Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen hat, können sich nicht auf die Gleichbehandlung in diesem Bereich berufen.
In Ermangelung einer internationalen Übereinkunft zwischen der Europäischen Union und einem Drittland im Bereich des öffentlichen Auftragswesens können sich Wirtschaftsteilnehmer aus diesem Drittland nicht auf die Bestimmungen der in diesem Bereich einschlägigen Richtlinie (2024/25/EU) berufen, um zu beanspruchen, gleichberechtigt mit Bietern aus den Mitgliedstaaten oder den Drittländern, die an eine solche Übereinkunft gebunden sind, an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union teilnehmen zu können. Außerdem sind die nationalen Behörden in Anbetracht der ausschließlichen Zuständigkeit der Union im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik nicht dafür zuständig, auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine solche internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen haben, die nationalen Bestimmungen anzuwenden, mit denen die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen umgesetzt werden.
Sachverhalt
Ein kroatischer Auftraggeber eröffnete ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags für den Bau einer Eisenbahninfrastruktur zwischen zwei Städten in Kroatien. Kolin Inșaat Turizm Sanayi ve Ticaret (Kolin), ein Unternehmen mit Sitz in der Türkei, focht die Rechtmäßigkeit der zugunsten eines anderen Bieters ergangenen Zuschlagsentscheidung an. Im Rahmen dieses Verfahrens ersucht das zuständige nationale Gericht den Gerichtshof um Klarstellung der Umstände, unter denen die öffentlichen Auftraggeber nach Ablauf der Frist für die Einreichung von Angeboten die Bieter nach der einschlägigen Vergaberichtlinie auffordern können, Berichtigungen oder Klarstellungen ihres ursprünglichen Angebots vorzunehmen.
Die Entscheidung
Der Gerichtshof entscheidet über die Zulässigkeit des ihm vorgelegten Ersuchens.
Er weist darauf hin, dass die Union gegenüber bestimmten Drittländern durch internationale Übereinkünfte gebunden ist, u. a. durch das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA), die den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern zu öffentlichen Aufträgen in wechselseitiger und gleicher Weise gewährleisten. Somit dürfen die Auftraggeber der Mitgliedstaaten nach der Richtlinie, die auf den im vorliegenden Fall in Rede stehenden öffentlichen Auftrag anwendbar ist, Wirtschaftsteilnehmer aus den Drittländern, die Vertragsparteien einer solchen Übereinkunft sind, nicht ungünstiger behandeln als Wirtschaftsteilnehmer der Union. Wirtschaftsteilnehmer aus diesen Drittländern können sich auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen.
Dagegen können Wirtschaftsteilnehmer aus jenen Drittländern, die wie die Türkei keine solche internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen haben, nicht an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union teilnehmen und dabei die Gleichbehandlung mit Bietern aus den Mitgliedstaaten oder aus den durch eine solche Übereinkunft gebundenen Drittländern fordern. Sie können sich auch nicht auf die Bestimmungen der einschlägigen Vergaberichtlinie berufen, um die Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags anzufechten.
Schließlich befindet der Gerichtshof, dass die Frage des Zugangs von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in den Mitgliedstaaten zu einem Bereich gehört, für den die Union über eine ausschließliche Zuständigkeit verfügt. Daher sind die Mitgliedstaaten hinsichtlich dieses Zugangs nicht befugt, gesetzgeberisch tätig zu werden oder verbindliche Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu erlassen, auch wenn die Union keine einschlägigen Rechtsakte erlassen hat.
In Ermangelung eines solchen Rechtsakts ist es Sache des Auftraggebers, im Einzelfall zu prüfen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen haben, zu einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen sind. Wenn ein solcher Wirtschaftsteilnehmer den Verfahrensablauf beanstandet, kann sein Rechtsbehelf nur anhand des nationalen Rechts und nicht anhand des Unionsrechts geprüft werden.
Der Gerichtshof stellt insoweit fest, dass die nationalen Behörden von den Auftraggebern nicht verlangen können, dass sie auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationalen Übereinkünfte mit der Union geschlossen haben, die nationalen Bestimmungen, mit denen die in der Vergaberichtlinie enthaltenen Vorschriften umgesetzt werden, anwenden.
Folglich erklärt er das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig.
Anmerkung der Redaktion
In Kürze finden Sie eine Besprechung dieser Entscheidung auf Vergabeblog.
Quelle: EuGH, PM Nr. 183/24
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