Der Bundesrechnungshof (BRH) hat dem Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages einen Bericht nach §§ 88 Abs. 2 BHO vorgelegt. Gegenstand: Die Auswirkungen der vergaberechtlichen Erleichterungen des Konjunkturpaketes II auf die Beschaffungen der Bundesverwaltung im Liefer- und Dienstleistungsbereich. Vergabeblog liegt der nichtöffentliche Bericht exklusiv vor. Der kommt zu einem vernichtenden Urteil.
Der BRH hatte aufgrund einer Bitte des Rechnungsprüfungsausschusses des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages die Auswirkungen der vergaberechtlichen Erleichterungen untersucht.
Zur Erinnerung
Am 13. Januar 2009 beschloss die Bundesregierung zur Ankurbelung der Konjunktur für die Vergabestellen des Bundes befristet für zwei Jahre die Schwellenwerte für Beschränkte Ausschreibungen und Freihändige Vergaben – jeweils ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb – massiv zu erhöhen. Zugleich forderte die Regierung von den für die Verdingungsordnungen zuständigen Bundesministerien, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWI) bzw. dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) “die Vergabefristen nach den Vorschriften der VOL und VOB zu verkürzen.” Mit Rundschreiben vom 29. Januar 2009 setzte das BMWi diesen Kabinettsbeschluss entsprechend seiner Zuständigkeit für den Liefer- und Dienstleistungsbereich um. Das BMVBS folgte ihm für den Bereich der Bauleistungen und freiberuflichen Leistungen.
Der Rechnungsprüfungsausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages äußerte bereits in seiner Sitzung am 27.03.2009 die Erwartung, dass die Lockerungen so genutzt werden, dass Risiken für mehr Korruption und höhere Beschaffungspreise vermieden werden.
Der Bericht des BRH
Der nun vorliegende Bericht des BRH, der sich auf den Liefer- und Dienstleistungsbereich beschränkt, kommt zum Ergebnis:
Der BRH hält es daher “für sachgerecht, dass der Bund die Vergaberechtslockerungen nicht verlängert hat”.
Zu einem späteren Zeitpunkt will sich der BRH auch zum Bereich der Bauleistungen und freiberuflichen Leistungen äußern. Hierzu sind die Prüfungen noch nicht abgeschlossen.
Zu 80 % Freihändige Vergabe
Der BRH hat seine Erhebungen bereits im 3. Quartal 2009 durchgeführt und dabei auf marktgängige Leistungen beschränkt. Von 300 Auftragsvergaben, die bis zum 30.09.2009 auf bund.de veröffentlicht waren, hat der BRH ein Drittel näher untersucht. Erfreulich: Die Prüfung hat keine Anhaltspunkte für konkrete Korruptionsfälle oder erhöhte Beschaffungspreise ergeben. Sie ergab jedoch, dass 80 % der bis zum 30.09.2009 veröffentlichten Aufträge freihändig vergeben wurden. Zwei Drittel aller Vergabestellen führten ausschließlich freihändige Vergaben durch. Bei lediglich einem knappen Fünftel aller veröffentlichen Ausschreibungen habe es sich um beschränkte Ausschreibungen gehandelt.
Im Bericht heißt es, die Vergabestellen hätten wiederholt darauf hingewiesen, dass sie Freihändige Vergaben deshalb bevorzugten, weil diese im Vergleich zu beschränkten Ausschreibungen durch die Möglichkeit von Nachverhandlungen eine größere Flexibilität ermöglichten. Der BRH weißt in seinem Bericht darauf hin, dass das Nachverhandlungsverbot „kein Selbstzweck“ sei. Es diene der Sicherung eines ordnungsgemäßen Wettbewerbs.
Ein Teilnahmewettbewerb fand nur bei 3 % aller veröffentlichen Aufträge statt. Zum Vergleich: Ausweislich des Ramboll-Gutachtens im Vorfeld der Vergaberechtsreform waren es noch rund 15 %.
Im Durchschnitt nur zwei wertbare Angebote
Bei den Vergabestellen seien durchschnittlich zwei wertbare Angebote eingegangen. Angesichts des Umstandes, dass sich die Prüfung auf marktgängige Leistungen konzentrierte, die regelmäßig einen großen Bieterkreis erwarten lassen, erscheint dem BRH die durchschnittliche Zahl der wertbaren Angebote als zu gering. Dies “lässt den Schluss zu, dass die Vergaberechtslockerungen die ohnehin bestehende Zurückhaltung der Vergabestellen bei den Angebotsaufforderungen weiter gefördert haben”, so der Bericht.
Lückenhafte Vergabevermerke
Bei mehr als einem Drittel (36 Prozent) der Freihändigen Vergaben stellte der BRH “teils erhebliche Lücken” in den Vergabevermerken fest. So wurde in 22 Prozent der Fälle die Auswahl der zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmen nicht begründet. Gerade angesichts der vergaberechtlichen Erleichterungen seien die Vergabestellen jedoch gehalten, ihre Freihändigen Vergaben besonders sorgfältig zu dokumentieren.
Zeitersparnis unwesentlich
Nach den Selbsteinschätzungen der in die Untersuchung einbezogenen Vergabestellen führten die Vergaberechtslockerungen nur zu einer geringen Verfahrensbeschleunigung. Dies umso mehr, als wesentliche Prozessphasen wie die Bedarfsermittlung und die Erstellung der Vergabeunterlagen nicht verkürzt werden können.
Fazit
Insgesamt haben die Vergaberechtslockerungen aus der Sicht des BRH nur wenige und zudem vorwiegend „gefühlte“ Vorteile gebracht, “die in keinem angemessenen Verhältnis zu den damit einhergehenden Einschränkungen des Wettbewerbs und der Transparenz stehen. Von daher erscheint es sachgerecht, dass die Regelungen für den Bund nicht verlängert worden sind”, resümiert der BRH.
Bewertung
Angesichts dieser – sicher nicht für jeden überraschenden – Ergebnisse, muss man sich noch einmal in Erinnerung rufen, dass fast alle Bundeslänger bereits, ohne eine solche Evaluation abzuwarten oder selbst vorgenommen zu haben, die Ausnahme zum Regelfall erhoben und die erhöhten Freigrenzen verlängert haben. Wenn aber keine Ergebnisse zu den Auswirkungen vorlagen und zugleich in diesen Zeiten mitnichten von der weiteren Notwendigkeit eines Konjunkturprogramms ausgegangen werden kann – was ist dann der Grund für die Verlängerung?
Für Hessen war dazu in der Frankfurter Rundschau zu lesen, dass Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) die Ansicht vertrat, die häufigere Vergabe von Aufträgen ohne Ausschreibungen habe sich beim Konjunkturprogramm bewährt, da dann schneller gebaut werden könne. Daher habe sich die Regierung entschlossen, „diese Freiheit den Kommunen auch in Zukunft zu gewähren“.
Die Gründe werden in der Tat weniger in einem Hang hin zu mehr Vetternwirtschaft zu suchen sein. Das vehemente Drängen der Länder, gerade auch der kommunalen Spitzenverbände, auf eine Verlängerung der vergaberechtlichen Erleichterungen ist vielmehr der sicherste Beweis dafür, dass das geltende Vergaberecht auch nach der letzten Reform weit entfernt ist von einem praxisgerechten Regelwerk.
Apropos Reform: Der BRH empfiehlt, dass die Vergabestellen die wesentlichen Angaben zu ihren Vergabeverfahren (z. B. Vergabeart, Verfahrensdauer, Zahl der Bieter) kontinuierlich in einer Geschäftsstatistik festhalten. Künftige Reformen des Vergaberechts könnten so vor einer flächendeckenden Umsetzung bei ausgewählten Vergabestellen auf der Grundlage eines Vorher-Nachher-Vergleichs erprobt werden. Klingt fast so, als ahne der BRH, dass sich eine solche Datenbank angesichts kreativer EU- wie auch deutscher Vergabepolitik lohnen würde.
Dem BMWi ist hoch anzurechnen, dass es dem allgemeinen Druck auf Verlängerung der Ausnahmebestimmungen nicht nachgegeben hat. Beständigkeit politischer Entscheidungen, noch dazu, wenn diese unpopulär sind, ist in diesen Zeiten ein knappes Gut.
Nach wie vor ausstehend sind allerdings die Ergebnisse eines eigens vom BMWi in Auftrag gegebenen Gutachtens zu den Auswirkungen der vergaberechtlichen Erleichterungen. Was verwundert, wo, wie dem Autor bekannt, die Erhebungsphase dazu bereits im Frühjahr abgeschlossen wurde.
Warten wir also weiter ab. Und Sie wissen ja – im Vergabeblog lesen Sie es zuerst.
Der Autor Marco Junk ist Rechtsanwalt und war bis 2011 als Bereichsleiter Vergaberecht beim Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM) Mitglied im DVAL und im Beraterkreis eVergabe des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Er ist Herausgeber des Vergabeblog und leitet seit März 2011 die Online-Redaktion des Verlags C. H. Beck.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren .
Marco Junk
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Kaufmann Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
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