Ein sog. Grünbuch der EU-Kommission dient dem Zweck eine öffentliche und wissenschaftliche Diskussion zu einem bestimmten Thema herbeizuführen, insb. zur Vorbereitung geplanter Verordnungen und Richtlinien. Die Kommission hatte Ende Januar ein solches Grünbuch zu den europäischen Vergaberichtlinien veröffentlicht und damit deutlich gemacht, dass sie deren umfassende Revision prüft. Der Bundesrat hat nun in seiner 881. Sitzung im März dazu Stellung genommen (BR-Drucksache 37/11 (B)) Zentrale Aussage: „Vor dem Hintergrund der mehrfachen Überarbeitung des Vergaberechts in Deutschland in den vergangenen Jahren sollte vorerst mehr Wert auf Kontinuität gelegt werden.“
Keine Änderungen des Systems
Nach der üblichen Einleitung im Diplomatendeutsch
Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich die Intention der Kommission für einen gezielten und besseren Einsatz öffentlicher Gelder und öffentlicher Vergabeverfahren. Die mit der Modernisierung der Vergaberichtlinien angestrebten Ziele der Vereinfachung, Flexibilisierung und Steigerung der Effizienz der Vergabeverfahren werden ausdrücklich begrüßt.
wird es dann konkret:
Der immer wieder aufkeimenden Diskussion um ein einheitliches Vergabegesetzbuch erteilt der Bundesrat bereits auf Seite eins seiner Stellungnahme eine Absage, er “wendet sich […] gegen eine Änderung der bekannten und in der Praxis bewährten Struktur des Vergaberechts. Insbesondere sollte eine Unterscheidung nach Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen beibehalten werden.”
Soweit, so wenig überraschend geht es weiter. Mit Blick auf die in Deutschland schwelende Diskussion um die Einführung eines effektiven Rechtsschutzes auch unterhalb der EU-Schwellenwerte heisst es, man lehne weitere Leitlinien unterhalb der Schwellenwerte ab, da „bezüglich der Anwendung primärrechtlicher Grundsätze ausreichende Rechtssicherheit gegebenenfalls durch die Rechtsprechung geboten werden [kann].“
Inhouse-Vergaben
Wir erinnern uns: Im Rahmen der letzten GWB-Reform war eine ausdrückliche Freistellung der sog. Inhouse-Vergaben vom Anwendungsbereich des Vergaberechts zunächst vorgesehen, die dabei sogar über das hinaus ging, was der EuGH in seiner bekannten Teckal-Rechtsprechung als zulässigen Freiraum anerkannt hatte. Diese bundesdeutsche Regelung, die buchstäblich in letzter Sekunde am massiven Widerstand der Wirtschaftsverbände scheiterte, hätte zumindest in einigen Branchen eine relevante Marktabschottung zu Gunsten der Eigenbetriebe der öffentlichen Hand bedeutet.
Der Bundesrat bittet nun in seiner Stellungnahme die Bundesregierung darauf hinzuwirken, dass bei einer erneuten Novellierung des EU-Vergaberechts “dem Bereich der In-House-Vergabe ein hoher Stellenwert beigemessen wird, weil In-House-Vergaben ein unentbehrlicher Bestandteil kommunalen Handelns zur Erledigung öffentlicher Aufgaben sind.” Eine solche Aufgabenübertragung sei als eine “nicht dem Vergaberecht unterliegenden öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit anzuerkennen” da lediglich Ausgestaltung der innerstaatlichen Organisationshoheit.
Dabei geht der Bundesrat jedoch ungewöhnlich weit: Auch bei einer privater Beteiligung an der den Auftrag ausführenden Institution stelle “eine Aufgabenübertragung durch Organisationsakt keinen Beschaffungsakt dar, solange damit keine Beauftragung des Privaten verbunden ist. Marktinteressen sind dadurch nicht berührt.”
Amtssprache ist Deutsch
Der Bundesrat begrüßt die Weiterentwicklung des Vergaberechts auf EU-Ebene. Allerdings sei es den Vergabestellen nicht zuzumuten, Leistungsbeschreibungen in einer zweiten Sprache zu erstellen und in einer Fremdsprache verfasste Angebote zu akzeptieren – dem ist zuzustimmen, denn schließlich wird man von Auftragnehmern zu Recht erwarten dürfen, sich als Teil ihrer angebotenen Leistung auch auf den jeweiligen Auftraggeber einzustellen, wozu sicherlich dessen Sprache zählt.
Nachhaltige Beschaffung
Der Bundesrat befürwortet die Nutzung der öffentlichen Nachfragemacht als politisches Steuerungsinstrument hin zu einer nachhaltigen Beschaffung, wenn auch sehr vorsichtig verpackt: “Der Bundesrat begrüßt daher die mit dem Grünbuch eröffnete Diskussion darüber, wie das europäische Vergabewesen einen wirksameren Beitrag zur Umsetzung dieser Gemeinschaftsziele leisten kann.” Nach Auffassung des Bundesrats komme der öffentlichen Hand eine Vorbildfunktion zu, sich selbst strengere Anforderungen für die Auftragsvergabe aufzuerlegen, als dies gegenüber Privaten erfolgt.
Fazit
Auch wenn die Stellungnahme des Bundesrates keine wirklich neuen Positionen enthält, so werden diese doch weitgehend mit Nachdruck vertreten. Das wird bei 27 europäischen Mitgliedsstaaten auch notwendig sein, und bereits für den 30. Juni hat die Kommission eine nach eigenen Angaben “hochrangig besetzten Konferenz über die Reform des öffentlichen Auftragswesens” angesetzt. Auf Grundlage der zum Grünbuch eingegangenen Stellungnahmen sollen dann geeigneter Legislativvorschläge erarbeitet werden.
Die vollständige Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drucksache 37/11 (B)) finden Sie hier.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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