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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 24/05/2009 Nr. 2415

Neuer Art. 91c GG: Die IT-Nutzung bekommt eine verfassungsrechtliche Grundlage – mit wesentlichen Folgen für die Beschaffung

IT „Was die Eisenbahn für das 19. und die Luftfahrt für das 20. Jahrhundert waren, ist die IT für unser Jahrhundert“, sagt Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble. „Eisenbahn und Luftverkehr stehen schon im Grundgesetz, es ist höchste Zeit, dass sich auch die IT dort wieder findet und klare Verantwortlichkeiten für die Nutzung der Informationstechnik in der öffentlichen Verwaltung geschaffen werden.“ Mit dem neuen Art. 91c GG soll diese Vision nun Wirklichkeit werden. Darauf hat sich die Föderalismuskommission II in ihrer abschließenden Sitzung am 6. März verständigt – eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Informationstechnik der öffentlichen Verwaltungen. Mit wesentlichen Folgen auch für die künftige IT-Beschaffung von Bund und Ländern.

Art. 91c Absatz 1 GG-E schafft eine Grundlage für Bund und Länder, bei der Informationstechnik zusammenzuwirken. Die Vorschrift ist angesichts des ständigen Fortschritts der Informationstechnik und ihrer wachsenden Bedeutung für die öffentliche Verwaltung weit gefasst. Umfasst ist das tatsächliche und rechtliche Zusammenwirken. Dafür ist ein neues System der IT-Steuerung von Bund und Ländern vorgesehen, dass als Kern einen IT-Planungsrat von Bund und Ländern vorsieht. Die bisherigen Gremien (insb. Arbeitskreis der Staatssekretäre für E-Government in Bund und Ländern, Vorhaben aus dem Projekt „Deutschland-Online“, Kooperationsausschuss von Bund und Ländern für automatisierte Datenverarbeitung) sollen abgeschafft werden. Aufgrund des durch Art. 79 Abs. 3 GG garantierten Grundsatzes der Eigenstaatlichkeit der Länder gilt für die Zusammenarbeit nach Art. 91c Absatz 1 GG-E das Erforderniss der Einstimmigkeit.

Von besonderer Bedeutung für die öffentliche Beschaffung ist Art. 91c Absatz 2 GG-E, der die Zusammenarbeit nach Absatz 1 konkretisiert: Danach können sich Bund und Länder durch Staatsverträge auf einheitlich anzuwendende Standards zur Sicherstellung der Interoperabilität und hinsichtlich der Sicherheitsanforderungen des Datenaustausches einigen. Damit soll u.a. sichergestellt werden, dass Daten in Systeme anderer Verwaltungen ohne Medienbrüche übernommen werden können. Es bleibt zwar bei der Entscheidung jedes Verwaltungsträgers, welche technischen Mittel er für die von ihm gewählte Form der Aufgabenwahrnehmung einsetzt, womit die Interoperabilitätsstandards nur die IT-Subsysteme, also Datenformate und Verfahren zur Datenübertragung betreffen werden. Aber auch das wird genügen, erhebliche Auswirkungen auf die künftige IT-Beschaffung von Bund und Ländern zu bewirken – und damit auch auf den Wettbewerb unter den Anbietern. Im Anwendungsbereich des Absatzes 2 der neuen Vorschrift – und zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Eigenständigkeit der Länder nur dort, also hinsichtlich der Standardsetzung und der Sicherheitsanforderungen – kann zugunsten einer qualifizierten Mehrheit vom Einstimmigkeitsprinzip abgewichen werden: „Bislang waren Einigungen, soweit es sie im Bereich informationstechnischer Systeme überhaupt gab, dadurch geprägt, dass eine Vielzahl von Gremien einstimmig entscheiden musste. Damit war die Standardsetzung häufig zu langsam und zu schwerfällig“, heisst es in der Gesetzbegründung. Durch die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen soll zudem die Dauer der Entscheidungsfindung deutlich verkürzt werden, nicht zuletzt um damit auch mit der Entwicklungsgeschwindigkeit der IT Schritt halten zu können.

Absatz 3 des neuen Art 91c GG-E hat es – aus Sicht der ITK-Dienstleister – noch einmal in sich: Nach dieser auch als „Dataport-Klausel“ bezeichneten Regelung können die Länder über die Festlegung von Standards hinaus und unabhängig vom Bund informationstechnische Systeme gemeinsam betreiben und hierfür auch gemeinsame Institutionen errichten. Dabei können die Länder auch Aufgaben oder Aufgabenteile diesen Institutionen zuweisen. Absatz 3 weckt damit starke Assoziationen an die im Rahmen der GWB-Reform in letzter Minute gescheiterte „Inhouse“-Regelung (§ 99 I, S. 1 GWB-E): Diese hätte es der öffentlichen Hand ermöglicht, ihre Zusammenarbeit in weiten Teilen von den Regelungen des Vergaberechts auszuschliessen. Öffentliche Auftraggeber hätten auf dieser Grundlage Leistungen ohne Ausschreibung, d.h. gänzlich ohne Beteiligung des Marktes, durch andere Stellen der öffentlichen Hand erbringen lassen können. Hiervon wäre insbesondere die ITK-Wirtschaft besonders stark betroffen worden, denn keine anderen Dienstleistungen lassen sich so einfach und ohne besonderen Aufwand überregional und verwaltungsübergreifend erbringen. Man darf gespannt sein, ob nicht durch Art. 91c Absatz 3 GG-E nun die Hintertür hierfür aufgemacht wird.

Schließlich weist Art. 91c Absatz 4 GG-E die Kompetenz für die Errichtung und den Betrieb eines Verbindungsnetzes zwischen den informationstechnischen Netzen des Bundes und der Länder dem Bund zu, wobei das Netz auch für den länderübergreifenden Datenaustausch genutzt werden kann. Das Verbindungsnetz soll zudem die Verbindung mit den Netzen der EU sicherstellen. Die Kosten für Errichtung und Betrieb des Netzes trägt der Bund gemäß der finanzverfassungsrechtlichen Kostentragungspflicht des Artikels 104a Absatz 1 GG. Die Anschlusskosten werden jeweils von dem für das angeschlossene Netz Zuständigen getragen.

Ende Mai soll der Bundestag mit der Föderalismusreform II der Änderung des Grundgesetzes in zweiter und dritter Lesung zustimmen. Den Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (BT-Drs. 16/12410) finden Sie hier.

Das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. Dirk Heckmann, Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht der Universität Passau, anlässlich der gemeinsamen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags und des Finanzausschusses des Bundesrats am 4. Mai 2009 in Berlin zum Gesetzentwurf, finden Sie hier.

Art. 91c GG-E lautet:

(1) Bund und Länder können bei der Planung, der Errichtung und dem Betrieb der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme zusammenwirken.

(2) Bund und Länder können aufgrund von Vereinbarungen die für die Kommunikation zwischen ihren informationstechnischen Systemen notwendigen Standards und Sicherheitsanforderungen festlegen. Vereinbarungen über die Grundlagen der Zusammenarbeit nach Satz 1 können für einzelne nach Inhalt und Ausmaß bestimmte Aufgaben vorsehen, dass nähere Regelungen bei Zustimmung einer in der Vereinbarung zu bestimmenden qualifizierten Mehrheit für Bund und Länder in Kraft treten. Sie bedürfen der Zustimmung des Bundestages und der Volksvertretungen der beteiligten Länder; das Recht zur Kündigung dieser Vereinbarungen kann nicht ausgeschlossen werden. Die Vereinbarungen regeln auch die Kostentragung.

(3) Die Länder können darüber hinaus den gemeinschaftlichen Betrieb informationstechnischer Systeme sowie die Errichtung von dazu bestimmten Einrichtungen vereinbaren.

(4) Der Bund errichtet zur Verbindung der informationstechnischen Netze des Bundes und der Länder ein Verbindungsnetz. Das Nähere zur Errichtung und zum Betrieb des Verbindungsnetzes regelt ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates.

Hintergrund zur Föderalismuskommission II

Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes dient der Umsetzung der Beschlüsse der gemeinsamen Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen (kurz: Föderalismuskommission II). Damit wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte zweite Stufe der Föderalismusreform umgesetzt.

Bundestag und Bundesrat hatte am 15. Dezember 2006 beschlossen, eine gemeinsame Kommission zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzusetzen. Die vom Vorsitzenden der Fraktion der SPD, Dr. Peter Struck, und dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, Günther H. Oettinger, geleitete Kommission hatte den Auftrag, Vorschläge zur Modernisierung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu erarbeiten, um diese den veränderten Rahmenbedingungen innerhalb und außerhalb Deutschlands für die Wachstums- und Beschäftigungspolitik anzupassen. Im Interesse einer besseren Aufgabenerfüllung sollten auch Vorschläge für eine Effizienzsteigerung und Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung gemacht werden. Die Kommission hat ihre Arbeiten am 5. März 2009 mit der Vorlage von Reformvorschlägen abgeschlossen.

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Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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