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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 25/09/2010 Nr. 7525

BVerfG: Kontrollrechte des Bundes im Rahmen des KP II zum Teil verfassungswidrig (Beschluss v. 7.9.2010 – 2 BvF 1/09)

Entscheidung Das da noch mal was kommt – das im Dezember 2008 durch die Bundesregierung beschlossene Konjunkturpaket II sieht u.a. vor, dass der Bund zusätzliche Investitionen der Kommunen und Länder finanziell unterstützt. Die Umsetzung erfolgte durch das am 6.3.2009 in Kraft getretene Zukunftsinvestitionsgesetz (ZuInvG). In der zwischen Bund und Ländern getroffenen Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des ZuInvG sind umfangreiche Berichts- und Nachweispflichten der Länder festgelegt sowie ein Rückförderungsanspruch des Bundes bei Nichterfüllung der Fördervoraussetzungen bzw. zweckwidriger Verwendung der Finanzierungshilfen.

Gegen dieses Kontrollinstrumentarium des Bundes hatten einige Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein Normenkontrollverfahren zur Feststellung der Nichtigkeit der Vorschriften beantragt. Mit Erfolg, wie das Gericht nun feststellte (Beschluss v. 7.9.2010 – 2 BvF 1/09). Die Prüfkompetenzen des Bundes sind in dieser Tragweite nicht von der Verfassung gedeckt, sondern nur zulässig, sofern im Einzelfall aufgrund konkreter Tatsachen ein Rückforderungsanspruch bestehen könnte.

Der Stein des Anstoßes

§ 6a ZuInvG lautet:

Der Bund kann in Einzelfällen weitergehende Nachweise verlangen und bei Ländern und Kommunen Bücher, Belege und sonstige Unterlagen einsehen sowie örtliche Erhebungen durchführen. Ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand ist zu vermeiden. Der Bundesrechnungshof prüft gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof im Sinne von § 93 der Bundeshaushaltsordnung, ob die Finanzhilfen zweckentsprechend verwendet wurden. Dazu kann er auch Erhebungen bei Ländern und Kommunen durchführen.

Die Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Bayern, Sachsen und Hamburg halten § 6a Satz 1, Satz 3 und 4 ZuInvG für verfassungswidrig. Für die dem Bund danach zukommenden aktiven örtlichen Kontroll- und Erhebungsrechte fehle es an einer grundgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Sie verletzten daher den Grundsatz der Haushaltsautonomie der Länder. Zudem würden dem Bundesrechnungshof neue eigenständige Prüfungsrechte eingeräumt, die seinen verfassungsrechtlich bestimmten Prüfungsraum überschritten.

So nicht von der Verfassung gedeckt

Der Zweite Senat des BVerfG entschied nun (Beschluss v. 7.9.2010 – 2 BvF 1/09), dass die Bestimmungen des § 6a Satz 1 und 4 ZuInvG aufgrund fehlender Bundeskompetenz mit der Verfassung teilweise unvereinbar sind, während die ebenfalls angegriffene Regelung des § 6a Satz 3 ZuInvG mit dem Grundgesetz im Einklang steht.

Die Befugnis des Bundes zur Einsichtnahme bei Landesverwaltungen, nachgeordneten Stellen und Kommunalverwaltungen aus § 6a Satz 1 ZuInvG ist in dieser Form nicht von einer grundgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Eine solche ist erforderlich, da die Norm den Grundsatz der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft von Bund und Ländern gemäß Art. 109 Abs. 1 GG und die grundsätzliche Länderkompetenz gemäß Art. 30 GG berührt.

Eine Einsichtsbefugnis des Bundes besteht nach der Entscheidung des BVerfG nämlich nur insoweit, als der Bund nach § 6a Satz 1 ZuInvG zu örtlichen Erhebungsmaßnahmen bei den Ländern und Kommunen ermächtigt wird, die der Prüfung eines Rückforderungs- bzw. Haftungsanspruchs nach § 7 Abs. 1 ZuInvG und Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz GG dienen, vorausgesetzt, das Vorliegen eines solchen Anspruchs erscheint aufgrund konkreter Tatsachen im Einzelfall möglich. Soweit § 6a Satz 1 ZuInvG dem Bund darüber hinaus gehende Befugnisse einräumt, ist die Norm verfassungswidrig und nichtig.

Im Einzelnen

Das BVerfG prüft der Reihe nach alle in Frage kommenden verfassungsrechtlichen Kompetenztitel für die Bundesbefugnisse aus § 6a ZuInvG, als da wären:

1. Art 104 b Abs. 2 Satz 1 GG

Art. 104b Abs. 2 Satz 1 GG ermächtigt den Bund lediglich, das Nähere zu den Voraussetzungen der von ihm gewährten Finanzierungshilfen an die Länder, insbesondere die Art der zu fördernden Investitionen, gesetzlich zu regeln, enthält aber keine Ermächtigung zu Regelungen, die dem Bund Verwaltungsbefugnisse gegenüber den Ländern einräumen.

2. Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG

Zwar ist nach Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG der Bund verpflichtet, die Verwendung der Mittel regelmäßig zu überprüfen; Art. 104b Abs. 3 sieht vor, dass Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat auf Verlangen über die Durchführung der Maßnahmen und die erzielten Verbesserungen zu unterrichten sind. Diese Unterrichtung besteht darin, dass der Verpflichtete Informationen zusammenstellt und berichtsmäßig zusammenfasst. Die Bundesorgane informieren sich nicht durch Ermittlungen selbst. § 6a Satz 1 ZuInvG schafft aber gerade eine Befugnis der Bundesverwaltung, nach ihrem Ermessen Nachweise erstellen und vorlegen zu lassen, Unterlagen einzusehen und am Sitz der betroffenen Stelle Erhebungen durchzuführen einschließlich dem Recht, die Erteilung von Auskünften zu fordern. Dies bis hinunter zu den Kommunen. Für eine solche aktive und unmittelbare Informationsbeschaffung verleihen Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG und 104b Abs. 3 GG der Bundesverwaltung keine Kompetenz.

3. Art. 84 Abs. 3 GG

Auch kann § 6a Satz 1 ZuInvG nicht als Ausprägung der Bundesaufsicht gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verstanden werden, da sie nicht der Einheitlichkeit der Gesetzesausführung durch die Länder dient, sondern der Kontrolle der Ausgabenpraxis ihrer Verwaltungsbehörden.

4. Art. 104a Abs. 5 GG

Diese Ermächtigungsgrundlage greift schließlich – aber eben nur zum Teil. Der Bundesgesetzgeber hat nach Art. 104a Abs. 5 GG die Möglichkeit, der Bundesverwaltung die Befugnis einzuräumen, zum Zwecke der Feststellung des Vorliegens eines Haftungsanspruchs und unter der Voraussetzung, dass aufgrund konkreter Tatsachen ein solcher Anspruch möglich erscheint, bei den Landesverwaltungen Berichte anzufordern, Akten beizuziehen und Unterlagen einzusehen; dazu kann die Bundesverwaltung sich unmittelbar an nachgeordnete Behörden auch der Länder und Kommunalverwaltungen wenden und örtliche Erhebungen durchführen. § 6a Satz 1 ZuInvG ist daher verfassungsgemäß, soweit die darin vorgesehenen Befugnisse der Wahrnehmung dieser Kompetenz dienen und auf Einzelfälle beschränkt bleiben, in denen aufgrund konkreter Tatsachen ein Rückforderungsanspruch möglich erscheint.

Erhebungen des Bundesrechnungshofs

Auch die Erhebungen des Bundesrechnungshofs (BRH) bei Ländern und Kommunen gemäß § 6a Satz 4 ZuInvG berühren die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder und bedürfen daher einer Ermächtigung im Grundgesetz.

Nach Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG ist der BRH zur Rechnungsprüfung sowie zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes ermächtigt. Unter Berücksichtigung der Haushaltsautonomie der Länder rechtfertigt Art. 114 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch Erhebungsbefugnisse auch bei Ländern und Kommunen im Falle der Gewährung von Finanzhilfen.

Die Rechtsaufsicht des Bundes gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verleiht dem Bundesrechnungshof die Befugnis, zum Zwecke der Feststellung von Rechtsverletzungen seitens der Landesbehörden Erhebungen bei den obersten Landesbehörden durchzuführen. Erhebungen unmittelbar bei nachgeordneten Landesbehörden und Kommunen sind dagegen von Verfassungs wegen nur gestattet, wenn entweder die Zustimmung der obersten Landesbehörde vorliegt bzw. durch den Bundesrat ersetzt wurde oder wenn die Erhebungen die Feststellung eines Haftungsanspruchs im Sinne des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz GG bezwecken, der aufgrund konkreter Tatsachen möglich erscheint.

Soweit also § 6a Satz 4 ZuInvG auch ohne das Vorliegen einer dieser Voraussetzungen den Bundesrechnungshof zu Erhebungen ermächtigt, ist die Norm verfassungswidrig, weil die erforderliche Bundeskompetenz fehlt.

Immerhin

Die Vorschrift des § 6a Satz 3 ZuInvG (“Der Bundesrechnungshof prüft gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof im Sinne von § 93 der Bundeshaushaltsordnung, ob die Finanzhilfen zweckentsprechend verwendet wurden.”) ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn der dem BRH darin erteilte Auftrag, gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof die zweckentsprechende Verwendung der Finanzhilfen zu prüfen, berührt nicht den Kompetenzbereich der Länder. Die Regelung hält den BRH lediglich zu einer kooperativen und Verwaltungsressourcen schonenden Vorgehensweise an.

Tja, hätte man das mal vorher gewusst….

Sie können die Entscheidung des BVerfG hier einsehen.

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