Ein Vergabesenat darf keine Beschlagnahme von Vergabeunterlagen beim öffentlichen Auftraggeber anordnen. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Dies hat das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 10.08.2011 (VII-Verg 37/11) klargestellt und den Antrag eines Bieters zurückgewiesen.
§§ 58, 59 Abs. 4, 70 Abs. 3, 120 Abs. 2 GWB
Ein Bieter beantragte im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat, dass dieser die Beschlagnahme sämtlicher Ausschreibungsunterlagen des öffentlichen Auftraggebers zu dem laufenden Vergabeverfahren anordnet. Ohne Erfolg! Das OLG Düsseldorf lehnte die Anordnung der Beschlagnahme von Vergabeunterlagen ab. Für eine derartige Maßnahme besteht nach seiner Ansicht weder ein Bedarf noch hält das GWB eine Rechtsgrundlage parat.
Zur Begründung seines Antrags berief sich der Bieter auf § 58 GWB. Zwar sieht die Vorschrift die Beschlagnahme ausdrücklich vor. § 58 Abs. 1 GWB lautet:
„Die Kartellbehörde kann Gegenstände, die als Beweismittel für die Ermittlung von Bedeutung sein können, beschlagnahmen. Die Beschlagnahme ist dem davon Betroffenen unverzüglich bekannt zu machen.“
Die Regelung betrifft jedoch nur das Verfahren vor den Kartellbehörden. Diese mit Ermittlungsbefugnissen ausgestatteten Behörden sind nicht mit Gerichten zu vergleichen. Deshalb, so der Vergabesenat, verweist § 120 Abs. 2 GWB auch nicht auf die Vorschriften über das Verfahren vor den Kartellbehörden.
Eine Beschlagnahme kann auch deshalb nicht ohne Weiteres angeordnet werden, da hierfür regelmäßig eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des Auftraggebers erforderlich ist. Für den erforderlichen Durchsuchungsbeschluss sind nach § 59 Abs. 4 GWB aber ausdrücklich die Amtsgerichte zuständig. Deshalb wäre die Anordnung der Beschlagnahme für sich genommen ohnehin meist wirkungslos.
Schließlich sieht das OLG Düsseldorf auch keine Notwendigkeit für eine Beschlagnahme. Denn gemäß § 70 Abs. 3 GWB kann das Beschwerdegericht den Beteiligten aufgeben, sich innerhalb einer zu bestimmenden Frist über aufklärungsbedürftige Punkte zu äußern, Beweismittel zu bezeichnen und in ihren Händen befindliche Urkunden sowie andere Beweismittel vorzulegen. Bei Versäumung der Frist kann nach Lage der Sache ohne Berücksichtigung der nicht beigebrachten Beweismittel entschieden werden. Verweigert ein Auftraggeber die Herausgabe bestimmter Beweisstücke, kann dies also zu seinen Lasten gehen.
IFG-Antrag als wirkungsvolle Alternative
Bieter, die konkrete Anhaltspunkte für aktenkundige Vergaberechtsverstöße haben, können sich jedoch mithilfe ihres Anspruch auf Information nach den Informationsfreiheitsgesetzen (IFG) des Bundes bzw. der Länder wirksam zur Wehr setzen. Spätestens mit Abschluss des Vergabeverfahrens darf sich die Vergabestelle nicht mehr auf die Geheimhaltung von Informationen berufen, die der unmittelbaren Vorbereitung der Vergabeentscheidung dienen, vgl. § 4 Abs. 1 IFG des Bundes. Denn mit der Vergabeentscheidung hat das Verfahren seinen Abschluss gefunden. Die Vergabestelle ist dann verpflichtet, Auskunft zu geben oder Einsicht in die Akten zu gewähren (vgl. VG Münster, Urteil vom 02.10.2009, 1 K 2144/08).
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf schützt Auftraggeber vor dem vergabegerichtlichen Zugriff auf ihre Unterlagen. Zwar darf eine Beschlagnahme von Vergabeunterlagen in der Beschwerdeinstanz nicht angeordnet werden. Hat ein Bieter konkrete Anhaltspunkte für Rechtsverstöße, kann er allerdings – spätestens nach Abschluss eines Vergabeverfahrens – einen IFG-Antrag stellen. Die Praxis zeigt, dass IFG-Anträge ein scharfes Schwert mit geringem Risiko für den Antragsteller sind. Nur in Ausnahmefällen werden sie abgelehnt, die Kosten sind gering. Bestätigen die erhaltenen Informationen die vermuteten Rechtsverstöße, bestehen sehr gute Chancen, Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber durchzusetzen.
Der Autor Dr. Daniel Soudry, LL.M., ist Rechtsanwalt in der Sozietät HEUKING KÜHN LÜER WOJTEK in Düsseldorf. Er berät Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren. Außerdem betreut er Projekte der öffentlichen Hand. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
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Dr. Daniel Soudry, LL.M.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
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