Dr. Fridhelm Marx hat als Leiter der für das Vergaberecht zuständigen Unterabteilung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) von 2000 bis 2009 und zuvor von 1994 bis Ende 1999 als Leiter des Referates „Öffentliche Aufträge“ die Geschicke des Vergaberechts in Deutschland ganz entscheidend mitbestimmt. Er ist „das Gesicht“ der Vergaberechtsreform. Vergabeblog sprach mit ihm über die Reform, Inhouse-Geschäfte, das Konjunkturpaket und das Leben nach dem BMWi. Wir stellten ihm einige Fragen zu aktuellen Entwicklungen des Vergaberechts.
Vergabeblog: Herr Dr. Marx, seit einigen Monaten sind Sie nicht mehr für das BMWi tätig. Ich stelle mir das ja schwierig vor: So plötzlich die Zügel los zu lassen und zuzusehen, wie die Kutsche ins Dunkel rast…
Dr. Marx:
Ich glaube nicht, dass da etwas aus dem Ruder läuft. Meine Nachfolger im Referat und in der Leitung der Unterabteilung sind vernünftige und kluge Leute. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Ob und in welchem Umfang die Vorschläge der Beamten dann politisch realisiert werden, steht ohnehin auf einem anderen Blatt.
Vergabeblog: Wie steigt man in der Hierarchie eines Bundesministeriums eigentlich so weit auf wie Sie? Sie haben bestimmt mal Jura studiert… und dann?
Dr. Marx: Richtig, ich habe Jura studiert, Referendarzeit gemacht und am 1. April 1974 im BMWi als „Hilfsreferent“ angefangen. Aufstieg und Beförderung in der dann folgenden Zeit sind das Ergebnis einer Mischung aus Engagement, breit gefächerter Fachkenntnis und einer gehörigen Portion Glück.
Vergabeblog: Zum Vergaberecht: Bekanntermaßen war eines der Themen, die Ihnen im Rahmen der Reform des GWB besonders am Herzen lag, die geplante Möglichkeit der Inhouse-Vergabe in § 99 GWB. Daraus wurde am Ende, vor allem aufgrund des Drucks der Wirtschaft, nichts. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Dr. Marx: Es gab ja eben in diesem Punkt kein richtiges Ergebnis. In Augenblick steht halt nichts ausdrücklich zu In-House-Geschäften und zur Kooperation unter öffentlichen Auftraggebern im § 99 GWB drin. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Regelung gibt, man muss das Recht nur richtig auslegen. Am EuGH jedenfalls wäre, wie das Urteil zur Hamburger Müllentsorgung jetzt gezeigt hat, unser Vorschlag nicht gescheitert. Da gab es wohl andere Interessen in Deutschland, die eine allzu offene Beschreibung des Rechtszustandes im Gesetz nicht wollten.
Vergabeblog: Herr Marx, das BMWi hatte und hat es sich im Rahmen der Vergaberechtsreform auf die Fahnen geschrieben, vor allem den Mittelstand zu stärken. War das alte Recht hierin tatsächlich so schwach? Und macht es der neue § 97 III GWB wirklich besser?
Dr. Marx: Der alte § 97 Abs. 3 GWB war eine zum Programmsatz degenerierte Regel und daher zu schwach. Das gesamte deutsche Vergaberecht war – im Gegensatz zu den Feststellungen seiner Apologeten – zu wenig mittelstandsfreundlich. Mit der Verschärfung der Pflicht zur Fach- und Teillosvergabe im § 97 Abs. 3 GWB und mit der Veränderung der Regeln über die Vorlage von Papieren zum Beweis von Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit in den Vergabeordnungen wird jetzt der Versuch gemacht, dem Ziel näher zu kommen. Ich hoffe, das wird etwas mehr bewirken als es das bisher geltende Recht getan hat.
Vergabeblog: Dr. Funken hat ja bei seinem Abschied aus der Projektarbeitsgruppe ÖPP-Vereinfachungsgesetz des Bundestages gesagt, die neue Mittelstandsklausel sei schlecht für künftige ÖPPs. Teilen Sie diese Ansicht?
Dr. Marx: Nein.
Vergabeblog: Lüften Sie doch mal ein Geheimnis: Wer ist eigentlich im DVAL? Ich hab das mal gegoogelt… Da findet man nicht viel über diese geheimnisvolle Organisation. Keine Liste der Teilnehmer, keine Satzung, keine Protokolle. Auch kein Eintrag in der Wikipedia – nichts. Die Schwester DVA, die die VOB erstellt, hat auf der Homepage des BMVBS eine Seite. Dort kann man Satzung und Mitgliederverzeichnis herunterladen. Es gibt auch einen Wikipediaeintrag. Ist es nicht bedenklich, wenn bei uns Recht so im Verborgenen gesetzt wird?
Dr. Marx: Das ist kein Geheimnis. Rufen Sie im BMWi im Referat IB3 an und sie werden auf Anhieb aufgeklärt – sofern sie den zuständigen Sachbearbeiter an der Strippe haben. Der Unterschied zwischen DVA und DVAL besteht darin, dass der DVA sich vor ein paar Jahren als Verein mit eigener Rechtspersönlichkeit, mit Beitragssätzen und allem anderen Pipapo eines Vereins gegründet hat, während der DVAL noch immer ist, was er war: Eine ein wenig sortierte Gruppe von Marktteilnehmern und Marktteilnehmervertretern zur Beratung der Bundesregierung.
Vergabeblog: Sind Normen wie die VOL, die zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden, eigentlich besser als solche, die der Staat „von oben“ setzt?
Dr. Marx: Ich meine seit langem und eindeutig: Nein. DVA und DVAL sind in der Sache Konditionenkartelle. Was man unter Wettbewerbsgesichtspunkten im Allgemeinen davon zu halten hat, das steht im § 1 des GWB.
Vergabeblog: Im Rahmen der Konjunkturpakete sind die Regeln für die Vergabe stark gelockert worden. Alles soll ganz schnell und leicht gehen. Wenn jetzt alles schnell und leicht geht – warum dann nur in der Krise?
Dr. Marx: Das frage ich mich auch. In der Tat brauchen wir aus meiner Sicht unterhalb der EU-Schwellen nicht viel mehr an Regeln als das, was jetzt in den präsumtiven Krisenjahren 2009 und 2010 gilt. Zu dem mehr zählt m.E. etwas, was in Deutschland immer wieder vernachlässigt wird: Sehr viel mehr Transparenz – ex ante und ex post.
Vergabeblog: Sie sind ja nicht nur Vergaberechtler. Als Unterabteilungsleiter waren sie ja auch für Wettbewerbs-, Verbraucher- und Preispolitik zuständig. Ist die Wirtschaftskrise schon überwunden? Und – wenn ja – was haben die Konjunkturpakete abseits der vergaberechtlichen Erleichterungen aus Ihrer Sicht gebracht?
Dr. Marx: Ich meine schon, dass die Konjunkturpakete, die es ja nicht nur in Deutschland, sondern (zumeist rascher und umfangreicher) in den Abnehmerländern für die deutschen Exporte auch gegeben hat, ganz erheblich zur Stabilisierung der Entwicklung beigetragen haben.
Vergabeblog: Sie sind jetzt ja of counsel bei einer großen Anwaltskanzlei. Wie fühlt man sich auf der anderen Seite des Zauns?
Dr. Marx: Ich fühle mich gar nicht auf der anderen Seite irgendeines Zaunes. Ich mache eigentlich in der Sache das, was ich immer gemacht habe: Beratung.
Vergabeblog: Ihr Fazit zur GWB-Reform: War es nun nun der große Wurf oder müsste man eigentlich noch mal von vorne anfangen?
Dr. Marx: Der große Wurf war es sicher nicht. Es war das, was sich in den Jahren 2008 und 2009 politisch durchsetzen ließ. Und es mussten dabei auch einige Rückschritte hingenommen werden. Aber aufs Ganze gesehen war es das, was die Überschrift des Gesetzes sagt: eine Vergaberechtsmodernisierung. Die neue Regierung hat sich ausweislich der Koalitionsvereinbarung ja das Vergaberecht wieder vorgenommen. Alles soll einfacher werden, verständlicher und flexibler und transparenter….. Ich wünsche allen viel Glück dabei und bin gespannt, was dabei herauskommt. Einen Sack voll Vorschlägen hätte ich.
Vielen Dank für das Interview!
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