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Italien: Konzessionen für die Nutzung der italienischen Strände dürfen nicht automatisch verlängert werden

Entscheidung-EUNach dem Unionsrecht müssen die Mitgliedstaaten bei der Vergabe von Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer ein Verfahren zur Auswahl der Bewerber durchführen, wenn die Zahl der für eine bestimmte Tätigkeit verfügbaren Genehmigungen aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen begrenzt ist. Die Genehmigung wird für einen angemessen befristeten Zeitraum gewährt und darf nicht automatisch verlängert werden. Obwohl diese Regeln in die italienische Rechtsordnung umgesetzt wurden, ordnete ein Gesetz von 2018 die Verlängerung der laufenden Konzessionen bis zum 31. Dezember 2033 an, um über die Zeit zu verfügen, die für die Durchführung aller für die Reform der Konzessionen unbedingt erforderlichen Vorgänge erforderlich sei.

Gemäß diesem Gesetz verlängerte die Gemeinde Ginosa mit Entscheidung vom 24. Dezember 2020 auf ihrem Gebiet die Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer. Da die Wettbewerbs- und Martkaufsichtsbehörde (AGCM) der Auffassung war, dass diese Entscheidung gegen die Grundsätze des Wettbewerbs und der Niederlassungsfreiheit verstoße, richtete sie an die Gemeinde eine begründete Stellungnahme, wies dabei auf das Erfordernis eines vorherigen Ausschreibungsverfahrens hin und stellte fest, dass die nationalen Bestimmungen über die automatische Verlängerung der Konzessionen unangewendet bleiben müssten.

Da die Gemeinde Ginosa dieser Stellungnahme nicht nachkam, erhob die AGCM beim Regionalen Verwaltungsgericht Apulien Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Gemeinde Ginosa. Obwohl es die nationalen Bestimmungen für mit der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt unvereinbar hält, bezweifelt das Regionale Verwaltungsgericht Apulien, dass die Richtlinie unmittelbar anwendbar ist und die entgegenstehenden nationalen Vorschriften verdrängt. Außerdem teilt es nicht die Auffassung des italienischen Staatsrates, wonach die Richtlinie 2006/123 eine Liberalisierungs- und keine Harmonisierungsrichtlinie sei. Das Regionale Verwaltungsgericht Apulien schließt daraus, dass diese Richtlinie einstimmig und nicht mit der Mehrheit der Stimmen des Rates hätte erlassen werden müssen.
Das Regionale Verwaltungsgericht Apulien legt dem Gerichtshof daher mehrere Fragen zum Anwendungsbereich der Richtlinie, ihrer Gültigkeit, ihrer Natur und den Wirkungen ihrer Anwendung zur Vorabentscheidung vor.

Mit seinem Urteil entscheidet der Gerichtshof erstens, dass die Richtlinie auf alle Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer anwendbar ist und es insoweit unerheblich ist, ob sie ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse aufweist oder einen Sachverhalt betrifft, bei dem sämtliche erheblichen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.

Zweitens steht das Unionsrecht dem nicht entgegen, dass die Knappheit der natürlichen Ressourcen und der zur Verfügung stehenden Konzessionen in Kombination eines abstrakt-generellen Ansatzes auf nationaler Ebene und eines einzelfallbasierten, auf einer Analyse des Küstengebiets der betreffenden Gemeinde beruhenden Ansatzes beurteilt wird. Es kommt darauf an, dass die Kriterien, die von einem Mitgliedstaat zugrunde gelegt werden, um die Knappheit der verwendbaren natürlichen Ressourcen zu beurteilen, auf objektiven, nicht diskriminierenden, transparenten und verhältnismäßigen Kriterien beruhen.

Drittens hat die Prüfung nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt berühren könnte. Da sich zum einen die Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf sein Ziel und seinen Inhalt stützen muss und zum anderen die Richtlinie zum Ziel hat, die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr zu erleichtern, hat der Rat gemäß den Bestimmungen des Vertrages zutreffend mit qualifizierter Mehrheit entschieden.

Viertens werden die Pflicht der Mitgliedstaaten, ein neutrales und transparentes Verfahren zur Auswahl der Bewerber anzuwenden, sowie das Verbot, eine für eine bestimmte Tätigkeit erteilte Genehmigung automatisch zu verlängern, von der Richtlinie unbedingt und hinreichend genau definiert. Da diese Regeln unmittelbar anwendbar sind, müssen die nationalen Gerichte und die Verwaltungsbehörden einschließlich der kommunalen sie anwenden und die damit nicht in Einklang stehenden nationalen Vorschriften unangewendet lassen.

Quelle: EuGH, Urt. v. 20.04.2023 – C-348/22

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