Nach den Grundsätzen des Vergaberechts kann der öffentliche Auftraggeber über Inhalt und Ausgestaltung seiner zu beschaffenden Leistungen frei bestimmen. Diese Freiheit umfasst – so die Vergabekammer Sachsen in Ihrer Entscheidung vom 15.03.2011 – grundsätzlich auch das Recht, technisch falsche oder wirtschaftlich unsinnige Aufträge zu vergeben. Solange die Leistungsbeschreibung eindeutig ist und damit die Abgabe vergleichbarer Angebote zulässt, müssen die Bieter die Beschaffungsvorstellungen des Auftraggebers im Rahmen des Vergabeverfahrens selbst dann hinnehmen, wenn sie mit Mängeln behaftet sind. Eine Prüfungs- und Hinweispflicht der Bieter entfällt damit aber nicht.
Zum Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb einen Bauauftrag zum Abbruch und Neubau von Holzfenstern und Holztüren EU-weit aus. Die Antragstellerin rügte die dazu ausgegebene Leistungsbeschreibung des Auftraggebers in verschiedener Hinsicht als fehlerhaft. Sie hielt die Rüge auch dann noch aufrecht, als der Auftraggeber die Ausschreibungsunterlagen komplett überarbeitet hatte, da die geltend gemachten Mängel nach ihrer Auffassung dabei nicht behoben wurden. Als der öffentliche Auftraggeber eine weitere Überarbeitung der Unterlagen im Sinne der Antragstellerin verweigerte, wandte diese sich an die zuständige Vergabekammer Sachsen.
Entscheidung der VK Sachsen
Die Vergabekammer Sachsen wies den Nachprüfungsantrag zurück. Nach ihrer Auffassung fehlte es an der erforderlichen Rechtsverletzung der Antragstellerin und zwar selbst dann, wenn die Ausschreibungsunterlagen die geltend gemachten Mängel enthielten. Als Begründung verwies die Vergabekammer darauf, dass sich die vergaberechtlichen Pflichten des öffentlichen Auftraggebers auf die Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz und des Wettbewerbs (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) beschränken. Für die Leistungsbeschreibung folgt daraus in erster Linie die Pflicht, diese so eindeutig und erschöpfend zu gestalten, dass sie den Bietern eine sichere Kalkulation ermöglicht und eine Vergleichbarkeit ihrer Angebote gewährleistet ist. Eine darüber hinaus gehende Pflicht, eine „richtige“ Leistungsbeschreibung zu erstellen, trifft den öffentlichen Auftraggeber gegenüber den Bietern nach Auffassung der VK Sachsen hingegen nicht:
„Denn was ein Auftraggeber als Auftrag vergeben will, unterliegt einzig und allein seinem Willen. Auch „eindeutig falsch“ stellt sicher, dass die Bieter die Leistungsbeschreibung in gleicher Weise verstehen und daher miteinander vergleichbare Angebote einreichen. Mängel der Leistungsbeschreibung sind daher vergaberechtlich nur insoweit relevant, als sie diese Funktionen der eindeutig und erschöpfenden Beschreibung, die im Ergebnis zum gleichen Verständnis des fachkundigen Bieters führt, beeinträchtigen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.01.2010 – 27 U 1/09).“
Da der Antragstellerin danach kein Anspruch auf eine richtige Leistungsbeschreibung zustand, hatte der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg.
Prüfungs- und Hinweispflicht bleibt bestehen
Aus der Entscheidung der VK Sachsen darf jedoch nicht gefolgert werden, dass mangels Korrekturanspruch auch jede Prüfungs- und Hinweispflicht der Bieter entfällt. Zwar sieht die VK Sachsen das vertragliche Haftungsrisiko für Mängel aus fehlerhaften Ausschreibungsunterlagen grundsätzlich beim Auftraggeber. Dabei geht aber auch sie davon aus, dass der jeweilige Bieter erkannte Mängel „gemäß der vorvertraglichen Hinweispflicht“ anzuzeigen hat. Nur wenn er dieser Anzeigepflicht nachgekommen ist, hat der Auftraggeber die haftungsrechtlichen Konsequenzen aus einer gleichwohl beibehaltenen fehlerhaften Leistungsbeschreibung ganz sicher allein zu tragen.
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht („Bitkom Consult“) zuständig. Sie ist zudem Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche sowie die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.
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