Wenn Sie gestern Abend die Nachrichten verfolgt haben, so wissen Sie, dass den gesetzlich Krankenversicherten in Kürze eine Erhöhung ihrer Beiträge ins Haus steht. Die Politik wird nicht müde, die üblichen Gründe zu proklamieren, die Mindereinnahmen der Kassen durch die Wirtschaftskrise, die Kosten des Gesundheitsfonds und sowieso die gestiegene Lebenserwartung. Nun sind Krankenkassen nach einem Urteil des EuGH auch öffentliche Auftraggeber. Und was der Bundesrechnunghof (BRH) in seinen „Bemerkungen 2009“ über den Umgang jedenfalls einiger Kassen mit ihren Finanzmitteln feststellt, lässt Rückschlüsse auf deren Verhältnis zur sparsamen Mittelverwendung insgesamt zu. Die interessantesten Fälle finden Sie nachfolgend – Vergabeblog empfiehlt dringend blutdrucksenkende Mittel bereit zu halten. Am besten auf eigene Kosten.
Nach Angaben des BRH habe eine Krankenkasse mit einem Berater einen Vertrag über die Vermittlung von fusionswilligen Krankenkassen geschlossen. Da mögliche Fusionspartner in der Kassenlandschaft bekannt seien, werden solche Berater nicht benötigt, urteilt der BRH. Für den Fall einer Fusion verpflichtete sich die Krankenkasse zu einem Honorar, das sich unabhängig von Beratungsaufwand und -qualität allein danach richtete, wie viele Mitglieder die Fusionskasse hat.
Eine andere Krankenkasse beauftragte einen Berater, Kontakte zu potenziellen Fusionspartnern anzubahnen und abschlusswillige Krankenkassen zu vermitteln. Für den Fall einer Fusion mit einer vom Berater benannten Krankenkasse verpflichtete sich die Krankenkasse zu einem Honorar, das sich nach der Zahl der Mitglieder der Fusionskasse richtete. Je Mitglied sollte, abgestuft nach Kassengröße, ein Betrag zwischen 9,50 Euro und 13,50 Euro gezahlt werden. Bereits die erste Fusion mit einer Krankenkasse mit 75 000 Mitgliedern führte zu einem Honoraranspruch von über 1 Mio. Euro. Dafür hatte der Berater lediglich den Namen des abschlusswilligen Vertragspartners benannt. – Da erscheinen Boni für wenig erfolgreiche Bänker doch plötzlich in einem ganz anderen Licht.
Zeitgleich mit dem Vermittlungsvertrag ließ sich die Krankenkasse in Kooperations- und Fusionsfragen von einer anderen Einrichtung beraten. Deren Geschäftsführer war derselbe Berater, der auch die Fusionen vermitteln sollte. Daneben war dieser Berater Geschäftsführer einer Werbe- und Verlagsgesellschaft, die ebenfalls Geschäftsbeziehungen mit der Krankenkasse unterhielt. Die Krankenkasse schloss in den letzten Jahren Verträge mit dem Berater und den von ihm vertretenen Gesellschaften zu unterschiedlichsten Beratungsgegenständen. „Alle Verträge vergab sie ohne Wettbewerb. Die Voraussetzungen für eine freihändige Vergabe lagen nicht vor“, so der BRH.
Bei den Rentenversicherungsträgern sieht es nicht viel besser aus: Nach Angaben des BRH haben der Rentenversicherungsträger Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und die Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung für medizinische Rehabilitationsmaßnahmen rund 1,5 Mrd. Euro an ausgewählte private Rehabilitationskliniken (Vertragskliniken) gezahlt. „Aufträge vergaben sie ohne Wettbewerb und ohne ihre Entscheidungen zu dokumentieren“, heißt es im Bericht des BRH. Die durchgeführten Verwaltungsverfahren hätten nicht der Richtlinie der Bundesregierung zur Korruptionsprävention in der Bundesverwaltung entsprochen: „Die Vertragsbeziehungen zu den Vertragskliniken bestanden teilweise seit den 1950er-Jahren. Neue Angebote privater Rehabilitationskliniken lehnten die Rentenversicherungsträger meist mit der Begründung ab, es gebe keinen Bedarf für eine Zusammenarbeit mit weiteren Einrichtungen.“ – Richtig, was sind schon 60 Jahre.
Sollten Sie jetzt an Ihre letzte Lohnabrechnung gedacht haben, und darüber, dass ja bald „Mehr Netto vom Brutto“ übrig bleiben soll, eröffnen sich diesbzgl. für die schwarz-gelbe Koalition ganz neue Wege. Einzig, es wird leider Niemand den Mut haben, sie auch zu gehen.
Die Bemerkungen 2009 des BRH finden Sie hier. Vergabeblog wünscht angenehme Lektüre.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Und auch da kann ich wieder nur sagen: wir können sicher Millionen vielleicht sogar Milliarden in verschiedenen öffentlichen Bereichen sparen und hätten am Ende sogar noch etwas über für die Beitragsentlastung.
Aber wie schon festgestellt wurde: den Mut, diesen Weg zu gehen, hat Niemand.