Auch Berufs- oder Datenschutzrecht zwingen öffentliche Auftraggeber nicht, bloß anonymisierte Referenzen abzufragen. Öffentliche Auftraggeber dürfen von Bietern konkrete Referenzangaben fordern. Denn bei einer Anonymisierung würden zentrale Daten fehlen, die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eine wichtige Rolle spielen.
§§ 97 Abs. 2, 122 Abs. 1, 122 Abs. 2 Nr. 1, 122 Abs. 4 Satz 1, 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB, 46 Abs. 1 Satz 1, 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV, Art. 58 Abs. 1 Satz 4, Art. 58 Abs. 4 RL 2014/24/EU, § 5 VgV, § 17 Abs. 4 Satz 2 iVm § 51 VgV, § 20 Abs. 1 VgV, § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 11 VgV, Art. 60 Abs. 4 RL 2014/24/EU, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a DSVGO, § 2 Abs. 3 BRAO § 2 Abs. 4 lit. a BRAO, § 43a Abs. 2 BRAO
Im von der VK Bund entschiedenen Fall wandte sich eine Anwaltskanzlei gegen ein von der Antragsgegnerin EU-weit durchgeführtes Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Gegenstand war die Vergabe einer Rahmenvereinbarung über Rechtsberatungsdienstleistungen.
Die Teilnahmebedingungen in der Bekanntmachung zur Ausschreibung sahen die Einreichung von Referenzaufträgen durch die Bewerber vor. Die Referenzen sollten u.a. eine Beschreibung der erbrachten Leistungen, Angaben zum Auftraggeber, Ansprechpartner, das jährliche Nettoauftragsvolumen und den Leistungszeitraum beinhalten.
Die Antragstellerin rügte u.a. unter Hinweis auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht und die besondere Vertrauensstellung von Rechtsanwälten als Organen der Rechtspflege das Wertungskriterium Referenzen in der konkreten Gestaltung als vergaberechtswidrig, reichte ihren Teilnahmeantrag ohne Vorlage der geforderten Referenzen ein und beantragte die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Der Nachprüfungsantrag blieb ohne Erfolg.
Die Vergabekammer hielt die in Bezug auf die ausgeschriebene Dienstleistung geforderten Referenzangaben zu früher ausgeführten Aufträgen für statthaft. Solche seien gerade bei Beratungsleistungen ein brauchbarer Nachweis für eine sachgerechte Überprüfung der Eignung der Bewerber oder Bieter.
Anders als die Antragstellerin meinte, würden hingegen anonymisierte Mandatsbeschreibungen und solche ohne Angabe des Honorarvolumens nicht die Anforderungen für eine hinreichende Eignungsprüfung durch den öffentlichen Auftraggeber erfüllen. Bei einem solchen Vorgehen fehlten zentrale Daten der Referenzen, die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eine wichtige Rolle spielten. Der Umfang der Beratungsleistung und ihre wirtschaftliche Bedeutung wären dann nicht nachvollziehbar. Übrig bliebe allein die thematische Befassung des Bieters mit der ausgeschriebenen Leistung. Eine Auswahlentscheidung im Teilnahmewettbewerb wäre so kaum möglich und vor allem auch nicht nachvollziehbar und rechtssicher begründbar.
Auch eine vermeintliche aus der besonderen Vertrauensstellung der Rechtsanwälten als Organen der Rechtspflege hervorgehende besondere Verlässlichkeit ändere nichts daran. Sie ändere nichts daran, dass es bei einer Bewerbung wie der vorliegenden entscheidend auf die fachliche Expertise in bestimmten Rechtsgebieten ankomme. Auch Rechtsanwälte/-innen seien im Wettbewerb mit anderen Konkurrenten aufgefordert, ihre Eignung im vergaberechtlichen Sinne anhand überprüfbarer Referenzen nachzuweisen.
Zudem stelle die Pflicht zur Vorlage von Angaben zu Mandaten (Name, Ansprechpartner, Angabe des jährlichen Nettoauftragsvolumens) keinen Verstoß gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht dar. Es sei Rechtsanwälten grundsätzlich möglich, die Zustimmung zur Weitergabe der Daten zu Mandaten von ihren Auftraggebern einzuholen. Die Pflicht zur Verschwiegenheit greife insoweit nicht mehr. Die Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht bei einzelnen Referenzmandate betreffe alle Bieter gleichermaßen, so dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des Leistungswettbewerbs oder eine Diskriminierung der Bieter gemäß § 97 Abs. 2 GWB nicht in Betracht komme.
Es habe ferner auch keine vergaberechtswidrige Verkürzung des Kreises der Teilnehmer stattgefunden. Es sei möglich und zumutbar gewesen, innerhalb der Frist für den Teilnahmeantrag die Freigabe für eine hinreichende Anzahl der geforderten Referenzen zu erlangen. Allen übrigen Bewerbern sei es möglich gewesen, mehr oder minder umfangreiche Referenzlisten vorzulegen. Hätte die Antragstellerin mehr Zeit benötigt, hätte sie entsprechend eine Verlängerung der Teilnahmefrist fordern können.
Es sei auch nicht diskriminierend, Altauftraggeber um Zustimmung zu bitten. Eine solche Diskriminierung ergebe sich ferner auch nicht daraus, dass große Kanzleien mit besonderer Marktmacht diesbezüglich im Vorteil wären. Es sei ebenso gut möglich, dass im konkreten Fall das Verhandlungsgeschick im Verhältnis zum Mandanten eine Rolle spiele. Dies sei unabhängig von der Größe oder vom Renommee der Kanzlei der Fall.
Auch die konkrete Ausgestaltung der Referenzanforderungen stehe der Freigabe durch Mandanten nicht entgegen. Aufgrund der Vertraulichkeit des Vergabeverfahrens nach § 5 VgV sei der öffentliche Auftraggeber ohnehin zur besonderen Behandlung insbesondere der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und der vertraulichen Aspekte der Angebote verpflichtet.
Eine wichtige und richtige Entscheidung, der uneingeschränkt zuzustimmen ist! Die VK Bund betont zurecht die Relevanz von Referenzen für die Eignungsprüfung. Sie stellt klar, dass öffentliche Auftraggeber auch nicht-anonymisierte Referenzen abfragen dürfen. Diese Klarstellung ist zu begrüßen, weil Referenzen für öffentliche Auftraggeber oftmals unverzichtbares Werkzeug für die Eignungsprüfung sind.
Wie die Vergabekammer richtig feststellt, ist eine fundierte, sachgerechte Eignungsprüfung gefährdet, wenn Bewerber/Bieter nur anonymisierte Referenzen einreichen:
„Bei einer Anonymisierung würden zentrale Daten der Referenzen fehlen, die für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eine wichtige Rolle spielen. So wären der Umfang der Beratungsleistung und ihre wirtschaftliche Bedeutung nicht nachvollziehbar. Übrig bliebe allein die thematische Befassung des Bieters mit der ausgeschriebenen Leistung. Eine Auswahlentscheidung im Teilnahmewettbewerb wäre so kaum möglich und vor allem auch nicht nachvollziehbar und rechtssicher begründbar.“
Ohne Angaben zum konkreten Projekt und Altauftraggeber können sich öffentliche Auftraggeber in der Regel nur ein unvollständiges Bild vom Referenzprojekt machen. Es bleibt ihnen dann auch verwehrt, die Angaben des Bewerbers oder Bieters durch Kontaktaufnahme beim Altauftraggeber zu verifizieren oder zu verdichten: Nur weil ein Bewerber/Bieter das Referenzprojekt tatsächlich durchgeführt hat, folgt daraus ja nicht, dass der damalige Auftraggeber mit dessen Leistungen auch zufrieden gewesen ist.
Zurecht stellt die Vergabekammer zudem fest: Bewerber und Bieter nehmen aus eigenem wirtschaftlichen Interesse am Vergabeverfahren teil. Sie sind daher selbst verantwortlich, gegebenenfalls erforderliche Einwilligungen ihrer Referenzgeber einzuholen. Diese wiederum sind gegenüber ihren als Kontaktpersonen angegebenen Mitarbeitern/-innen verantwortlich. Öffentlichen Auftraggebern darf es, sofern für Bewerber/Bieter die Grenzen des Zumutbaren nicht überschritten werden, nicht zum Nachteil gereichen, dass Bewerbern/Bietern Wille oder Geschick fehlen, rechtzeitig datenschutz-, berufs- oder arbeitsrechtlich erforderliche Zustimmungen Dritter einzuholen.
Referenzen sind des Auftraggebers beste Freunde. Dies gilt jedenfalls dort, wo öffentliche Aufträge nicht ausdrücklich auch Newcomern offenstehen sollen. Denn nichts gibt vergleichbar verlässlich Auskunft darüber, ob ein Unternehmen im Sinne von § 122 GWB geeignet ist. Wer gestern und vorgestern vergleichbare Leistungen erfolgreich erbracht hat, wird es wohl auch morgen können. Nicht umsonst stehen geeignete Referenzen über früher ausgeführte Liefer- oder Dienstleistungsaufträge ganz oben im Katalog der zulässigen Belege für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit (vgl. § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV).
Referenzen sind leicht überprüfbar. Auch das macht sie besonders attraktiv. Zwar sind Ausgangspunkt auch der referenzbezogenen Eignungsprüfung die Eigenerklärungen der Bewerber oder Bieter (vgl. § 48 Abs. 2 S. 1 VgV). Auftraggeber fordern diese mit ihren (elektronischen) Formularen ab. Bei Zweifeln oder um (stichprobenhaft) zu überprüfen, wieviel Substanz hinter den Referenzangaben steckt, genügt aber ein Anruf beim Altauftraggeber: Auf keine andere Weise können Bedarfs- oder Vergabestelle schneller und effektiver herausfinden, ob die Selbstzuschreibungen zutreffen.
Spätestens die Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung, besser bekannt als DSGVO) hatte allerdings eine unvorteilhafte Entwicklung ausgelöst: In den vergangenen Jahren konnte man beobachten, wie Bewerber und Bieter immer häufiger Referenzangaben aus Datenschutzgründen verweigerten. Auch einige Auftraggeber gingen dazu über, nur noch anonymisierte Referenzen zu fordern ohne Angabe des Altauftraggebers, Ansprechpersonen, E-Mailadressen oder Telefonnummern. Das war und ist nicht zweckmäßig. Deswegen ist der Beschluss der VK Bund vom 1. Juni 2023 (Az. VK 1 37/23) sehr zu begrüßen. Er erteilt dem ungünstigen Trend nun eine klare Absage: Öffentliche Auftraggeber dürfen und sollen personalisierte Referenzen fordern. Die VK Bund bestätigt damit, was das OLG München (Beschl. v. 13.03.2017 – Verg 15/16) bereits obiter dictum vorgezeichnet hatte:
„Datenschutzrechtliche Normen gehören nicht zu den Bestimmungen des Vergabeverfahrens iSd § 97 VI GWB. Lediglich ergänzend ist zu bemerken, dass ein sachliches, im Vergaberecht (national und europarechtlich) allgemein anerkanntes Interesse des öffentlichen Auftraggebers an der Benennung eines Ansprechpartners für Referenzobjekte besteht, da andernfalls die behaupteten Referenzen und damit die Eignung des Bieters nicht überprüfbar wären. Dass sich daraus für die Bieter die Notwendigkeit ergibt, bei den Auftraggebern ihrer Referenzprojekte um die Einwilligung in die Weitergabe von Kontaktdaten nachzusuchen, macht die Anforderung nicht unzulässig.“
Öffentliche Auftraggeber und (potentielle) Bieter seien zudem an Folgendes erinnert: Das Datenschutzrecht der DSGVO schützt nur die personenbezogenen Daten natürlicher Personen. Unternehmensdaten ohne erkennbaren Bezug zu einzelnen Mitarbeiter/-innen unterfallen nicht dem Datenschutzrecht. Sollten im Einzelfall datenschutzrechtliche Bedenken verbleiben, dürfte es Bewerbern/Bieter daher zumindest möglich sein, öffentlichen Auftraggebern die Kontaktaufnahme über organisations- oder organisationsbereichsbezogene, ggf. ohnehin öffentlich verfügbare Telefonnummern oder E-Mailanschriften zu ermöglichen (z. B. kontakt@abc-gmbh.de oder einkauf@musterstadt.de).
Datenschutz ist wichtig. Als Ausrede im Vergabeverfahren taugt er nicht.
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Nils Leonhard, B.A., wissenschaftliche Mitarbeiter, verfasst.
Marc Philip Greitens ist Rechtsanwalt bei Heuking Kühn Lüer Wojtek, Hamburg. Seine Beratungsschwerpunkte sind das Vergabe- und das EU-Beihilfenrecht.
Guten Tag liebe Mitstreiter,
rechtlich ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden. Meine Erfahrung auf der Bieterseite zeigt jedoch, dass gerade öffentliche Auftraggeber, obwohl sie selbst sie diese in ihren Vergabeverfahren einfordern, bei der Freigabe zur Referenznennung oftmals in eine Verweigerungshaltung gehen. Gerade, wenn es darum geht, Ansprechpartner zu nennen, bekommen wir oft keine Freigabe, obwohl wir die Referenzprojekte zur Zufriedenheit des AG durchgeführt haben.
Wenn hier das Recht auf konkrete Referenznennung bestätigt wird, wäre konsequenterweise auf der anderen Seite eine Referenzpflicht für die ÖA zumindest einen Gedanken wert.
Herzliche Grüße aus Bayern,
Thomas Ritter