Ein Gastbeitrag von RA Dr. Christof Schwabe, LL.M.
Die Vergabestelle schrieb europaweit in einem als „Lieferauftrag“ und „Kauf“ bezeichneten Auftrag 18.000 t Streusalz für die Straßenmeisterei eines Landkreises aus. In den Vertragsbedingungen der Ausschreibung war vorgesehen, dass der bezuschlagte Bieter die Lieferung innerhalb von 48 Stunden ab Bestellzeitpunkt zu den jeweiligen Lieferorten zu gewährleisten hatte, dass er eine tägliche Liefermenge von 125 Tonnen sicherstellen musste und – vor allem – dass der Vergabestelle keine Abnahmepflicht entstehen sollte. Eine Bieterin rügte, dass die Vergabestelle keine verbindlich abzunehmenden Menge in den Vergabeunterlagen angegeben hatte. Ihr sei daher eine vergleichbare Kalkulation verwehrt. Die Vergabekammer gab der Bieterin Recht. Sie bejahte aufgrund dessen ein ungewöhnliches Wagnis zu Lasten der Bieter. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Vergabestelle zum Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg.
Kein Einwand der Rahmenvereinbarung
Das Oberlandesgericht behandelt nur kurz den Einwand der Vergabestelle, sie hätte die Ausschreibung auch als Rahmenvereinbarung nutzen können. Diese hätte ihr die Möglichkeit gegeben, sich nur die Möglichkeit der Erteilung von Einzelaufträgen offenzuhalten – ohne Abnahmepflicht. Das Oberlandgericht verwirft diesen Einwand, da tatsächlich keine Rahmenvereinbarung ausgeschrieben war.
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle angemerkt: Wäre hier eine Rahmenvereinbarung ausgeschrieben gewesen, hätte noch nicht einmal das die Vergabestelle zur Abwälzung des wetterbedingten Abnahmerisikos auf die Bieter berechtigt. Jüngst hat nämlich das Oberlandesgericht Jena im Parallelfall Streusalzvergabe/Rahmenvereinbarung entschieden:
„Auch das Instrument einer Rahmenvereinbarung darf nicht dazu missbraucht werden, die Ungewissheit über den Bedarf gänzlich auf den Auftragnehmer abzuwälzen, obwohl es der Vergabestelle möglich und zumutbar wäre, wenigstens eine Mindestabnahmemenge zu garantieren“ (OLG Jena, Beschluss vom 22.08.2011, 9 Verg 2/11).
Ungewöhnliche Wagnisse nach VOL/A 2009?
Danach setzt sich das Oberlandesgericht mit dem Einwand der Vergabestelle auseinander, dass das Verbot des ungewöhnlichen Wagnisses in der neuen VOL/A 2009 nicht mehr enthalten ist: Der Senat verkenne nicht, dass es die VOL/A 2009 – anders noch als die VOL/A 2006 in ihrem § 8 Nr. 1 Abs. 3 – nicht ausdrücklich verbiete, dem Vertragspartner ein ungewöhnliches Wagnis aufzubürden. Daraus den Schluss zu ziehen, es sei im Anwendungsbereich der VOL/A nunmehr erlaubt, die Bieter mit Umständen und Ereignissen zu belasten, auf die sie keinen Einfluss haben und deren Einwirkungen auf die Preise und die Fristen sie nicht im Voraus abschätzen können, sei indes verfehlt (so aber Prieß, in: Kulartz/Marx/Protz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 2. Aufl., 2011, § 8 EG Rdn. 37 ff.).
Insbesondere sei der Verzicht auf die Teilnahme an einer Ausschreibung in den hier in Rede stehenden Fällen keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Handlungsalternative. Vielmehr sei der öffentliche Auftraggeber gehalten, in den Vertragsbedingungen für eine angemessene Verteilung der Risiken Sorge zu tragen. Nur dies genüge dem aus § 97 Abs. 2 GWB abgeleiteten Gebot einer an Gleichbehandlung und Transparenz und damit letztlich an einem fairen Wettbewerb ausgerichteten Auftragsvergabe. Die Ausschreibung des Antragsgegners lasse schon den Grundsatz außer Acht, dass bei einem Kaufvertrag regelmäßig der Käufer das Risiko trägt, den Kaufgegenstand tatsächlich verwenden zu können. Umgekehrt wüssten die Bieter hier nicht, ob auch nur eine einzige Tonne abgenommen werde.
Risikoverteilung und Interessenausgleich
Das Oberlandesgericht gibt der Vergabestelle zwar zu, dass Schwankungen im Vertrieb von Streusalz ein branchentypisches Wagnis der Bieter darstellten. Auch werde die Vergabestelle den konkreten Bedarf nicht sicher voraussehen können. Sie verfüge aber immerhin über belastbare Erfahrungsdaten in Gestalt des Streusalzverbrauchs der vergangenen Jahre. Es könne von ihr erwartet werden, von einem hieraus gebildeten Durchschnittswert – gegebenenfalls mit einem angemessenen Abschlag und gegebenenfalls über einen längeren Zeitraum als die für die Menge hier maßgeblichen zwei Jahre – ausgehend eine Menge zu ermitteln und auszuschreiben, in deren Umfang sie sich verbindlich zur Abnahme verpflichte. Auf diese Weise werde ein angemessener Interessenausgleich hergestellt, zwischen den Verkehrssicherungspflichten der Vergabestelle einerseits und einem Mindestmaß an Planungssicherheit und damit einer verlässlichen Kalkulationsgrundlage für die Bieter andererseits.
Fazit
Das OLG Dresden bestätigt mit seinem Beschluss eine Tendenz in der Rechtsprechung und in der Literatur, die sich für eine Beibehaltung des Verbots der Abwälzung ungewöhnlicher Wagnisse in der VOL/A ausspricht (Vergabekammer Münster, B. v. 17.06.2011 – Az.: VK 05/11; Vergabekammer Schleswig-Holstein, B. v. 16.06.2011 – Az.: VK-SH 07/11; 1. Vergabekammer Bund, B. v. 24.05.2011 – Az.: VK 1 – 48/11; So auch: Gnittke/Hattig in: Müller-Wrede (Hrsg.), VOL/A Kommentar, 3. Aufl., § 11 VOL/A-EG, Rn. 23-24).
Diese Stimmen stützen das Verbot heute auf die allgemeinen Vergabegrundsätze oder das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung. Kritisch anzumerken ist, dass der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Dienstleistungen (DVAL) mit der Streichung des § 8 Nr. 1 Abs. 3 VOL/A 2006 der Rechtssicherheit keinen Gefallen getan hat. Lange blieb unklar, ob die Verantwortlichen die Vorschrift als überflüssig, da selbstverständlich, strichen oder im Gegensatz zu § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A eine Abschaffung des Verbotes beabsichtigten. In der Diskussion ist uns nun von Seiten des DVAL aus erster Hand bestätigt worden: „Die Reform der VOL/A stand u.a. unter der Überschrift, das Regelwerk zu verschlanken. Somit sollten vor allem Normen, die Selbstverständlichkeiten regelten und sich ohnehin aus allgemeinen Grundsätzen ableiten lassen, gestrichen werden. Als eine solche Norm hat der DVAL letztlich auch das Verbot der Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses angesehen. Zur Klarstellung: Die Streichung sollte niemals im Umkehrschluss zu einer Erlaubnis zur Überbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses führen!“ (Quelle: Deutsches Vergabenetzwerk, 22.10.2011).
Der Autor Dr. Christof Schwabe, LL.M. (Aberdeen) ist Rechtsanwalt der Kanzlei KDU Krist Deller & Partner Rechtsanwälte in Koblenz und Wiesbaden. Er betreut vergaberechtlich bieterseitig Unternehmen in den Bereichen Straßenausstattung, Abfall, Post und Medizintechnik. Zu seinen Mandanten zählen außerdem öffentliche Auftraggeber und Unternehmen aus dem Sektorenbereich.
Streusalz