Ein Gastbeitrag von Jan-Michael Dierkes
§ 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VOB/A
Es gehört zu den originären Pflichten des Bieters, sein Angebot so eindeutig zu gestalten, dass es möglichst keine Fragen offen lässt. Die Angebotsinhalte müssen klar, vollständig und in jeder Hinsicht zweifelsfrei sein. Ergibt sich dennoch Anlass zur Aufklärung, so ist es in erster Linie Sache des Bieters, sich um eine umfassende Information des Auftraggebers zu kümmern. Es ist nicht die Aufgabe oder gar Pflicht des Auftraggebers, sich seinerseits so lange um Klärung zu bemühen, bis alle seine Zweifel oder Unklarheiten ausgeräumt sind. Kommt der Bieter einem berechtigten Aufklärungsbedarf nicht oder nur unzureichend nach, darf der Auftraggeber den Bieter wegen verweigerter Aufklärung aus dem Vergabeverfahren ausschließen. Dies hat die Vergabekammer Lüneburg mit Beschluss vom 03.11.2011 (VgK 47/2011) in aller Deutlichkeit so entschieden.
Sachverhalt
Mit europaweiter Bekanntmachung schrieb die Auftraggeberin Bauleistungen im Zusammenhang mit der Stilllegung einer Mülldeponie aus. Nach der Leistungsbeschreibung hatten Bieter einen Rekultivierungsboden als Bestandteil eines Oberflächenabdichtungssystems anzubieten, der bestimmte Bodenspezifikationen erfüllen musste. Hierzu gehörte unter anderem, dass das einzubauende Bodenmaterial eine bestimmte Korngrößenverteilung aufweisen musste. Die Bieter hatten mit ihrem Angebot Angaben zur Bodenbeschaffenheit, Qualität und Herkunft des von ihnen zum Einbau vorgesehenen Bodens zu machen. Diese Angaben sollten die Auftraggeberin in die Lage versetzen, zu überprüfen, ob das angebotene Bodenmaterial den geforderten Bodenspezifikationen entspricht und in Folge dessen eine ordnungsgemäße Auftragsabwicklung erwartet werden kann. Die Antragstellerin machte in ihrem Angebot allerdings nur vage und unspezifische Beschaffenheits- und Herkunftsangaben, so dass für die Auftraggeberin ein Abgleich mit den ausgeschriebenen Bodenspezifikationen nicht möglich war. Das Angebot ließ vermuten, dass sich die Antragstellerin nicht auf eine bestimmte Bodenqualität festlegen konnte oder wollte.
Ob der Bedeutung der ausgeschriebenen Bodenspezifikationen für die Baumaßnahme wurde die Antragstellerin daraufhin zu einer Angebotsaufklärung eingeladen und aufgefordert, repräsentative materialtechnische Qualitäts- und Verfügbarkeitsnachweise über den von ihr angebotenen Boden vorzulegen. Im Aufklärungstermin beschränkte sich die Antragstellerin jedoch darauf, die bereits in ihrem Angebot gemachten Bodenbeschaffenheitsangaben zu wiederholen und die geforderten Qualitäts- und Verfügbarkeitsnachweise als unzumutbar zurückzuweisen.
Unter Anwendung der Regelung nach § 15 Abs. 2 VOB/A, wonach Bieter, die einer berechtigten Aufklärung nicht bzw. nur unzureichend nachkommen, ausgeschlossen werden können, schloss die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin aus. Gegen ihren Ausschluss erhob die Antragstellerin daraufhin Nachprüfungen bei der Vergabekammer.
Entscheidung
Ohne Erfolg! Die Vergabekammer folgte den Argumenten der Auftraggeberin und bestätigte, dass das Aufklärungsverlangen der Auftraggeberin hinsichtlich der Beschaffenheit und Verfügbarkeit des einzubauenden Materials berechtigt war und sich die Auftraggeberin ohne Ermessensfehler dafür entschieden hatte, das Angebot der Antragstellerin nach § 15 Abs. 2 VOB/A nicht weiter zu berücksichtigen.
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A darf ein Auftraggeber nach Öffnung der Angebote bis zur Zuschlagserteilung Aufklärung unter anderem über die Art der Durchführung der angebotenen Leistung sowie über den Ursprungsort bzw. die Bezugsquellen von Stoffen oder Bauteilen verlangen. Sinn und Zweck hierfür ist, dass sich ein Auftraggeber mit dem Inhalt der abgegebenen Angebote vertraut machen muss, um zum einen eine Vergleichbarkeit der Angebote herzustellen und zum anderen feststellen zu können, ob das angebotene Produkt den Anforderungen des Leistungsverzeichnisses entspricht. Dieses ureigenste Interesse des Auftraggebers zu erfahren, wie sich der Bieter die Einzelheiten der Vorgänge denkt, die zu den in seinem Angebot niedergelegten Leistungen führen sollen, besteht dabei vor allem dann, wenn durch eine Aufklärung über Ursprungsorte oder Bezugsquellen etwas über die Qualität des Stoffes oder Bauteils festgestellt werden soll.
Die Vergabekammer kam nach diesen Maßstäben zum Ergebnis, dass die von der Antragstellerin sowohl im Angebot als auch in der Angebotsaufklärung gemachten Bodenbeschaffenheitsangaben lediglich formelhaft waren, die es dem Auftraggeber nicht ermöglichten, zu prüfen, ob der angebotene Boden den ausgeschriebenen Bodenspezifikationen entspricht. Es gehöre – so die Vergabekammer – zu den originären Pflichten eines Bieters, sein Angebot so eindeutig zu gestalten, dass es möglichst keine Fragen offen lässt. Ergebe sich dennoch Anlass zur Aufklärung, so sei es Aufgabe des Bieters, sich um eine umfassende Information des Auftraggebers zu bemühen. Es sei nicht Aufgabe oder gar Pflicht des Auftraggebers, sich seinerseits solange um eine Klärung zu bemühen, bis alle Zweifel oder Unklarheiten ausgeräumt seien. Dieser Pflicht sei die Antragstellerin im hier zu entscheidenden Fall in keiner Weise nachgekommen. Hierbei könne auch offen gelassen werden, ob die im Rahmen der Aufklärung geforderten Qualitäts- und Verfügbarkeitsnachweise verhältnismäßig waren. Denn der Antragstellerin hätte zumindest die Pflicht oblegen, die begründeten Bedenken der Auftraggeberin an dem angebotenen Bodenmaterial in irgendeiner Form auszuräumen. Dies hatte die Antragstellerin jedoch unterlassen.
Fazit
Der Entscheidung der Vergabekammer ist zuzustimmen. Ein Auftraggeber muss kein Angebot bezuschlagen, welches nach seinem Inhalt nicht erkennen lässt, wie sich ein Bieter die Einzelheiten seiner Leistung denkt. Auch muss der Auftraggeber bei berechtigten Zweifeln am Angebotsinhalt nicht darauf vertrauen, der Bieter werde die Leistung im Fall der Auftragsabwicklung schon ordnungsgemäß – so wie ausgeschrieben – erbringen. Angebote sind so zu erstellen, dass für den Auftraggeber keine Fragen in Bezug auf Quantität und Qualität der angebotenen Leistungen offen bleiben.
Wünschenswert wäre noch gewesen, wenn die Vergabekammer auch zu Art und Umfang einer zulässigen Angebotsaufklärung Stellung genommen hätte (das „wie“ der Angebotsaufklärung). Hierüber musste die Vergabekammer im konkreten Fall – gefordert waren repräsentative Qualitäts- und Verfügbarkeitsnachweise – nicht abschließend entscheiden, da die Antragstellerin jedwede Aufklärung vermissen ließ. In diesem Zusammenhang dürfte allerdings gelten: Die Wahl des „richtigen“ Aufklärungsmittels muss verhältnismäßig sein, d. h. es darf jedenfalls kein gleich geeignetes milderes Mittel geben, mit der die Unklarheiten in Bezug auf das Angebot abschließend beseitigt werden können.
Der Autor Jan-Michael Dierkes ist Rechtsanwalt in der Kanzlei White &Case in Hamburg mit Beratungsschwerpunkt im Vergaberecht/Privatisierung. Herr Dierkes berät Auftraggeber und Bieter bei der Durchführung von Vergabeverfahren und vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Zudem berät er Hoheitsträger bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und hier insbesondere an der Schnittstelle zwischen Gesellschafts- und Vergaberecht.
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