§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB, § 3 Abs. 4 lit. a) EG VOL/A
Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb sind etwas Besonderes: anders als in „strengen“ Verfahren macht der öffentliche Auftraggeber hier die Einzelheiten des Verfahrens – insbesondere die Angebotsfrist – nicht europaweit bekannt sondern fragt die Angebote direkt ab. Trotzdem besteht hier kein vergaberechtsfreier Raum – das gilt auch für die Rüge von Mängeln, die schon in den Angebotsunterlagen erkennbar sind. Das OLG Naumburg hat in einer lesenswerten Entscheidung (OLG Naumburg, Beschluss vom 18.08.2011, AZ: 2 Verg 3/11) wichtige Einzelheiten geklärt.
Die Entscheidung
In dem entschiedenen Fall schrieb ein Landkreis die Vermarktung und Verwertung von Altpapier im Offenen Verfahren aus. Da alle abgegebenen Angebote unvollständig waren, hob er das Verfahren mangels wertungsfähiger Angebote auf und entschied sich anschließend für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Die Bieter sollten ihre im Offenen Verfahren abgegebenen Angebote nur hinsichtlich der fehlenden Bestandteile ergänzen, inhaltliche Verhandlungen sollten nicht stattfinden. Mit diesem Vorgehen waren alle Beteiligten einverstanden. Einwendungen gegen die in den Vergabeunterlagen übersandte „Fehlliste“ über jeweils nachzureichende Angaben und Erklärungen gab es ebenfalls nicht. Erst die Wertungsentscheidung griff ein Bieter u.a. mit dem Argument an, die Fehlliste der Vergabeunterlagen habe in diskriminierender Weise nur auf diejenigen Eignungsnachweise verzichtet, welche gerade dem Angebot der Bestbieterin fehlten.
Wie der Senat klarstellte: zu spät!
Analog zu § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB gilt die Angebotsfrist in den Vergabeunterlagen
Dies hätte er vor der Angebotsfrist rügen müssen, die in den Vergabeunterlagen des Verhandlungsverfahrens angegeben war. Zwar verweist der Wortlaut des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB für Rügen gegen Mängel der Vergabeunterlagen auf die europaweit bekannt gemachte Angebotsfrist – und die gibt es bei dem Verhandlungsverfahren ohne europaweite Bekanntmachung gerade nicht. Hier bestehe aber eine Regelungslücke. In entsprechender Anwendung der Vorschrift soll daher die Angebotsfrist in den Vergabeunterlagen gelten. Für nicht erkannte, aber in den Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße gilt also auch in Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb eine Präklusionsregel.
Getrennte Regeln für Offenes und Verhandlungsverfahren
Unbeachtlich war hingegen, welche Angebotsfrist die Bekanntmachung des vorangehenden Offenen Verfahrens vorsah. Der Übergang in das Verhandlungsverfahren setzt zwar voraus, dass die Vergabeunterlagen des Offenen Verfahrens im Wesentlichen unverändert bleiben. Im entschiedenen Fall ging es auch gerade um die Auslegung der Anforderungen an Eignungsnachweise, die bereits in diesem Offenen Verfahren gefordert waren und die Richter legten die Anforderungen, die im nachfolgenden Verhandlungsverfahren gelten sollten, dementsprechend auch nicht isoliert aus, sondern betrachteten diese in Zusammenschau mit den Bestimmungen des ursprünglichen Offenen Verfahrens bzw. der dort erfolgten Bieteraufklärung. Dennoch betonten sie letztlich, dass das Offene Verfahren mit der Aufhebung schon abgeschlossen war und es sich um zwei getrennte Verfahren handele.
Aus diesem Grund unterfielen die Verfahren auch unterschiedlichen Rechtsregimes: während für das Offene Verfahren noch die VOL 2006 galt, fand auf das Verhandlungsverfahren bereits die VOL 2009 Anwendung. Das OLG Düsseldorf betont insoweit, dass beide Verfahren strikt getrennt zu betrachten sind. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Verhandlungsverfahrens als zweitem Vergabeverfahren war die Abforderung der Angebote als Schritt, mit dem die Vergabestelle ihre Beschaffungsabsicht nach außen trug.
Ein Aufgreifen der Mängel von Amts wegen lehnte der Vergabesenat im Übrigen auch grundsätzlich ab.
Fazit
Die Regeln zur Rügepräklusion dienen einem effizienten Vergabeverfahren, insoweit ist die Klarstellung durch das OLG Naumburg begrüßenswert. Soweit das Gericht trotz fehlender Bekanntmachung auf die materiell geltende Angebotsfrist abstellt, liegt es auf einer Linie mit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu vergaberechtlichen Mängeln, die in der schon in der Bekanntmachung erkennbar sind. Auch hier soll nicht der Text einer Bekanntmachung maßgebend sein, sondern die nachfolgend verlängerte, tatsächliche Angebotsfrist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.04.2009, Az.: VII Verg 76/08; anderer Ansicht allerdings noch KG Berlin, Beschluss vom 11.07.2000, Az.: KartVerg 7/00).
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Valeska Pfarr, MLE
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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