Ein Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung ist zulässig, wenn der Auftrag wegen seiner technischen Besonderheiten nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann. Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 21.07.2010 – 15 Verg 6/10) stellt nun klar: Die Voraussetzungen hierfür sind erst gegeben, wenn europaweit nur ein einziges Unternehmen technisch imstande ist, den Auftrag auszuführen. Bereits die Möglichkeit anderer Unternehmen, die erforderlichen Fähigkeiten zu erwerben, schließt dies aus.
Gegenstand des Verfahrens war ein Vorhaben zur Beschaffung von Patientenüberwachungsanlagen mit Monitoren für die Anästhesiologie einer Klinik. Vorausgegangen war die europaweite Veröffentlichung einer Vorinformation mit der Aufforderung zur Bewerbung um eine Teilnahme. Nachdem ein Interessent dem Auftraggeber daraufhin zunächst eine Monitoranlage zum Probebetrieb zur Verfügung gestellt hatte, teilte dieser ihm nach Abschluss des Tests auf Anfrage mit, dass sich die Beschaffungsabsicht geändert habe und das Anforderungsprofil an die Geräte geändert worden sei. Da die neu aufgestellten Anforderungen einzig von einem anderen Unternehmen erfüllt würden, sei nach Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung zwischenzeitlich ein Vertrag mit diesem geschlossen worden. Eine Bekanntmachung über die Auftragserteilung ist unterblieben. Gegen diese Direktvergabe setzte sich der Interessent mit einem Nachprüfungsantrag zur Wehr: zu Recht, wie das OLG Karlsruhe nun entschied.
Begriff der technischen Besonderheiten eng auszulegen
Die Voraussetzungen zur Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung lagen nach Auffassung des Vergabesenats nicht vor. Nach § 3 a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 darf zwar ein Auftrag im Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben werden,
„wenn der Auftrag wegen seiner technischen oder künstlerischen Besonderheiten … nur von einem bestimmten Unternehmen durchgeführt werden kann“.
Entscheidend ist jedoch nicht, ob das zu beschaffende Produkt technische Besonderheiten aufweist, sondern, dass europaweit nur ein einziges Unternehmen über die technischen Fähigkeiten zur Herstellung des Produkts verfügt.
Hierzu führt der Vergabesenat aus:
„…Nur ein Unternehmen darf in der Lage sein, den Auftrag durchzuführen; das Unternehmen muss gleichsam Monopolist für die Erbringung der nachgefragten Leistung sein. Nur ein bestimmter Lieferant darf also in technischer Hinsicht die zur Auftragsausführung erforderliche besondere Befähigung oder die geeignete Ausstattung besitzen…“
Damit legt das OLG Karlsruhe den Ausnahmetatbestand der technischen Besonderheiten zur Begründung eines Verhandlungsverfahrens ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung erwartungsgemäß eng aus. Die Voraussetzungen des § 3 a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 liegen schon dann nicht vor, wenn ein Lieferant sich die erforderlichen besonderen Fähigkeiten oder Ausstattungen rechtzeitig aneignen bzw. diese erwerben kann.
Hohe Anforderungen an Vergabevermerk
Der Vergabesenat stellt außerdem hohe Anforderungen an die Begründung öffentlicher Auftraggeber, die den Ausnahmetatbestand des § 3 a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 anwenden wollen. Danach müssen sich Auftraggeber dezidiert mit der Frage auseinandersetzen, weshalb Unternehmen, die gegenwärtig nicht über die erforderlichen technischen Fähigkeiten verfügen, auch nicht in der Lage sind, diese in absehbarer Zeit zu erwerben. Dies hätte hier insbesondere deshalb besonders sorgfältiger Ermittlung und Darlegung bedurft, weil eventuell auch ausreichend Zeit für neue Entwicklungen vorhanden war, so das OLG Karlsruhe. Aus dem Vergabevermerk muss sich für außenstehende Dritte nachvollziehbar und zweifelsfrei ergeben, weshalb im Moment der Verfahrenswahl und in absehbarerer Zukunft außer dem für Exklusivverhandlungen in Aussicht genommenen Unternehmen kein anderes über die technischen Besonderheiten verfügt.
Kein Widerspruch zu OLG Düsseldorf
Entgegen der von Kuntze (IBR Werkstattbeitrag vom 13.08.2010) vertretenen Auffassung, setzt sich das OLG Karlsruhe meines Erachtens nicht in Widerspruch zum Beschluss des OLG Düsseldorf vom 17.02.2010 (VII Verg-42/09). Denn die Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung ist von der Festlegung auf einen bestimmten Beschaffungsgegenstand zu trennen.
Das OLG Düsseldorf hatte entschieden, dass es bei der Festlegung eines öffentlichen Auftraggebers auf bestimmte Produkte und Verfahren ausreicht, wenn auftrags- und sachbezogene Gründe hierfür bestehen. Unter diesen Voraussetzungen findet keine weitergehende Überprüfung der Beschaffungsentscheidung statt. Dies ist Ausfluss des alleinigen Bestimmungsrechts öffentlicher Auftraggeber. Dem stimmte das OLG Karlsruhe ausdrücklich zu, indem es daran erinnerte, dass der Bestimmung des Beschaffungsgegenstandes keine sachfremden, willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen zugrunde liegen dürfen.
Vor allem aber hatte sich das OLG Karlsruhe mit den Anforderungen an die Entscheidung für ein Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung auseinanderzusetzen. Hier muss die Bestimmungsmacht des Auftraggebers im Hinblick auf den Vorrang des Offenen Verfahrens nach § 101 Abs. 7 S. 1 GWB naturgemäß enger ausfallen. Darin liegt jedoch kein Widerspruch zum OLG Düsseldorf. Denn es handelt sich bei der Festlegung auf bestimmte Verfahren oder Produkte und bei der Wahl des Verhandlungsverfahrens um voneinander zu trennende Fragen. Während erstere materieller Natur ist, betrifft letztere das einzuhaltende Verfahren. Die beiden Problemkreise sind zwar miteinander verknüpft, da die Festlegung auf einen bestimmten Beschaffungsgegenstand (§ 8 Nr. 3 Abs. 3 VOL/A 2006) den Weg für ein Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung aufgrund technischer Besonderheiten (§ 3 a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006) ebnen kann. Gleichwohl sagt die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers für einen bestimmten Beschaffungsgegenstand noch nichts darüber aus, wie viele Unternehmen diesen tatsächlich anzubieten imstande sind.
Praxishinweis
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe wird auch bei künftigen Verfahren zu berücksichtigen sein. Denn mit § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A 2009 wurde die Vorschrift des § 3 a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 unverändert in die seit 11.06.2010 geltende Fassung übernommen. Das Verhandlungsverfahren ohne Öffentliche Vergabebekanntmachung ist die Ausnahme, denn es ist das Verfahren, welches den Wettbewerb am stärksten einschränkt. Seine Wahl sollte deshalb stets sorgfältig begründet und dokumentiert werden. Öffentliche Auftraggeber sind darüber hinaus gut beraten, die Vergabe von Aufträgen stets gemäß § 28 a VOL/A 2006 (= § 23 EG VOL/A 2009) im Amtsblatt der Europäischen Union bekanntzumachen. So wird die 30-Tages-Frist des § 101 b Abs. 2 S. 2 GWB in Gang gesetzt, innerhalb derer die Unwirksamkeit eines Vertrages geltend gemacht werden muss. Nach Ablauf dieser Frist kann die Vergabe eines Auftrags nicht mehr angegriffen werden.
Der Autor Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Dort betreut er Projekte der öffentlichen Hand mit einem Schwerpunkt auf der vergaberechtlichen Beratung. Mehr Informationen zum Autor finden Sie im Autorenverzeichnis.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
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