In der Hauptstadt scheint der Wurm drin. Seit gestern morgen fahren gerade mal 1/4 aller S-Bahnen. Nachdem im Juli der Verkehr bereits wegen Sicherheitsüberprüfungen an den Rädern zu großen Teilen zum Erliegen kam, sind nun die Zugbremsen dran – eben schön der Reihe nach. Die bereits seit Jahren grassierenden Probleme im Berliner Nahverkehr beschäftigten im Mai sogar den Bundestag (16/12945 ), da massive Sparmaßnamen als Ursache vermutet wurden. Nun könnte man dies zum Anlass nehmen, öfters mal zu Fuß zu gehen, allerdings empfiehlt es sich, in den kommenden Monaten eine Taschenlampe mit zu nehmen: Das Berliner Kammergericht hat mit Beschluss vom 31. August (Az. 2 Verg 6/09) die Vergabe der öffentlichen Straßenbeleuchtung – Betrieb und Wartung der rund 224.000 Laternen – an ein Tochterunternehmen von Vattenfall vorerst gestoppt. Die Sache wird derweil zum Politikum, da es bereits der zweite Versuch dieser Ausschreibung ist.
Bereits im Jahr 2006 hatte das Kammergericht nach einem siebenjährigen Verfahren festgestellt, dass ein erstes Vergabeverfahren rechtswidrig war. In diesem Verfahren war Vattenfall ein Schadenersatzanspruch gegenüber dem Land zugesprochen worden. Die Berliner-Opposition wittert nun hinter dem Auftrag ein Kompensationsgeschäft des Landes gegenüber dem Konzern, denn bislang habe das Unternehmen diesen Anspruch nicht geltend gemacht. Für Betrieb, Wartung und die Instandsetzung der Berliner Straßenlaternen stehen jährlich rund 12,9 Millionen Euro zur Verfügung.
Wie das Gericht nun auf die Beschwerde einer Bieterin hin in seinem Beschluss vom 31. August 2009 ausführt “sind möglicherweise bieterschützende Verfahrensbestimmungen verletzt worden mit der Folge, dass die betroffene Bieterin zu Unrecht von der weiteren Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen worden ist.” Im Hinblick darauf wurde der ausschreibenden Behörde, der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die anderweitige Vergabe des Auftrages an ein Tochterunternehmen von Vattenfall bis zu einer gerichtlichen Hauptsacheentscheidung untersagt.
Nach vorläufiger Prüfung sei “ein Erfolg der Beschwerde überwiegend wahrscheinlich”, so das Gericht, so dass deren aufschiebende Wirkung zu verlängern sei. Die zuständige Behörde habe zu Unrecht das Fehlen verschiedener Nachweise und Informationen in den Angebotsunterlagen bemängelt. Teils seien die jetzt als fehlend beanstandeten Angaben in der Ausschreibung von vornherein nicht verlangt worden, teils sei die ausschreibende Behörde von einem entsprechenden Auskunftsverlangen im Verlauf des Vergabeverfahrens abgerückt.
Die ausgeschlossene Bieterin hatte sich gegen die Mitteilung, sie werde von der weiteren Teilnahme an der Ausschreibung ausgeschlossen, erfolglos mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer des Landes Berlin gewandt. Mit ihrer Beschwerde vor dem Kammergericht verlangt sie unter anderem, den Zuschlag unter Berücksichtigung ihres Angebotes und unter Ausschluss eines Konkurrenzangebotes zu erteilen. Nun ruht das Verfahren bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts.
Derweil fordert der Vize-Vorsitzende der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Björn Jotzo, die Einrichtung eines zeitlich befristeten Untersuchungsausschusses. Nur so komme “Licht ins Dunkel”. Sollte das Gericht in der Hauptsacheentscheidung die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Vergabe bestätigen, müssen nach Auffassung der CDU auch personelle Konsequenzen gezogen werden. Die Grünen kritisieren, dass unerklärlicherweise die Beratungsfirma aus der ersten, für rechtswidrig erklärten Vergabe erneut beteiligt wurde, und bemerken treffsicher, dass bei einer Vergabe an einen anderen Konzern als Vattenfall dieser vermutlich seinen Schadensersatzanspruch aus dem ersten Vergabeverfahren nun auch gelten machen würde.
So ist das eben, in der Hauptstadt. Übrigens wird seit Wochen die Fußgängerbrücke der S-Bahnstation Friedrichstraße zum Schiffbauerdamm “renoviert” – die Schlagader für den Fußgängerverkehr in Mitte ist komplett unpassierbar. Zumindest mir ist es bislang nicht gelungen, dort irgendeine Aktivität auszumachen. Gut, unbeleuchtete Übergänge sollte man ja auch vermeiden. Es fährt ja ohnehin kein Zug.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
2 Kommentare