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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 21/07/2013 Nr. 16403

Neues zur Produktneutralität: Verbotene Produktvorgabe rechtfertigt kein Angebot einer Alternativlösung! (OLG Frankfurt, 11.06.2013, 11 Verg 3/13)

EntscheidungGut gemeint ist noch nicht gut gemacht, wird sich der unterlegene Bieter denken: In einer Ausschreibung bot er ein aus seiner Sicht besseres Produkt als das vom Auftraggeber geforderte an – und wurde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen. Zu Recht, wie der Vergabesenat entschied. Dass die Leistungsbeschreibung eine unzulässige Produktvorgabe enthielt, spielte keine Rolle.

§§ 7 Abs. 8, 13 Abs. 1 Nr. 5 S. 1, 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), lit. e) EG VOB/A 2012

Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Dachdichtungsarbeiten für ein Hallenbad in einem europaweiten Offenen Verfahren nach der VOB/A 2012 aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Nebenangebote waren nicht zugelassen. Laut Leistungsbeschreibung sollten für die Dachabdichtung „thermoplastische FPO-Kunststoffdachbahnen“ verwendet werden. Die technischen Spezifikationen waren so detailliert beschrieben, dass nur die Kunststoffdachbahnen eines einzigen Herstellers die Vorgaben erfüllten.

Ein Unternehmen bot stattdessen „Polymerbitumenbahnen“ an. Auf Nachfrage erklärte es, dass es Kunststoffdachbahnen aufgrund qualitativer Bedenken grundsätzlich nicht verwende. Die angebotenen Dachbahnen seien jedoch gleichwertig und gingen weit über die technischen Mindestanforderungen hinaus. Deshalb dürfe das Produkt unabhängig von der Zulässigkeit von Nebenangeboten angeboten werden. Obwohl es preislich an erster Stelle lag, wurde das Angebot des Unternehmens ausgeschlossen. Der hiergegen gerichtete Nachprüfungsantrag hatte keinen Erfolg.

Auch verdeckte Produktvorgaben sind unzulässig

Das OLG Frankfurt deutete zwar an, dass die technischen Spezifikationen auf eine nach § 7 Abs. 8 EG VOB/A verbotene Produktvorgabe hinauslaufen und führte aus:

„Gegen diese Verpflichtung wird auch dann verstoßen, wenn durch die Vorgaben verdeckt ein Leitfabrikat ausgeschrieben wird, weil nur ein bestimmtes Produkt allen Vorgaben gerecht wird.“

Ist, wie hier, die Festlegung auf einen einzigen Hersteller nicht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt, wird der Wettbewerb unzulässig eingeschränkt. Deshalb musste der Auftraggeber auch solche Kunststoffdachbahnen als ausschreibungskonform akzeptieren, die von den technischen Spezifikationen der Leistungsbeschreibung abweichen, sofern sie gleichwertig sind (vgl. OLG München, 17.09.2007, Verg 10/07).

Vergleichbares Material ja – anderes Material nein

Die grundsätzliche Entscheidung für eine bestimmte technische Lösung – hier Kunststoffdachbahnen – bleibt, wie das OLG Düsseldorf in einer Reihe von Beschlüssen herausgearbeitet hat, aber nach wie vor dem Auftraggeber vorbehalten (vgl. hierzu Soudry, Vergabeblog vom 11.04.2010 und Mantler, Vergabeblog vom 18.11.2012). Hierzu führt der Vergabesenat aus:

„Allein die Festlegung eines Systems basierend auf FPO-Kunststoffbahnen verletzt jedoch noch nicht das Verbot der produktspezifischen Ausschreibung, weil es … insoweit verschiedene Produkte verschiedener Hersteller gibt. Dass sich die Antragsgegnerin auf ein solches System festgelegt hat, unterfällt ihrer Dispositionsbefugnis als Auftraggeber, der in der Auswahl der von ihm zu beschaffenden Leistungen grundsätzlich frei ist. Die Antragsgegnerin hätte daher lediglich die technischen Spezifikationen nicht so eng fassen dürfen, dass diese ausschließlich von dem Produkt … erfüllt werden.“

Bieter dürfen also trotz der unzulässigen Produktvorgabe nicht ein ganz anderes Material anbieten. Dadurch ändern sie nämlich eigenmächtig die Vergabeunterlagen ab. Dies hat nach §§ 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. b), 13 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 EG VOB/A zwingend den Ausschluss des Angebots zur Folge. Hierzu der Vergabesenat weiter:

„Die Antragstellerin hat dadurch, dass sie … Polymerbitumenbahnen angeboten hat, objektiv ein anderes Produkt angeboten als ausgeschrieben war. Ob dieses Produkt denselben Zweck erfüllt wie das ausgeschriebene und ob die technischen Eigenschaften, wie sie in den Vergabeunterlagen näher ausgeführt wurden, dieselben sind, ist dabei zunächst irrelevant. Die Antragsgegnerin hat nicht allgemein Dachabdichtungsbahnen ausgeschrieben, sondern Abdichtungsbahnen aus einem bestimmten Material. Wenn die Antragstellerin stattdessen ein anderes Material anbietet, hat sie damit den Inhalt der ausgeschriebenen Leistung und somit die Vergabeunterlagen geändert.“

Entscheidend ist danach, ob der Bieter dasselbe Material mit vergleichbaren technischen Eigenschaften oder ein anderes Material anbietet, mag dieses auch hochwertiger sein. Letzteres ist vergaberechtlich nicht erlaubt.

Die Polymerbitumenbahnen konnten auch nicht als Nebenangebot gewertet werden, da solche nicht zugelassen waren, vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) EG VOB/A. Schließlich kann das Angebot auch nicht als weiteres Hauptangebot ausgelegt werden. Denn Hauptangebote müssen sich in den Grenzen der Leistungsbeschreibung bewegen und dürfen gerade keine abweichenden Lösungen enthalten (vgl. zur Zulässigkeit mehrerer Hauptangebote Soudry, Vergabeblog vom 18.05.2011). Damit war der Ausschluss des Angebots rechtmäßig.

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Das Anbieten eines Materials, das nach Überzeugung des Bieters qualitativ über das vom Auftraggeber vorgegebene Material hinausgeht, ist vergaberechtlich unzulässig. Es benachteiligt Bieter, die sich an die Vorgaben der Leistungsbeschreibung halten und führt dazu, dass eingehende Angebote – insbesondere bei einer reinen Preiswertung – nicht miteinander vergleichbar sind. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Auftraggeber entgegen § 7 Abs. 8 EG VOB/A auf einen bestimmten Hersteller festlegte.

Deutsches VergabenetzwerkWie müssen Bieter vorgehen?

Wie sollen sich Bieter also verhalten, wenn eine Leistungsbeschreibung unzulässige Produktvorgaben enthält? Manchmal hilft schon der formlose Hinweis an den Auftraggeber, dass die Leistungsbeschreibung aus fachlicher Sicht eine nicht notwendige Verengung auf einen Hersteller enthält. Gerade umfangreiche Leistungsverzeichnisse können Fehler enthalten und ein breiter Wettbewerb liegt grundsätzlich im Interesse des Auftraggebers.

Lehnt der Auftraggeber eine Überarbeitung der Leistungsbeschreibung ab, bleiben nur Rüge und Nachprüfungsantrag. Aber Vorsicht: Bieter haben generell keinen Anspruch darauf, dem Auftraggeber andere als die von ihm ausgeschriebenen Lösungen oder Materialien anzubieten. Sie dürfen lediglich fordern, dass die vom Auftraggeber aufgestellten Materialvorgaben mit Produkten verschiedener Hersteller erfüllt werden können, wenn nicht ausnahmsweise auftragsbezogene Gründe die Festlegung auf ein einziges Produkt rechtfertigen.

Dr. Daniel Soudry, LL.M.

Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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