Der Beschluss des OLG München vom 27.09.2011, Verg 15/11, liegt zwar schon eine Weile zurück, soll aufgrund seiner Praxisrelevanz jedoch nachfolgend kurz dargestellt werden. Nach der Entscheidung des EuGH vom 25.03.2011, C-451/08 „Helmut Müller“, sind Grundstücksverkäufe durch öffentliche Auftraggeber wieder etwas aus dem vergaberechtlichen Fokus gerückt. Tatsächlich verbleiben jedoch in der Praxis Abgrenzungsschwierigkeiten, zu denen die Entscheidung des OLG München klarstellende Ausführungen enthält.
1. Ausgangspunkt: EuGH „Helmut Müller“
Der EuGH hatte in o. g. Urteil entschieden, dass unter folgenden Voraussetzungen die Grundstücksveräußerung durch den öffentlichen Auftraggeber (auch) einen öffentlichen Bauauftrag umfassen kann:
– Es muss sich um einen entgeltlichen Vertrag handeln, in dem der öffentliche Auftraggeber eine Leistung gegen eine Gegenleistung erhält. Die Leistung besteht in der Erbringung der Bauleistungen.
– Eine solche Leistung muss ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber bedeuten. Dieses wirtschaftliche Interesse ist gegeben, wenn vorgesehen ist,
o dass der öffentliche Auftraggeber Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks wird, die bzw. das Gegenstand des Auftrags ist.
o dass der öffentliche Auftraggeber über einen Rechtstitel verfügen soll, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt.
Das wirtschaftliche Interesse kann ferner liegen
o in wirtschaftlichen Vorteilen, die der öffentliche Auftraggeber aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann,
o in seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks oder
o in den Risiken, die er im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt.
2. Ausgangslage im Fall des OLG München
Im vorliegenden Fall hatte die Landeshauptstadt München von der Bundesrepublik ein ehemaliges Kasernengelände zum sanierungs- oder entwicklungsunbeeinflussten Grundstückswert zur Durchführung städtebaulicher Entwicklungsmaßnahmen nach den §§ 165 ff. BauGB erworben. Für den Fall, dass die Entwicklungsmaßnahme nicht fristgerecht durchgeführt wird, insbesondere die Grundstücke nicht an Erwerber weiterveräußert werden, die sich zur Bebauung entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme verpflichten, die Erschließung nicht hergestellt wird etc., sieht der Vertrag eine Nachzahlung der Stadt an die BRD bis zur Höhe des Verkehrswertes vor.
Die Stadt veräußert die Grundstücke teilweise zu vergünstigten Konditionen nach dem „München Modell“ an Familien mit mittlerem Einkommen, die sich zu Baugemeinschaften zusammengeschlossen haben. Im Nachprüfungsverfahren ist strittig, ob ein öffentlicher Auftrag vorliegt.
3. Anwendung der EuGH-Grundsätze durch das OLG München
Aus den o. g. vom EuGH geprägten Merkmalen des besonderen wirtschaftlichen Interesses prüft das OLG München nur die zwei hier in Betracht kommenden Alternativen,
o ob die Stadt München das Risiko des wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt oder
o ob sie sich an der Erstellung des Bauwerks finanziell beteiligt.
Beide Alternativen verneint das OLG München zutreffend wie folgt:
Die Stadt München trägt nicht das Risiko eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerkes. Ein solches Risiko liegt nicht in der Verpflichtung der Stadt gegenüber der Bundesrepublik, die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Verkehrswert nachzuzahlen, falls die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen nach den §§ 165 ff. BauGB nicht wie im Kaufvertrag festgelegt durchgeführt werden, weil es sich hier um das Risiko einer Strafzahlung bzw. Vertragsstrafe gegenüber einem Dritten handelt, und nicht um das Risiko eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks. Insbesondere trägt die Stadt nicht die negativen Folgen, die sich etwa aus Baumängeln oder bei fehlender wirtschaftlicher Nutzbarkeit des Bauwerks ergeben können.
Auch eine finanzielle Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks im Sinne der EuGH-Rechtsprechung verneint das OLG München. Die Zurverfügungstellung eines vergünstigten Grundstücks stellt keine finanzielle Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks dar, die Baukosten werden von den Käufern vollständig selbst getragen. Jedenfalls in den Fällen, in denen mit der Veräußerung zu einem günstigen Preis für den Erwerber keine weitere Verpflichtung verbunden ist, die dem öffentlichen Auftraggeber einen Zugriff auf das Bauwerk oder dessen Entstehung ermöglicht, oder in denen der öffentliche Auftraggeber von keiner ihn selbst unmittelbar treffenden Aufgabe entlastet wird, liegt nach OLG München keine wirtschaftliche Beteiligung des öffentlichen Auftraggeber vor.
Das OLG München begründet in diesem Beschluss ausführlich, warum in einem sehr praxisrelevanten Fall von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen kein öffentlicher Auftrag vorliegt. Die Entscheidung bringt für Kommunen nach der wegweisenden Entscheidung des EuGH ein weiteres Stück Rechtssicherheit.
Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Rechtsanwalt der Sozietät Kaufmann Lutz Rechtsanwaltsgesellschaft mbh, München. Daneben unterrichtet er das Vergaberecht im Rahmen von Masterstudiengängen an der TU München sowie der Hochschule Augsburg. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Der Autor Dr. Mathias Mantler ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät LUTZ |ABEL Rechtsanwalts PartG mbB und seit über 20 Jahren im Vergaberecht tätig. Er hat seinen Schwerpunkt in der projektbegleitenden Beratung von Öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen im Zusammenhang mit Beschaffungsvorhaben insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Health Care, Forschung und Entwicklung sowie IT/Digitalisierung sowie in der Vertretung von Auftraggebern und Unternehmen in Vergabenachprüfungsverfahren. Zudem ist er Autor diverser Fachveröffentlichungen im Vergaberecht und Dozent in vergaberechtlichen Seminaren und Lehrveranstaltungen.
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