Hans-Jürgen Niemeier ist Mitglied im Hauptvorstand desBundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) und dort stellv. Vorsitzender des Arbeitskreises Öffentliche Aufträge. BITKOM, das ist das Sprachrohr der ITK-Wirtschaft mit mehr als 1.000 Mitgliedsunternehmen, die rund 135 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaften. Und Niemeier ist Aufsichtsratsvorsitzender der CONET Solutions GmbH, einem auf die öffentliche Hand spezialisierten Mittelständler. Marco Junk sprach mit ihm über die Chancen der KMU bei der öffentlichen Auftragsvergabe, die Welt nach dem Konjunkturpaket, eVergabe und die Einkaufsbedingungen der öffentlichen Hand.
Herr Niemeier, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des BITKOM Arbeitskreises Öffentliche Aufträge. Wie wichtig ist für dessen Mitglieder der öffentliche Markt?
Der öffentliche Markt ist für viele BITKOM-Unternehmen, vor allem die Großen der Branche, sehr wichtig, in Teilen sogar „geschäftsentscheidend“. Dies gilt nicht nur aufgrund des erheblichen Auftragspotenzials von gut 18 Milliarden Euro an ITK-Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden p.a., sondern auch als „Startbasis“ bzw. Referenznachweis für den Export, von dem auch viele ITK-Unternehmen leben.
Im Rahmen des Konjunkturpaketes der Bundesregierung gab es ein extra 500 Mio Euro-Paket zur IT-Modernisierung der Bundesverwaltung. Das Geld ist inzwischen weitgehend ausgegeben. Erwartet die Branche nach den fetten nun dürre Jahre?
Es wurden viele Projekte angestoßen. Dies hat den Unternehmen sehr geholfen das Problemjahr 2009, in dem die Nachfrage seitens der Industriekunden z.T. erheblich einbrach, so weit zu kompensieren, dass ein „Überleben“ und auch eine nachfolgende Konsolidierung des eigenen Geschäfts möglich war. Dies sollten aber eigentlich keine Projekte gewesen sein, die nur „vorgezogen“ wurden. Trotzdem sind damit nun einige Themen recht gut abgedeckt. Zudem muss die öffentliche Hand vor allem in den nächsten vier Jahren erheblich einsparen.
Aber: Die Aufgaben, die auf die Behörden / Ressorts zukommen, werden eher mehr als weniger, und hierzu wird IT-Beratung und -Unterstützung immer wichtiger. Weiter verschärft wird dies durch den demografischen Faktor, sprich, auf immer weniger (und älter werdende) Behördenmitarbeiter kommen immer mehr Aufgaben zu. Insofern muss auch die ITK-Branche nach dem Motto „sparen mit der IT, nicht an der IT“, an der Haushaltskonsolidierung mitwirken.
Neben dieser ehrenamtlichen Tätigkeit sind die Vorsitzender des Aufsichtsrats der CONET Solutions GmbH, einem auf den Kunden öffentliche Hand spezialisierten Mittelständler. Im Rahmen der GWB-Reform sollten ja gerade diese bei der öffentlichen Auftragsvergabe gestärkt werden. Mit Erfolg?
Ich bezeichne die Aktivitäten des Bundesministeriums für Wirtschaft als löblich, allerdings letztendlich als gescheitert. Alle, Politik, Wirtschaft und öffentliche Hand, waren sich anscheinend über dieses Ziel einig. Ein Beispiel: Beim Versuch, die Pflicht zur Losaufteilung in § 97 Absatz 3 GWB zu verschärfen, endete der gute Vorsatz im Nichts. Zudem ist statt einer Vereinfachung im Vergaberecht eher höhere Unsicherheit in der Praxis entstanden. In diesem Kontext waren leider auch – aus meiner Sicht z.T. an den Haaren herbei gezogene – Argumente aus den Wirtschaftsverbänden verunsichernd. Heute stelle ich fest, dass die „neue Mittelstandsklausel“ nichts bewirkt hat, also weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung aus Sicht der KMU.
Was müsste denn getan werden?
Ziel muss es sein, das Vergaberecht weiter zu vereinfachen und zu entschlacken. Der Beschaffer muss klare Handlungsvorgaben erhalten statt ihm die Verantwortung für „in der Verordnungs-Kette“ liegende Unklarheiten aufzubürden. Vereinfachung heißt auch „Verbilligung“. Diese kommt natürlich allen Bietern zu Gute, den KMU aber überproportional mehr: Das ist KMU-Förderung und hilft zudem die Wirtschaftlichkeit des Einkaufs der öffentlichen Hand zu steigern.
Ein weitere Reformpunkt, der insbesondere KMU zu Gute kommen sollte, sind die Vereinfachungen bei der Eignungsprüfung. Ist die öffentliche Hand denn gewillt, sich auf Eigenerklärungen zu verlassen?
Ich habe da leider keinen Gesamtüberblick. Wir sehen allerdings bisher kaum Verbesserungen. Dies mag auch daran liegen, dass in manchen behördeninternen Beschaffungsregularien diese Vorgabe noch nicht umgesetzt wurde. Was nützt die neue Regelung, wenn aus verwaltungsinternen Gründen Originalurkunden anfordert werden müssen?
Thema eVergabe: Angesichts einer Quote vollelektronisch abgewickelter Ausschreibungen von nach wie vor unterhalb 5 % möchte man von „eVergebens“ sprechen. Nutzt CONET die eVergabe? Wenn ja, mit welchen Erfahrungen?
Ja, die 5 % können wir bestätigen. Und Ja, wir müssen die eVergabe nutzen, wenn es laut ausschreibender Stelle zwingend vorgeschrieben ist. Von der Theorie her ist dies auch der richtige Weg. Allerdings gibt es immer noch technische Probleme, noch nicht überwundene Kinderkrankheiten. So lässt sich z.B. oft nicht das elektronisch erfassen und editieren, was zu erfassen ist. In dem Sinne haben wir ein Henne-Ei-Problem: Wenn die eVergabe nicht flächendeckend und dabei zugleich korrekt aufgesetzt ist, wird das nie eine Erfolgsstory.
Was müsste Ihrer Ansicht nach passieren?
Die Frage ist vielschichtig. Natürlich könnte ich sagen: Noch mehr Werbung, noch mehr Verbreitung, noch mehr (interne Schulung), Abstellen der Kinderkrankheiten usw.
Das entscheidende Problem ist aber ein Grundsätzliches: Es hat noch niemand untersucht, wie ein monetärer Nutzen für die Bieter erreicht wird. Der ist nur dann erzielbar, wenn neben technischen Vereinfachungen (z.B. einheitlicher Zugriff auf die verschiedenen eVergabe-Plattformen, keine Auswirkungen auf die sicherheitstechnische Infrastruktur der Unternehmen) auch die organisatorischen Randbedingungen in den Unternehmen aus Unternehmenssicht optimiert werden.
Den ausschreibenden Stellen muss allerdings auch eine Last genommen werden: der „Doppelweg“ konventionelle und elektronische Angebotsabgabe muss auf „vollelektronisch“ eingeschränkt werden.
Immerhin ist mit der Pflicht zur zentralen Veröffentlichung aller Bekanntmachungen auf bund.de gem. § 12 Abs. 1, S. 2 VOL/A (bzw. als Soll-Vorschrift in der VOB/A) doch ein echter Fortschritt erzielt worden, oder?
Absolut korrekt: Wir fühlen uns nun bedeutend sicherer, alle (relevanten) Ausschreibungen auch zu Gesicht zu bekommen.
Zankapfel Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte: Die kommunalen Spitzenverbände befürchten die totale Blockade öffentlicher Investitionen angesichts einer Flut von Nachprüfungsverfahren. Teilen Sie diese Ansicht?
Reicht Ihnen ein „absolut nein“ oder wollen Sie Argumente?
Fast alle Bundesländer haben die vergaberechtlichen Erleichterungen des Konjunkturpaktes verlängert – sicher nicht aufgrund einer nach wie vor schwächelnden Wirtschaft. Brauchen wir mehr Freiheit bei der öffentlichen Vergabe?
Ich weiß nicht, ob „Freiheit“ der richtige Begriff ist. Wir benötigen sicher Vereinfachungen. Die Vergabestelle und (vor allem) der handelnde Beschaffer muss die Scheu vor Ausschreibungen verlieren: „Die dauern zu lange, sind zu kompliziert, ich muss den Billigsten nehmen usw.“. Entscheidend aus KMU-Sicht ist dabei Transparenz – zum Erhalt und zur Verbesserung der wettbewerblichen Strukturen in Europa. Wenn ich Unternehmerkollegen aus dem KMU-Umfeld befrage bekomme ich die Antwort: „Diese Erleichterungen waren gut und haben uns in einigen Einzelfällen geholfen – das sollte man so lassen.“
Anderes Thema: BITKOM verhandelt mit dem Bundesministerium des Innern die EVB-IT, die Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen durch die öffentliche Hand. Sie sind Mitglieder der Verhandlungskommission der Wirtschaft. Was bringen dieser die EVB-IT?
Die EVB-IT sind eine wichtiger Bestandteil, um eine vertrauensvolle, aber trotzdem wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Öffentlicher Hand und Wirtschaft zu gewährleisten. Aus KMU-Sicht könnte ich mich sogar dazu versteigen zu sagen: Sie sind eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass KMU direkt oder indirekt (als Unterauftragnehmer von Systemhäusern) für die Öffentliche Hand Leistungen erbringen können. Neben einer deutlichen Erleichterung bei der Angebotserstellung unter dem Gesichtspunkt „einmal in das Schema eingearbeitet und dann aufwandsarm vielfach beherrscht“ bieten die EVB-IT einen verblüffend positiven Nebeneffekt: Die KMU können die EVB-IT an den z.T. drastisch scharfen Einkaufsbedingungen der Privatwirtschaft spiegeln und vielfach Bedingungen auf Basis der EVB-IT im Binnengeschäft (ob als Unterauftragnehmer für die Öffentliche Hand oder auch im Direktgeschäft) verhandeln.
Es gibt allerdings eine wesentliche Voraussetzung: Die EVB-IT müssen „fair“ ausgestaltet sein und (auch) die Belange der KMU berücksichtigen.
Sie würden sich also wünschen, die EVB-IT fänden bei IT-Beschaffungen verbindliche Anwendung?
Ja, das wünschen wir uns. Dies schließt dann allerdings die Forderungen ein, dass die Beschaffer auf individuelle „Verbiegungen“ der Muster und evtl. Sonderbedingungen komplett verzichten.
„Wo größere Anbieter „Quantität“ liefern können, ist der Mittelstand zu Qualität gezwungen“
Letzte Frage: Wo kann der Mittelstand aus Ihrer Sicht gegenüber den großen Anbietern beim Kunden öffentliche Hand punkten?
Der Mittelstand unterscheidet sich in vielen Dingen von den größeren Anbietern: Der Marktzwang führt dauernd dazu, dass sich der Mittelstand durch Leistung behaupten muss. Wo größere Anbieter „Quantität“ liefern können, ist der Mittelstand zu Qualität gezwungen. Diese Erkenntnis ist auch bei Auftraggebern und bei der öffentlichen Hand bekannt.
Hinzu kommt eine deutlich höhere Flexibilität, was die Leistungserbringung und die Anpassung auf die Bedürfnisse des Kunden angeht, aber zugleich auch eine stärkere Stabilität, was vor allem bei Beratungsprojekten wesentlich ist: Bei mittelständischen Partnern kann sich der Kunde viel öfter darauf verlassen, dass Strukturen Bestand haben und Ansprechpartner ihn auch über Jahre zuverlässig und über das ganze Projekt hinweg begleiten.
In dem Sinne punktet der Mittelstand schon immer über Innovation, Qualität und dem Streben nach Verbesserung auf allen Ebenen.
Vielen Dank für das Interview!
Übrigens: Nächste Woche, am 14. April, können Sie Hans-Jürgen Niemeier bei unserer Veranstaltung „Vergabe von Dienstleistungen” in Frankfurt am Main hören. Kostenlose Anmeldung hier.
Hans-Jürgen Niemeier ist studierter Diplom-Mathematiker. Er begann seine berufliche Laufbahn 1977 als Projektleiter bei dem Softwareentwicklungs- und Beratungshaus Krupp Atlas Datensysteme GmbH. Als Mitgründer der CONET war er von 1990 bis 2003 als Geschäftsführer und Vorstand in der Verantwortung für den Aufbau und die Konsolidierung des Unternehmens. Seit 2005 ist Niemeier Aufsichtsratsvorsitzender der CONET Solutions GmbH. Hans-Jürgen Niemeier ist Mitglied des Hauptvorstands des BITKOM sowie stellvertretender Vorsitzender des BITKOM Arbeitskreises Öffentliche Aufträge. Zudem ist er als BITKOM-Mittelstands-Vertreter Mitglied der EVB-IT-Wirtschaftsdelegation und repräsentiert den BITKOM in Ausschüssen des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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