Nicht genug damit, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits die Rechtswidrigkeit der Vergabe des Kölner Messeneubaus feststellen musste (Urteil vom 29.10.2009 – Rs. C-536/07). Nach Ansicht des EuGH war auch die Ausschreibung der Datenzentrale Baden-Württemberg über die Lieferung von Software für die Fahrzeugzulassungen vergaberechtswidrig (EuGH, Urteil vom 15.10.2009 – Rs. C-275/08). Die Bundesrepublik Deutschland hat damit binnen 14 Tagen zwei Klagen vor dem EuGH verloren. Wie konnte das geschehen?
Aufgrund gravierender technischer Probleme entschied sich die Datenzentrale Baden-Württemberg (DZBW) Anfang 2005, ihre bis dato verwendete Software für die Fahrzeugzulassung zu ersetzen. Zu diesem Zwecke schloss sie mit der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) im Dezember 2005 einen Liefervertrag mit einer Laufzeit von 6 Jahren. Eine europaweite Ausschreibung wurde nicht durchgeführt, da zum einen ein Fall zwingender Dringlichkeit vorgelegen habe und zum anderen allein die Kommunale Datenverarbeitung in Bayern für die Softwarelieferung in Frage gekommen sei. Auf die öffentliche Vergabebekanntmachung habe daher verzichtet werden können.
Nicht nur die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beurteilt diesen Sachverhalt anders. Auch der EuGH ist der Auffassung, dass der Lieferauftrag nicht auf dem Wege des Verhandlungsverfahrens ohne öffentliche Vergabebekanntmachung vergeben werden durfte. Zwar könne auf eine öffentliche Bekanntmachung verzichtet werden, wenn der Gegenstand der Lieferung wegen seiner technischen Besonderheiten nur von einem bestimmten Lieferanten hergestellt oder geliefert werden kann. Allerdings genüge es hierfür nicht, allein den nationalen Wettbewerbermarkt zu sichten. Es sei nicht auszuschließen, dass bei ernsthaften Nachforschungen auf europäischer Ebene weitere Unternehmen ermittelt worden wären.
Ebenso wenig habe hier ein Fall zwingender Dringlichkeit vorgelegen, der eine Vergabe ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung rechtfertigen würde. Allein die Tatsache, dass zwischen der Entscheidung, die Software einzusetzen und dem Abschluss des Vertrages mehrere Monate verstrichen sind, spräche gegen eine zwingende Dringlichkeit.
Fazit für die Vergabepraxis: Es bleibt beim Vorrang des Offenen Verfahrens. Das Verhandlungsverfahren, insbesondere ohne vorherige öffentliche Vergabebekanntmachung stellt weiterhin die Ausnahme dar. Zudem trägt die Vergabestelle die Beweislast dafür, dass einer der Ausnahmetatbestände für die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens vorliegt (vgl. § 3a Nr. 1 Abs. 5 und Nr. 2 VOL/A; § 3a Nr. 5 und Nr. 6 VOB/A). Ferner muss in der Vergabeakte nachvollziehbar dokumentiert, weshalb ein Verhandlungsverfahren durchgeführt wird.
Das Urteil des EuGH im Volltext finden Sie hier.
Dr. Christian-David Wagner ist Rechtsanwalt in Leipzig und Berlin. Er betreut national und international agierende TK-Unternehmen, IT-Dienstleister, aber auch Bauunternehmen sowie öffentliche Auftraggeber.
Eine weitere Facette des Urteils ist interessant: Die BRD stellte sich auf den Standpunkt, die Klage der Kommission sei bereits unzulässig, da der Fall auf nationaler Ebene bereits durch eine Vergabekammer rechtskräftig entschieden wurde. Es widerspräche nun der Rechtssicherheit, wenn sich erneut ein Gericht, nämlich der EuGH, mit der Angelegenheit befasse.
Diesem Argument ist der EuGH nicht gefolgt. Denn Zweck des nationalen Vergabeverfahrens sei der Schutz der Wettbewerber, während Zweck des Vertragsverletzungsverfahrens die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten sei. Die Klage war daher zulässig.
Was bedeutet dies nun für die Praxis? Das Urteil des EuGH erging noch zum alten Recht – ist aber wohl auf das neue Recht zu übertragen. Das bedeutet: Nach § 101 b Abs. 2 GWB n.F. kann die Unwirksamkeit eines vergaberechtswidrig abgeschlossenen Vertrages nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums festgestellt werden. Diese Vorschrift dient der Rechtssicherheit über den Bestand des Vertrages. Die Nichtigkeitsregelung des § 13 Satz 6 VgV a.F. wurde damit abgelöst. Vor dem Hintergrund der neuen EuGH-Entscheidung sollte sich der öffentliche Auftraggeber aber nicht sicher wähnen, dass der Vertrag nicht doch noch in den Mittelpunkt einer gerichtlichen Prüfung rückt, zwar nicht durch eine nationale Vergabekammer, aber durch den EuGH – mit erheblichen Folgen (nämlich Bußgeldern und evtl. sogar der Pflicht, den Vertrag außerordentlich aufzukündigen). Die neue Entscheidung des EuGH relativiert damit den Schutzmechanismus des § 101 b Abs. 2 GWB n.F.