Die im Rahmen der Vergaberechtsreform verschärfte „Mittelstandsklausel“ des § 97 III GWB sieht nunmehr eine grundsätzliche Pflicht zur Aufteilung öffentlicher Aufträge in Fach- und Teillose zur Stärkung des Mittelstands vor. Und obgleich diese neue Vorschrift eine Ausnahmemöglichkeit vorsieht, war und ist sie Gegenstand heftiger Diskussionen. Warum eigentlich?
Braucht es überhaupt eine verstärkte Mittelstandsklausel? In diesem Punkt waren sich selbst die Wirtschaftsverbände nicht einig. In der politischen Auseinandersetzung war es insbesondere die CDU/CSU-Fraktion, die sich für eine verstärkte Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge stark gemacht hatte und die sich den neuen § 97 III GWB daher wohl verdient auf ihre Fahnen schreiben darf.
Warum lohnt es, sich mit diesem Thema zu beschäftigen? Das Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn) definiert Unternehmen mit bis zu neun Beschäftigten respektive weniger als 1 Million € Jahresumsatz als kleine und solche mit zehn bis 499 Beschäftigten bzw. einem Jahresumsatz von 1 Million € bis unter 50 Millionen € als mittlere Unternehmen. Die Gesamtheit der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) setzt sich somit aus allen Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten respektive 50 Millionen € Jahresumsatz zusammen. Danach gibt es
Worin liegt nun aber der genaue Unterschied zur alten Regelung in § 97 III GWB? Diese lautet:
„Mittelständische Interessen sind vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen.“
Nach dem Wortlaut waren mittelständische Interessen zwar immer zu berücksichtigen, dies allerdings nur angemessen. Und wenn, dann soll dies in erster Linie („vornehmlich“) mittels Teilung der Aufträge erfolgen. Fragt man KMUs, so scheint diese gesetzliche Vorgabe aber i.d.R. unterlaufen worden zu sein.
Die neue Klausel sieht daher nun vor:
„Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern.“
Hier ist nun sehr genau zwischen Satz 1 und 2 zu unterscheiden: Nach Satz 1 sind mittelständische Interessen nun nicht einfach nur zu berücksichtigen, sondern „vornehmlich“, was tatsächlich deutlich mehr sein dürfte als „angemessen“. Das sprachlich verwirrende an der Neufassung ist, dass das unscheinbare Wörtchen „vornehmlich“ seinen bisherigen Bezug zur Losvergabe verliert und fortan die Mittelstandsförderung an sich qualifiziert. Die dann sozusagen „kumulative“ Förderung des Mittelstands durch Losvergabe ist in Satz 2 der neuen Vorschrift geregelt, die jedoch eine Ausnahmemöglichkeit vorsieht.
Diese Hintertür, bei gegebenen wirtschaftlichen oder technischen Gründen von der Losvergabe abzusehen, dürfte in der Praxis leicht zu öffnen sein. Schon beim alten § 97 III GWB stellte das OLG Thüringen fest (Beschluss v. 6.6.2007, 9 Verg 3/07):
„Verbietet sich bei funktionaler Betrachtung der mit dem Beschaffungsvorhaben verfolgten Ziele und Zwecke eine Zerlegung des Auftrags in Teil- bzw. Fachlose, ist für eine einzelfallorientierte Berücksichtigung mittelständischer Interessen im Sinne des § 97 Abs. 3 GWB („… angemessen zu berücksichtigen“) kein Raum.“
Man wird hier auf die ex-ante Sicht eines durchschnittlichen, verständigen und objektiven Beschaffers abstellen müssen, gerechterweise ohne an diesen die Fachkenntnisse des jeweils einschlägigen Fachingenieurs stellen zu dürfen. Es kann kaum Ziel der Reform gewesen sein, den über 30.000 Beschaffungsstellen in Deutschland hier bei jeder größeren Ausschreibung umfangreiche Prüf- und Rechtfertigungspflichten aufzuerlegen. Was vom neuen § 97 III, Satz 2 GWB übrig bleiben wird, dürfte daher eine Pflicht zur Losvergabe nur in den Fällen sein, in denen es umgekehrt einer umfangreichen Rechtfertigung bedürfte, die Leistung gerade nicht losweise zu vergeben. Und damit dürfte zumindest an dieser Stelle der Unterschied zur alten Regelung in der Vergabepraxis gering ausfallen.
Es dürfte am Ende also wohl nur Satz 1 der neuen Mittelstandsklausel sein, auf den sich KMU erfolgreich berufen können: Aus einem zarten „angemessen“ wurde ein mutiges „vornehmlich zu berücksichtigen“, damit letztlich eine „Soll-“ zu einer „Muß-Vorschrift“. Nur, wie kann eine Förderung des Mittelstands noch effektiv geschehen, wenn nicht durch Aufteilung der Aufträge in Fach- oder Teillose? Eine Alternative dazu hatte schon beim alten § 97 III GWB niemand nennen können, weder Politik noch Verwaltung.
Soll allein die Qualifizierung als „Mittelstand“ bei gleicher Wirtschaftlichkeit genügen, um den Zuschlag zu erhalten? Oder soll die Mittelstandsklausel nur sicherstellen, dass diesen Bewerbern die gleiche Chance eingeräumt wird, sich im Rahmen des Wettbewerbs um öffentliche Aufträge zu beteiligen? Und wer fällt eigentlich unter den Mittelstand, und wer nicht? Legt man die KMU-Definition des IfM Bonn zu Grunde, so zählen 99,7 % der Unternehmen in Deutschland zu den kleinen und mittleren Unternehmen, wobei es jedenfalls laut OLG Düsseldorf (Beschluss v. 8.9.2004, AZ VII – Verg 38/04) keine einheitliche rechtliche Definition für die Zugehörigkeit von Bauunternehmen zum Mittelstand gibt.
Am Ende dürfte das Fazit zur Diskussion um den neuen § 97 III GWB „viel Lärm um nichts“ lauten. Dies obwohl KMU aufgrund ihrer oftmaligen Spezialisierung auf einen verlässlichen Nachfrager wie den Staat angewiesen sind, nicht wenige hängen sogar existenziell von öffentlichen Aufträgen ab. Und dabei sollte man nicht vergessen, auch der Staat von ihnen: KMU stellen in Deutschland mehr als 80 Prozent aller Lehrstellen zur Verfügung (Quelle a.a.O.).
Wie sind dazu Ihre Erfahrungen als Bieter oder auch Vergabestelle? War und ist die alte Mittelstandsklausel Segen oder Fluch? Und was erwarten Sie von der neuen?
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Aus dem Bundestag, 25.3.2009: FDP will Mittelstand stärken
Die FDP-Fraktion will den Mittelstand mit niedrigeren Steuern und einem einfacheren Steuersystem stärken. Außerdem sollen die Unternehmen von bürokratischen Aufgaben entlastet werden. In einem Antrag der FDP-Fraktion (16/12326) heißt es, der Mittelstand warte auf Steuersenkungen und auf niedrigere Lohnzusatzkosten, damit er wieder investieren und Arbeitsplätze schaffen könne. Die Gewerbesteuer gehöre nicht ausgeweitet, sondern abgeschafft, verlangt die FDP-Fraktion. Die Einkommensteuer müsse gesenkt werden. Die Fraktion spricht sich außerdem dafür aus, dass der Fälligkeitstermin für die Zahlung von Sozialabgaben so gewählt werden müsse, dass eine zusätzliche Belastung ausgeschlossen sein müsse. Durch die Vorverlegung des Fälligkeitstermins sei ein bürokratischer Mehraufwand für Unternehmen in Höhe von 4 Milliarden Euro entstanden.
Die Erbschaftsteuer soll nach den Vorstellungen der FDP-Fraktion in die Kompetenz der Bundesländer überführt werden. Die Erbschaftsteuerreform habe für viele Mittelständler keine Entlastung beim Betriebsübergang, sondern zusätzliche Belastungen gebracht. Außerdem verlangt die FDP-Fraktion, keine Mindestlöhne zu schaffen, sondern flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten für die Betriebe. Wenn 75 Prozent einer Belegschaft oder der Betriebsrat für abweichende Regelungen vom Tarifvertrag stimmen würden, müsse vom Vertrag abgewichen werden können. Die Zahl der gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsratsmitglieder müsse deutlich reduziert werden. Ein Betriebsrat soll erst in Unternehmen ab 20 Beschäftigten gebildet werden können. Auch der gesetzliche Kündigungsschutz soll erst in Betrieben ab 20 Beschäftigten und nach zwei Jahren Beschäftigungsdauer gelten.
Der Mittelstand erwirtschafte mehr als 40 Prozent aller Umsätze der Unternehmen in Deutschland. 71 Prozent der Arbeitsplätze und 83 Prozent der Ausbildungsplätze stelle der Mittelstand. „Der Metzgermeister, die selbstständige Architektin oder andere mittelständische Unternehmer, die auf eigenes Risiko mit ihrem Geld sich und anderen eine Existenz aufgebaut haben, die vor Ort leben und ihre Kunden kennen, haben oft ein anderes Verantwortungsbewusstsein für die Menschen in ihrer Heimat als anonyme Großkonzerne. Standortpflege und gemeinnütziges Engagement vor Ort sind im Mittelstand besonders ausgeprägt“, schreibt die FDP-Fraktion.