§ 107 Abs.3 GWB, § 4 EG VOL/A
Häufig stellt sich bei sich schnell ändernden Produktzyklen wie bei der Beschaffung von IT-Produkten die Frage der Marktverfügbarkeit. Was bedeutet „Marktverfügbarkeit“ und wann muss diese vorliegen? Damit hatte sich die VK Bund (Beschluss v. 19.12.2011 – VK 3-158/11) bei der Beschaffung zum „Rahmenvertrag Gehärtete Notebooks“ im Dezember letzten Jahres beschäftigt.
Der Fall
Vorliegend schrieb die Vergabestelle europaweit nach § 4 EG VOL/A den Rahmenvertrag zur Lieferung handelsüblicher gehärteter („ruggedized“ und „semi-ruggedized“), also besonders robuster Notebooks über eine Laufzeit von 4 Jahren aus. Die voraussichtliche Abnahmemenge war angegeben, eine konkrete Abnahmeverpflichtung jedoch ausgeschlossen.
Vorgesehen war nach den Vergabeunterlagen eine Teststellung der wirtschaftlichsten Angebote, Zuschlagskriterium sollte das wirtschaftlich günstigste Angebot entsprechend der einfachen Richtwertmethode nach der UfAB sein. Zwingend erforderlich (und damit Ausschlusskriterium bei Nichterfüllung) war die Marktverfügbarkeit der angebotenen Produkte.
Im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens rügt der Zweitplatzierte neben der produktscharfen Ausschreibung und Wertungsfehlern die mangelnde Marktverfügbarkeit zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe der vom Erstplatzierten angebotenen Notebooks. Das einzige Notebook, das die vorgegebenen technischen Anforderungen zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe erfüllt habe, sei von ihm – dem Zweitplatzierten – angeboten worden.
Die Entscheidung
Zu Unrecht, wie die VK Bund meint.
Hinsichtlich der Rüge der produktscharfen Ausschreibung nimmt die VK wegen Präklusion nicht Stellung, gibt aber nochmals eindeutig zu verstehen, was unter „Erkennbarkeit eines Vergabeverstoßes“ nach § 107 Abs.3 GWB zu verstehen ist. Einem Fachanbieter für Hardware sei es durchaus möglich, sich einen Überblick über den Markt auch durch Nachforschungen im Internet zu verschaffen. Er kennt in der Regel auch die Mitbewerber am Markt sowie deren Produkte und muss die seiner Ansicht nach fehlende Produktneutralität spätestens bis zur Angebotsabgabe rügen.
Bei der Marktverfügbarkeit bejaht die Vergabekammer Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags, hält diesen jedoch in der Sache für unbegründet. Denn in den Vergabeunterlagen wurde in Ziffer 5.2.3 als Ausschlusskriterium festgelegt:
„Angebote mit Produkten, die zum Zeitpunkt des Eingangs des Angebots … nicht tatsächlich verfügbar sind. Tatsächlich verfügbar bedeutet, dass ….zum Produkt aktuelle Datenblätter/Prüfzertifikate vorgelegt werden können und eine Verfügbarkeit am Markt durch den Nachweis von Produkt/Seriennummern oder Auslieferung an Kunden erbracht werden kann.“
Diese Voraussetzungen hat– so die VK Bund- der Erstplatzierte durch die Vorlage von Rechnungsbelegen vor Angebotsabgabe nachweislich erfüllt, so dass die Marktverfügbarkeit bei Angebotsabgabe nachgewiesen worden ist.
Die VK bezieht sich zwar bei der Marktverfügbarkeit auf die Vergabeunterlagen, gibt jedoch in den Gründen zu erkennen, dass die Marktverfügbarkeit eines Produkts bei Angebotsabgabe vorliegen muss. Was unter Marktverfügbarkeit zu verstehen ist, hat vorliegend die Vergabestelle gut und ausreichend in den Vergabeunterlagen dokumentiert. Um Missverständnisse zu vermeiden, sollte dies bei öffentlichen Ausschreibungen immer konkret angegeben werden.
Interessant ist, dass sich die Vergabekammer u.a. mit den „üblichen“ Problemen im Rahmen von IT-Hardware – Beschaffungen (produktneutrale Ausschreibung, Vorgabe von Standards etc.) beschäftigt und klare Ausführungen zur Erkennbarkeit von Vergabeverstößen und deren Rügepflicht enthält.
Aus der Entscheidung wird somit deutlich: Unternehmen der IT-Branche, die aus taktischen oder geschäftspolitischen Gründen nicht unverzüglich rügen, können dies nicht später nachholen und vergeben sich unter Umständen ihre Chance auf umfassende Überprüfung vor der Vergabekammer.
Die Autorin Monika Prell ist für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht bei „Bitkom Consult “ zuständig. „Bitkom Consult – Vergaberecht“ coacht, berät und unterstützt insbesondere Unternehmen der ITK-Branche bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Monika Prell
Monika Prell ist Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin bei der Kanzlei SammlerUsinger in Berlin. Sie verfügt über umfangreiche Erfahrung im Vergaberecht und berät sowohl öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren als auch Bieterunternehmen umfassend bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen. Darüber hinaus vertritt Monika Prell ihre Mandanten vor den Vergabenachprüfungsinstanzen. Neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit ist sie als Kommentarautorin tätig, veröffentlicht regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
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