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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 07/12/2009 Nr. 4389

Öffentliche Verkehrs- und Infrastrukturprojekte: Von Toll Collect über Frankfurt bis nach Stuttgart 21

PPP Was haben alle Verkehrs – und Infrastrukturprojekte gemeinsam? – Sie stehen immer in der öffentlichen Kritik. Vielleicht, weil sie einem Naturgesetz gleich immer teurer werden als geplant. Vielleicht auch deshalb, weil bei Ihnen – im Gegensatz zu manch anderen Großinvestitionen – die sprichwörtliche Bürgernähe gegeben ist.

So hatte aktuell das Internetportal Wikileaks Teile des – eigentlich geheimen – Toll Collect Betreibervertrags veröffentlicht, wonach die Bundesrepublik dem Konsortium eine Umsatzrendite von 19 Prozent garantiert habe. Dem widersprach nun ein Sprecher des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im gleichnamigen Bundestagsausschuss. Angesichts der davon unberührten Diskussionen um die Ausweitung der Maut auf PKW mag die Bahn attraktiver werden. Ausgerechnet die Grünen forderten aber vergangene Woche den Planungsstopp beim Bahn-Großprojekt Stuttgart 21. Grund: Der Gesamtbetrag für die Finanzierung des Projekts von 3,07 Milliarden Euro werde bereits in der Planungsphase überschritten. Kein Teuerungsriskio eingehen will offenbar die Stadt Frankfurt a.M.: Dort schreibt, pardon, vergibt man gerade einen Dienstleistungsauftrag zum Betrieb aller integrierten U-Bahn- (Stadtbahn) und Straßenbahnleistungen an einen internen Betreiber direkt.

Stuttgart 21

Das Projekt Stuttgart 21 ist eines der größten und teuersten Eisenbahninfrastrukturvorhaben, die je in Deutschland gebaut wurden. Das Gesamtprojekt umfasst die vollständige Neuordnung und Modernisierung des Bahnknoten Stuttgart, die Umgestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs von einem traditionellen Kopfbahnhof in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof sowie die unterirdische Zuführung zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. Im Rahmen des Bahnhofsumbaus sollen die Gleisführungen vom und zum neuen unterirdischen Hauptbahnhof Stuttgart in Tunnel von 33 Kilometer Länge verlegt werden. Die dadurch frei werdenden Gleisflächen mit einer Fläche von rund 100 Hektar sollen geräumt und der Stadtentwicklung zur Verfügung gestellt werden.

Die Gesamtkosten zur Durchführung des Projektes betragen laut Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Bund, dem Land-Baden Württemberg und der Deutschen Bahn AG 3,076 Mrd. Euro. Mehrkosten, die darüber hinaus während der Durchführung des Projektes entstehen, sind durch einen Risikofonds in Höhe von 1,450 Mrd. Euro abgesichert.

Die BT-Fraktion von Bündnis90/ Die Grünen fordern nun von der Regierung, das Wirtschaftlichkeitsgutachten zum Projekt Stuttgart 21 zugänglich machen und eine aktualisierte Nutzen-Kosten-Analyse vorlegen. Außerdem soll die Regierung für das Projekt ein Moratorium erklären, bis die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projekts einschließlich der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm eindeutig geklärt sei. Nach Auffassung der Fraktion könne die Wirtschaftlichkeit des Projekts nach derzeitigem Planungsstand nicht sichergestellt werden. Bedingungen für die Finanzierungsvereinbarung würden nicht erfüllt. So würden die darin ausgewiesenen Gesamtkosten zur Durchführung des Projekts von 3,07 Milliarden Euro voraussichtlich schon in der Planungsphase überschritten, obwohl erst eines der sieben Teilabschnitte planfestgestellt ist. „Der Bundesrechnungshof (Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages 2008), namhafte Verkehrswissenschaftler und externe Gutachter wie das Münchner Ingenieurbüro Vieregg und Rößler (Gutachten Juli 2008) weisen schon lange auf den geringen Realitätsgehalt der bisherigen Kostenschätzungen hin. Nun müssen auch die DB AG und das Land Baden-Württemberg eingestehen, dass man sich mit großen Schritten diesen Zahlen nähert“, heißt es in Antrag (17/125). Die Abgeordneten verweisen auf Medienberichte, wonach sogar der Risikofond bereits in der Planungsphase ausgeschöpft werden solle.

Toll Collect

Die Rendite des Toll Collect Konsortiums aus dem Betrieb des Lkw-Mautsystems liegt im einstelligen Bereich, erklärte der Vertreter des Verkehrsministeriums im Bundestagsausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Er widersprach damit aktuellen Presseveröffentlichungen, in denen eine Umsatzrendite von 19 Prozent angegeben wurde. Dabei stützten sich die Autoren auf die Veröffentlichung von 10.000 Seiten des 17.000 Seiten umfassenden Betreibervertrages im Internet. Laut Bundesregierung sind jedoch auch diese 10.000 Seiten nicht auf dem aktuellen Stand.

Der Betreibervertrag sieht als Vergütung für den Mautbetreiber Toll Collect die Erstattung der Aufwendungen sowie die Zahlung einer absoluten Rendite vor, führte der Vertreter des Ministeriums aus. Unter Rendite werde also nicht nur die Verzinsung von Eigenkapital und die Übernahme des unternehmerischen Risikos verstanden, sondern damit würden auch bestimmte Aufwendungen der Betreibergesellschaft abgedeckt. Dazu gehöre das Ausfallrisiko bei Zahlungsunfähigkeit von Mautschuldnern und die Zinskosten, wenn Toll Collect die Maut bereits an den Bund abführen müsse, bevor der Mautschuldner an Toll Collect gezahlt habe. Auch habe der Bund ein Komplettpaket beauftragt, welches den kompletten Lebenszyklus umfasse, der mit der Errichtung beginne, den Betrieb umfasse und mit dem Abbau des Systems ende. Deshalb würden für den Bund auch bei der Demontage keine zusätzlichen Kosten entstehen.

Der Regierungsvertreter betonte, dass im Ausschreibungsverfahren das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhalten habe. Der Bund garantiere deshalb auch keine Milliardengewinne. Das Risiko für die Höhe der Rendite trage nicht der Bund, sondern Toll Collect. Weiter wies er daraufhin, dass in den letzten Jahren die Ausgaben für den Einzug der streckenbezogenen Straßenbenutzungsgebühren für Lkw immer unter den Ansätzen im Haushalt gelegen hätten. Außerdem habe das System mittlerweile einen hohen Qualitätsstandard: Die gesamte Erfassungsquote für Mauteinnahmen betrage 99,75 Prozent. Insgesamt habe sich das System nach anfänglichen Schwierigkeiten zu einem Erfolgspaket entwickelt.

Die Sprecher der Union und der SPD-Fraktion wiesen daraufhin, dass aus dem Mauteinnahmen viele Verkehrsprojekte, auch bei Wasserstraßen, finanziert würden. Die Sprecher der FDP-Fraktion und von Bündnis 90/Die Grünen forderten, dass für die notwendige Neuausschreibung des Systems – das ÖPP-Modell ist bis 2015 begrenzt, alternativ ist eine Übernahmeoption durch den Bund vorgesehen – Erfahrungen aus der bisherigen Ausschreibung gewonnen werden müssten. Dabei müsse sichergestellt werden, dass die Systemkosten niedriger würden. Die Linksfraktion erkundigte sich nach dem Stand des Schiedsverfahrens zwischen dem Bund und dem Toll Collect Konsortiums. Der Regierungssprecher erklärte dazu, die Regierung strebe einen zügigen Abschluss an. Der Zeitplan werde aber von dem Schiedsgericht gesetzt.

Inzwischen hat sich das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auch zur Teilveröffentlichung der Maut-Verträge im Internet geäußert. In einem Schreiben des Ministeriums an den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages heißt es, dass das Internetportal Wikileaks, das die Verträge auszugsweise veröffentlichte, einen strafbaren Verrat von Geschäftsgeheimnissen begangen habe. WikiLeaks ist ein Ende 2006 anonym ins Leben gerufenes Internetprojekt, das „unzensierbar für die massenweise und nicht auf den Absender zurückzuführende Veröffentlichung von geheimen Informationen und Analysen“ dienen soll.

Toll Collect wurde im März 2002 als Joint Venture der Deutschen Telekom (45%iger Gesellschafteranteil), der Daimler AG (45 %) und der französischen Cofiroute (Compagnie Financière et Industrielle des Autoroutes, 10 %) gegründet. Im Juli 2002 erhielt das Konsortium den Zuschlag, am 20. September 2002 unterzeichnete Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) den Vertrag mit Toll Collect.

Frankfurt a.M.

Auf Nummer sicher, nämlich ganz ohne Beteiligung Privater, will man offenbar in Frankfurt am Main gehen. Die Stadt gibt bekannt, dass sie gem. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 beabsichtigt, mit Wirkung zum 1.2.2011 einen Dienstleistungsauftrag im Sinne der VO (EG) 1370/07 an einen internen Betreiber direkt zu vergeben. Vom Dienstleistungsauftrag erfasst werden alle integrierten U-Bahn- (Stadtbahn) und Straßenbahnleistungen in der Stadt Frankfurt a.M., einschließlich der in das Gebiet der Stadt Bad Homburg v.d.H. und des Hochtaunuskreises abgehenden Linien U2 und U3.

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Marco Junk

Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.

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