Der Beschluss der VK Bund hat es in sich. Anlässlich eines Vergabeverfahrens über Reinigungsleistungen befasst sich die VK Bund mit einer Bewertungsmethode, die sie als „Medianmethode“ bezeichnet. Die VK Bund kommt zu dem richtigen Ergebnis, dass die von der Auftraggeberin im konkreten Fall verwendete Medianmethode rechtswidrig ist. Dennoch enthält die Entscheidung Fallstricke. Die Begründung der VK Bund ist geeignet, Unsicherheit zu erzeugen. Zum einen ist „Medianmethode“ nicht gleich „Medianmethode“. Zum anderen ergänzt die VK Bund en passant einen Satz, der klingt, als seien relative Bewertungsmethoden nun per se rechtswidrig. Das aber wäre ein Bruch mit der herrschenden Rechtsprechung der Vergabesenate sämtlicher Oberlandesgerichte und fast aller Vergabekammern seit der Leitentscheidung des BGH vom 04.04.2017 (Az. X ZB 3/17). Nähme man die VK Bund hier wörtlich, wäre ein Großteil der in Deutschland verwendeten Bewertungsmethoden vergaberechtswidrig. Das kann nicht richtig sein.
§§ 97 I, II, VI, 127 I 1, III, IV 1, 134, 160 II, III 1 Nr. 3 168 II 2, 179 I GWB; §§ 29, 56, 58 I VgV
Die öffentliche Auftraggeberin (Ag.) führte ein EU-weites offenes Verfahren für einen Dienstleistungsauftrag über Gebäude- und Glasreinigungsleistungen in mehreren Losen durch.
In den Vergabeunterlagen legte sie die Zuschlagskriterien für die Angebotsbewertung und deren Gewichtung fest. Den Angebotspreis (Jahrespreis) gewichtete sie mit 48 %, die produktiven Arbeitsstunden mit 48 %, die Vorarbeiterstunden pro Jahr mit 3 % und die Objektleiterstunden pro Jahr mit 1 %.
Als Grundlage für die Bewertung des Zuschlagskriteriums „produktive Arbeitsstunden“ errechnete die Ag den Median der hierzu von allen Bietern angebotenen Werte. Dabei erhielten der oder die Bieter die Höchstpunktzahl, deren angebotenen produktiven Arbeitsstunden innerhalb eines Schwankungsbereichs von +/- 5 % um den Medianwert lagen. Je weiter entfernt die angebotenen produktiven Arbeitsstunden vom errechneten Median waren, mit desto weniger Punkten wurden sie belohnt.
Nach der Angebotswertung teilte die Ag. der Antragstellerin (Ast.) mit, dass ihre Angebote nicht für den Zuschlag in Betracht kämen, da sie nicht die wirtschaftlichsten seien.
Die Ast. stellte daraufhin einen Nachprüfungsantrag. Dieser wurde wegen Unzuständigkeit der ursprünglich angerufenen Vergabekammer an die VK Bund verwiesen.
Nachdem im ursprünglich eingeleiteten Vergabeverfahren gem. § 168 II 2 GWB Erledigung eingetreten war, musste die VK Bund nur noch über den (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag entscheiden. Dieser war zulässig und begründet.
Die VK Bund entschied, dass die durch die Ag. verwendete „Medianmethode“ mit den rechtlichen Anforderungen des § 127 GWB und des § 58 VgV nicht vereinbar seien. Zur Begründung führte die VK Bund wörtlich aus:
„Die von der Ag. angewandte ‚Medianmethode‘ ist nicht mit den rechtlichen Vorgaben der § 127 I 1, III GWB und § 58 I VgV vereinbar. […]
Bei der hier verwendeten Medianmethode hängt der Erfolg eines Angebots allerdings nicht von der Angebotsabgabe zugrunde zu legenden objektiven Kriterien zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit ab, sondern von einem Angebotsverhalten der Mitbieter, die ihre Angebote gleichermaßen in Unkenntnis objektiver Kriterien abgeben. So besteht zB die Möglichkeit, dass ein auskömmliches Angebot mit einer hohen Produktivität nicht den Zuschlag erhält, weil andere Bieter weniger produktiv angeboten haben und dadurch den Median zulasten eigentlich auskömmlicher Angebote beeinflussen. Gleichermaßen kann auch ein eigentlich unauskömmliches Angebot den Median zulasten auskömmlicher Anbieter beeinflussen.
Aus den vorgenannten Erwägungen verstößt die ‚Medianmethode‘ zudem gegen § 127 IV 1 GWB, da sie keinen wirksamen Wettbewerb der Angebote gewährleistet und damit die Gefahr einer willkürlichen Erteilung des Zuschlags besteht.“
Auch wenn das Ergebnis richtig ist, überzeugt die Begründung der VK Bund nicht vollumfänglich. Nähme man den darin enthaltenen Rechtssatz wörtlich, dass der Erfolg eines Angebots nicht vom Angebotsverhalten anderer Bieter abhängen darf, wäre auf einen Schlag ein Großteil der in Deutschland verwendeten Bewertungsmethoden vergaberechtswidrig (darunter sämtliche Methoden mit Preisumrechnung per „linearer Interpolation“ oder „inversem Dreisatz“, „Prozentmethoden“ und sämtliche Methoden, die zur Umrechnung oder Vereinheitlichung von Preisen, Messgrößen u. ä. oder bei der Punktevergabe durch die Wertungsjury einen Vergleich zwischen mehreren Angeboten ziehen). Gemeint sind die sog. „relativen Bewertungsmethoden“, die gemein haben, dass sie die Zuschlagskennziffer eines Angebots in Abhängigkeit von einem oder mehreren anderen Angeboten ermitteln (anders als etwa die „einfache Richtwertmethode“ oder „L durch P“ als Beispiel einer absoluten Bewertungsmethode). Das kann die VK Bund kaum gemeint haben.
Würde man die VK Bund in diesem Punkt beim Wort nehmen, hätte sie sich zudem in Widerspruch zur herrschenden Rechtsprechung der Vergabesenate sämtlicher Oberlandesgerichte seit der Leitentscheidung des BGH vom 04.04.2017 (X ZB 3/17) gesetzt. Danach kann eine Bewertungsmethode nur beanstandet werden, wenn sich gerade ihre Heranziehung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist. Immer rechtswidrig sind nur wenige Bewertungsmethoden wie solche mit sog. „zweiseitiger linearer Interpolation“, die zu einer „Alles oder nichts“-Bewertung führen können (vgl. hierzu etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.01.2014 – VII-Verg 26/13). Dass auch die gängigen relativen Bewertungsmethoden im Ausgangspunkt rechtmäßig sind, haben BGH und OLG-Vergabesenate seit 2017 immer wieder bestätigt:
Es ist nicht davon auszugehen, dass die VK Bund von dieser etablierten Linie abweichen wollte.
Leider sind auch Leitsatz und die Überschrift „Unzulässige Zuschlagsermittlung per Medianmethode“ (hier der NZBau) geeignet, für Unsicherheit zu sorgen. Das illustrieren folgende beide Entscheidungen: 2017 noch hatte die VK Baden-Württemberg die Medianmethode ausdrücklich für rechtmäßig erklärt (Beschluss vom 31.01.2017 – 1 VK 2/17). Und die VK Bund selbst hatte die ganz ähnlich gelagerte Mittelwertmethode für rechtmäßig erklärt (Beschluss vom 26.06.2018 – VK 2-46/18). Wie passt das mit der hiesigen Entscheidung zusammen?
Grund ist, dass nicht die Relativität (also die Bezugnahme zu anderen Angeboten) die von der VK Bund im vorliegenden Fall zu bewertende Methode rechtswidrig macht. Entscheidend ist vielmehr, dass sie entgegen § 127 I 1 und 3 GWB nicht geeignet ist, das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis zu ermitteln. Dies ist bei allen Methoden nur unter folgenden Voraussetzungen der Fall: Zum einen muss die Methode bei leistungsbezogenen Zuschlagskriterien stets ein Mehr an Qualität (hier weit zu verstehen) und bei preis- bzw. kostenbezogenen Zuschlagskriterien stets ein Weniger an Preis bzw. Kosten belohnen. Das folgt vergaberechtlich aus dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz in § 97 II 1 GWB und haushaltsrechtlich aus § 7 I 1 BHO bzw. LHO. Deswegen sind Medianmethoden rechtswidrig, die – wie im hier entschiedenen Fall – bei mindestens einem Zuschlagskriterium desto mehr Scoring-Punkte verleihen, je näher das Angebot an einem aus allen Angeboten ermittelten Medianwert liegt. Die VK Bund selbst hatte dies bereits vor mehr als zehn Jahren für eine vergleichbar verwendete Mittelwertmethode entschieden (Beschluss vom 21.11.2013 – VK 2-102/13).
Vor diesem Hintergrund besteht auch kein Widerspruch zu den Entscheidungen der VK Baden-Württemberg von 2017 (Beschluss vom 31.01.2017 – 1 VK 2/17: Medianmethode rechtmäßig) und der VK Bund von 2018 (Beschluss vom 26.06.2018 – VK 2-46/18: Mittelwertmethode rechtmäßig): In den jenen beiden Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalten hatten die Auftraggeber den Median bzw. Mittelwert aller (wertungsfähigen) Angebote lediglich zur Preisumrechnung verwendet. Anders als im hiesigen Fall erhielten nicht diejenigen Angebote die höchsten Punktzahlen, welche dem Median- oder Mittelwert am nächsten kamen. Eine solche Preisumrechnung (aber auch eine entsprechende Umrechnung von leistungsbezogenen Werten, z. B. von Energieeffizienz in Scoring-Punkte) ist vergaberechtlich unproblematisch. Voraussetzung ist aber, dass die Bewertungsformel insgesamt bei jedem Zuschlagskriterium ein Mehr an Qualität bzw. ein Weniger an Preis/Kosten und nicht die Nähe zum Mittel-/Medianwert belohnt.
Zuletzt enthält die hiesige VK Bund noch folgenden richtigen und bekannten Begründungsstrang: Selbstverständlich dürfen bei jeder relativen Bewertungsmethode nach § 127 GWB stets nur solche Angebote Berücksichtigung finden, die nicht zuvor ausgeschlossen oder abgelehnt worden sind. Angebote über Liefer- oder Dienstleistungen, die nach § 60 Abs. 3 VgV bzw. § 44 Abs. 3 UVgO abgelehnt werden (müssen), oder Angebote über Bauleistungen, deren Preise nach § 16d Abs. 1 Nr. 1 (EU) VOB/A unangemessen niedrig oder hoch sind, dürfen nicht in den Mittel- oder Medianwert einfließen. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten:
Relative Bewertungsmethoden und Medianmethoden (und Mittelwertmethoden) zur Preis- oder Leistungswertumrechnung bleiben rechtmäßig
Medianmethoden (und Mittelwertmethoden), die die Nähe zum Median (bzw. Mittelwert) mit mehr Punkten belohnen, und solche, die unauskömmliche oder aus sonstigen Gründen auszuschließende Angebote einbeziehen, bleiben rechtswidrig.
Zu hoffen bleibt, dass der Beschluss der Vergabekammer Bund vom 06.11.2023, VK 1-37/23, stets aufmerksam und im Kontext der obergerichtlichen Rechtsprechung gelesen wird.
Andernfalls drohen Missverständnisse.
Marc Philip Greitens ist Rechtsanwalt bei Heuking Kühn Lüer Wojtek, Hamburg. Seine Beratungsschwerpunkte sind das Vergabe- und das EU-Beihilfenrecht.
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