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Fachlosvergabe zu Lasten der Wirtschaftlichkeit – Kein Spielraum mehr für öffentliche Auftraggeber? (OLG Koblenz, Beschluss v. 30.03.2012 – 1 Verg 2/11)

ParagraphDer Mittelstandsschutz wird seit Jahren in immer stärkerem Maße betont – Geld spielt offenbar keine Rolle mehr. Einen besonderen Höhepunkt der zum Teil übertrieben mittelstandsfreundlichen Rechtsprechung hat das OLG Koblenz (Beschluss v. 30.03.2012 – 1 Verg 2/11) jüngst in einem Beschluss zur Fachlosvergabe bei der Gebäudereinigung markiert. Danach sind Glasreinigungsarbeiten praktisch immer als Fachlos auszuschreiben, ohne dass der öffentliche Auftraggeber unter dem Strich noch eine realistische Chance besäße, auf diese aus wirtschaftlichen und/oder technischen Gründen zu verzichten.

Unbestritten ist seit einiger Zeit, dass Glasreinigungsarbeiten als eigenständiger Fachgewerbezweig anerkannt sind (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 11.01.2012, VII-Verg 52/11). Grundsätzlich kann daher eine Fachlosvergabe in Betracht kommen. Nicht ganz geklärt war bisher, inwieweit sich der öffentliche Auftraggeber mit Erfolg darauf berufen kann, wenn er anführt, er habe z.B. bereits 5 heterogene Gebietslose gebildet, die eine Beteiligung unterschiedlich großer Unternehmen ermöglichen. Das OLG Düsseldorf hatte noch im Jahre 2011 (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.01.2011, VII-Verg 63/10) eine entsprechende Argumentation anerkannt, allerdings mit dem zusätzlichen Hinweis darauf, dass in dem konkreten Fall das Volumen der Glasreinigung im Verhältnis zur Unterhaltsreinigung auch nur ca. 5% ausmachte. In dem Fall aus dem Jahre 2012 waren es 6%. Nun mag man rätseln, ob die zulässige Vergabe ohne Glasreinigungslos bei 5,5% liegt, aber das dürfte kaum weiterführen, nicht zuletzt weil die absolute Größe des Glasreinigungsauftragswertes ebenso eine Rolle spielen dürfte wie die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalles wie z.B. die Belegenheit der Objekte usw. Der wirkliche Kern der Diskussion ist – jedenfalls gemäß dem OLG Koblenz – ein anderer.

Kumulatives Verständnis der Bildung von Teil- und Fachlosen

Greift man auf die Bestimmungen des § 97 Abs. 3 GWB und des § 2 Abs. 2 VOL/A-EG zurück, so wird man gemäß dem OLG Koblenz ein absolutes Verständnis eines zusätzlichen Fachlosvergabegebotes annehmen müssen. Bislang war jedenfalls aus den Entscheidungen des OLG Düsseldorf – etwa derjenigen aus dem Jahre 2011 zu entnehmen –, dass bei der Beurteilung der Frage der Bildung eines Fachloses durchaus auch eine Gesamtwürdigung der Losaufteilung statthaft ist. Diese Gesamtwürdigung ging dahin, dass es als angängig angesehen wurde, wenn sich der öffentliche Auftraggeber darauf beruft, er habe bereits 5 heterogene Gebietslose gebildet, und daher relativiere sich ein zusätzlicher Fachlosvergabeanspruch. Dem soll nun anders sein.

Das OLG Koblenz verabsolutiert den Fachlosvergabeanspruch dahingehend, dass es schon im Ansatzpunkt der Konzeption eines Vergabeverfahrens zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers die Anforderung aufstellt, dass eine Fachlosvergabe grundsätzlich stattzufinden hat. Eine Exkulpation dahingehend, dass er sagen könnte, bei einer Entscheidung für 5 Gebietslose als Teillose bleibe weder relativ noch absolut genügend Auftragsvolumen übrig, um an diesen 5 Gebietslosen Fachlose „aufzuhängen“, ist danach nicht mehr rechtens.

Einzig derjenige Fall, bei dem das Auftragsvolumen insgesamt z.B. nur 200.000,00 € beträgt, und bei dem ein denkbares Fachlos für die Glasreinigung nur 5% (und damit absolut ausgedrückt in einem Wert unter 10.000,00 € liegt) beträgt, wird ein Verzicht auf dieses Fachlos in Betracht kommen. In allen anderen Fällen (speziell bei mehreren Gebietslosen) muss grundsätzlich von Anbeginn die Konzeption eines Fachloses intensiv geprüft und letztlich in der absoluten Mehrheit der Fälle bejaht werden.

By the way: Die Erfahrung zeigt, dass es bislang nur relativ wenige Firmen gibt, die einzig Glasreinigungsarbeiten anzubieten vermögen, und die sich daher nicht gleichzeitig auch auf die Unterhaltsreinigung bewerben könnten – aber die praktischen Fragen des tatsächlichen Anbietungsverhaltens sind von den rechtlichen Fragen zu trennen.

Faktisch keine Begründungsmöglichkeit mehr für den Fachlosvergabeverzicht

Auch umfangreiche Darstellungen und Berechnungen des Auftraggebers zu den technischen und wirtschaftlichen Hemmnissen (aufwendige sofortige Abnahme erforderlich, Klärungsproblem bzgl. Verantwortlichkeiten verschiedener Dienstleister, Wegfall von Synergieeffekten, ganz erhebliche Mehrkosten im Falle einer Fachlosbildung) erreichten nicht das Ziel, dass aus Sicht des Senates in gerechtfertigter Weise aus wirtschaftlichen und/oder technischen Gründen auf eine Fachlosbildung verzichtet werden durfte. Der geltend gemachte, sehr erhebliche Mehrkoordinierungsaufwand und die im Einzelnen durchgerechneten Verteuerungen bei den Angeboten der Bieter wie auch beim Auftraggeber, der angesichts weit verstreuter Objekte ggf. Kontrollpersonal von Drittfirmen einsetzen müsste (anderenfalls ist die notwendige sofortige Abnahme der Glasreinigungsleistungen kaum gewährleistet), ist in konsequenter Umsetzung der Ausführungen des Senats in praktisch keinem Falle mehr berücksichtigungsfähig.

Deutsches VergabenetzwerkWas ist an der Entscheidung des OLG Koblenz bedenklich?

Der Vergabesenat überdehnt in bedenklicher Weise den Mittelstandsgedanken. Insbesondere erscheint eine Wahrung der obersten Rechtsprechung zu den Prognose- und Beurteilungsspielräumen kaum mehr gewährleistet. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass die umfangreichen, mit Zahlen unterlegten Darlegungen der technischen Hemmnisse mit den daraus resultierenden Verteuerungen als „wilde Spekulation“ abgetan worden sind. Nähme man dies zum Maßstab, so wären jegliche Annahmen der öffentlichen Auftraggeber zur Tauglichkeit von Werkstoffen und Produkten bei der Leistungsbeschreibung, zur Schwellenwertschätzung, zur Bietereignung usw. „wilde Spekulation“. Im Falle einer solchen Sichtweise würde der öffentliche Auftraggeber zum Spielball von Bieterwünschen und Bieterinteressen, was nicht rechtens sein kann. Tatsache ist vielmehr, dass eine anerkannte Einschätzungsprärogative des öffentlichen Auftraggebers existiert, die maximal auf Fehler in der Ausübung der Beurteilungs- und Ermessensspielräume hin zu untersuchen ist, und die durch die Besonderheit der auch im Vergaberecht anerkannten, verwaltungsrechtlichen Prognosespielräume gekennzeichnet ist. Eben das wird in der Entscheidung des OLG Koblenz nicht ausreichend beachtet.

Der Senat reduziert das Vergaberecht auf eine Wettbewerbs- und Mittelstandskomponente, ohne das dem Vergaberecht zwingend zu eigene Wirtschaftlichkeitsprinzip in ausreichendem Maße zu berücksichtigen. Das Wirtschaftlichkeitsprinzip ist nicht zuletzt gerade in den Ausnahmetatbeständen, aus denen heraus auf eine (Fach-)Losvergabe verzichtet werden kann, verankert. Auch der Losvergabegrundsatz lebt von einer praktischen Konkordanz zwischen Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit der Beschaffung. Insbesondere darf das Bestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers nicht untergewichtet werden. Gemäß den praktischen Konsequenzen aus dem Beschluss des OLG Koblenz ist eine wirkliche Abwägung dieser Ziele anhand der technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, die in besonderen Ausnahmefällen gerade einen Verzicht auf die Fachlosvergabe erlauben, nicht mehr gewährleistet.

Angesichts dieser restriktiven Sichtweise des OLG Koblenz, die im Ergebnis dem öffentlichen Auftraggeber jeden wirklichen Entscheidungsspielraum abspricht, ist das letzte Wort bestimmt nicht gesprochen. Eine erste Kommentierung in der IBR-online (Boldt) zeigt, dass es spätestens im Falle der nächsten abweichenden OLG-Entscheidung einer Vorlage an den BGH bedürfen wird. Ob sich die vom Koblenzer Senat befürworteten massiven Einschränkungen des Prognose- und Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers, sowie die für richtig gehaltenen, weil rechtlich hinzunehmenden Verteuerungen bei der Fachlosvergabe (Motto: „Geld spielt keine Rolle“), als mehrheitliche Rechtsprechungslinie durchsetzen werden, muss derzeit als fraglich beurteilt werden.

Noch_RainerDer Autor, Dr. Rainer Noch, ist Rechtsanwalt bei Böck Oppler Hering, München. Er berät und vertritt insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Bieter und Verbände, in allen Fragen des Ausschreibungsrechts, speziell auch im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Rainer Noch

Der Autor, Dr. Rainer Noch, ist Rechtsanwalt bei Böck Oppler Hering, München. Er berät und vertritt insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Bieter und Verbände, in allen Fragen des Ausschreibungsrechts, speziell auch im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

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