Ein Gastbeitrag von RA Holger Schröder
Eisenbahnverkehrsleistungen unterliegen grundsätzlich dem Vergaberecht. Die Aufgabenträger im Schienenpersonennahverkehr (SPNV), wie etwa die Bundesländer oder Verkehrsverbünde, dürfen einen Auftrag zur Erbringung von SPNV-Leistungen nicht mehr ohne Ausschreibungswettbewerb direkt an ein Unternehmen vergeben. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden (Beschluss vom 8. Februar 2011 – X ZB 4/10).
Mehr Wettbewerb
Der Bundesgerichtshof schränkt damit die Direktvergabe im Schienenpersonennahverkehr durch die Öffentliche Hand weiter ein. Mit gewaltigen Auswirkungen, denn allein in den Jahren 2012 bis 2016 laufen Verkehrsverträge zur Erbringung von SPNV-Leistungen im Umfange von mehreren hundert Millionen Zugkilometern aus. Dahinter verbirgt sich ein milliardenschweres Auftragsvolumen. Anbieter wie die Deutsche Bahn AG müssen sich daher auf einen stärkeren Wettbewerb einstellen.
Historie
Ausgangspunkt des Beschlusses der Bundesrichter ist ein Nachprüfungsverfahren, dem ein Vergleichsvertrag vom 24.11.2009 zwischen einem SPNV-Aufgabenträger (Verkehrsverbund Rhein-Ruhr) und der DB Regio AG zu Grunde lag. In diesem Vergleichsvertrag sollte ein im Jahr 2004 zwischen den Vertragspartnern zunächst bis Dezember 2018 abgeschlossener Verkehrsvertrag, der u.a. den Betrieb sämtlicher S-Bahn-Linien in den Kooperationsräumen 1 (Verkehrsverbund Rhein-Ruhr) und 9 (Niederrhein) zum Gegenstand hatte, hinsichtlich des S-Bahnverkehrs bis Dezember 2023 verlängert werden. Eine wettbewerbliche Ausschreibung des Vergleichsvertrages fand nicht statt. Die ohne Ausschreibung erfolgte Vertragsverlängerung wurde deshalb von einem konkurrierenden SPNV-Unternehmen (Abellio GmbH) zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht.
Nachprüfungsverfahren überhaupt zulässig?
Das den Rechtsstreit an den BGH vorlegende Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Nachprüfungsantrag für zulässig und in weiten Teilen für begründet erachtet. Die Düsseldorfer Richter sahen sich allerdings an einer eigenen, abschließenden Sachentscheidung wegen der entgegenstehenden Rechtsprechung eines anderen Vergabesenates gehindert. Diese Divergenz betraf vor allem die Frage, ob bei der Vergabe von Dienstleistungen des SPNV ein Nachprüfungsverfahren überhaupt zulässig sei. Denn das Brandenburgische Oberlandesgericht hatte diese Frage in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 verneint und angenommen, solche Leistungen unterlägen der speziellen Regelung in § 15 Absatz 2 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG). Danach können die Aufgabenträger Eisenbahnverkehrsleistungen ausschreiben, müssen dies aber nicht.
Folgen der Entscheidung des BGH
Der BGH hat nunmehr die Rechtsauffassung der brandenburgischen Richter verworfen. Damit dürfte das derzeit geltende (deutsche) Recht, das eine Ausschreibungspflicht für SPNV-Leistungen begründet, über die Regelungen der (europäischen) ÖPNV-Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 hinausgehen, welche eine Direktvergabe an ein Eisenbahnverkehrsunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen begünstigt.
Vorbehaltlich einer gesetzlichen Änderung des deutschen Rechts dürfte deshalb das Erfordernis eines Ausschreibungswettbewerbs grundsätzlich fortgelten. Fraglich ist allerdings, ob eine gesetzliche Änderung überhaupt notwendig ist, weil mit § 4 Absatz 3 der Vergabeverordnung (VgV) schon heute eine Norm besteht, die unter gewissen Bedingungen eine freihändige Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen ausnahmsweise ermöglicht.
Die Beschlussgründe der Entscheidung hat der BGH noch nicht veröffentlicht. Doch fest steht schon jetzt, dass das Urteil weitreichende Bedeutung für den Wettbewerb im SPNV haben wird.
Der Autor Holger Schröder ist Rechtsanwalt, Associate Partner und Leiter Vergaberechtspraxis von Rödl & Partner, ein weltweit tätiges Beratungs- und Prüfungsunternehmen deutschen Ursprungs an 84 Standorten in 37 Ländern. Sie erreichen den Autor unter holger.schroeder@roedl.de.
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