauseilendem Gehorsam.

Diese zeitliche Begrenzung auf den Überbrückungszeitraum ist zugleich die einzig geeignete und wirksame Möglichkeit, um der Geltung des Vergaberechts im Kontext der Daseinsvorsorge Wirkung zu verschaffen. Wie vorstehend dargestellt, kommen insbesondere finanzielle Sanktionen hier nicht in Betracht. Die Rechtmittelrichtlinie sieht die Verkürzung der Laufzeit auch ausdrücklich als alternative Sanktion zur Verhängung einer Geldbuße oder –Strafe vor (es heißt dort: „oder“), beides ist also nicht miteinander kombinierbar.

Daher nun der Gegenvorschlag:

Wenn der Gesetzgeber schon aktiv werden möchte, dann wäre es nach den vorstehenden Ausführungen eher geboten, Interimsvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge entweder durch einen neuen Ausnahmetatbestand explizit zuzulassen oder aber zumindest, diese ausdrücklich von der Feststellung der Unwirksamkeit zu befreien. Dies entspräche den Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie und würde für größere Rechtsklarheit sorgen.

5. Fazit

  • Die These, dass Interimsvergaben immer unvereinbar mit Vergaberecht sind, wenn die Ursachen dem Auftraggeber zuzurechnen sind, ist rechtlich so nicht haltbar. Vielmehr gibt es über § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV hinaus auch andere vergaberechtliche Ausnahmetatbestände, die im Einzelfall Interimsvergaben rechtfertigen können. Abgesehen davon wird der Zurechnungstatbestand teils auch zu streng angewendet.
  • Im speziellen Bereich der Daseinsvorsorge wäre eine finanzielle Sanktion für Interimsvergaben weder geeignet, noch erforderlich zum Schutz der effektiven Durchsetzung des Vergaberechts, daher wäre sie auch unverhältnismäßig und nicht vereinbar mit den Vorgaben der Rechtsmittelrichtlinie.
  • Ganz im Gegenteil steht die Interimsvergabe im Bereich der Daseinsvorsorge in voller Übereinstimmung mit dem Sanktionskatalog der Rechtsmittelrichtlinie.
  • Es läge daher nahe, für diese Interimsvergaben im Interesse größerer Rechtsklarheit einen eigenen Ausnahmetatbestand zu schaffen, oder aber, sie zumindest explizit von der Feststellung der Unwirksamkeit auszunehmen.
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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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4 Kommentare

  1. René M. Kieselmann

    Danke für den fundierten Beitrag im Sinne des gesunden Menschen-/Juristenverstandes!

    Reply

  2. Hermann Summa

    Seien wir doch mal ehrlich: Bei unverzichtbaren Leistungen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge gilt „gewohnheitsrechtlich“ der ungeschriebene Grundsatz: Sachzwang schlägt Vergaberecht“. Und dann wird versucht, das so gefundene Ergebnis irgendwie rechtlich zu begründen.

    Reply

  3. Valeska Pfarr

    Nun – Ausgangsthese war, dass Interimsvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge und Vergaberecht auf keinen Fall zusammenpassen. In diesem Beitrag geht es darum, zu zeigen, dass dies nicht zutrifft.

    Es ist doch beruhigend, dass das (EU-)Vergaberecht den Sachzwang schon berücksichtigt…? Warum sollte man es dann nicht anwenden?

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  4. Hans von Gehlen

    Zu ergänzen wäre, dass das OLG Düsseldorf, Beschl. 15.2.2023 – VII Verg 9/22, dem EuGH zur Auslegung RL 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung RL 2004/18/EG die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat: Ist Art. 32 II Buchst. c RL 2014/24/EU mit Rücksicht auf Art. 14 AEUV einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Vergabe eines der Daseinsvorsorge dienenden öffentlichen Auftrags bei äußerster Dringlichkeit auch dann im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung erfolgen kann, wenn das Ereignis für den öffentlichen Auftraggeber voraussehbar und ihm die angeführten Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit zuzuschreiben sind?

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