§§ 3 Abs. 3, 8 EG VOL/A, § 1 VOF
Ist ein Auftraggeber mit der Wahl eines Offenen Verfahrens immer auf der sicheren Seite oder kann ein Bieter im Einzelfall auch auf Durchführung eines Verhandlungsverfahrens pochen? Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 27.03.2012, Az: Verg W 13/11) beantwortete diese Frage – und differenzierte hierbei.
1. Der Fall: Unbestimmte Leistungen
Ein Auftraggeber schrieb Kartierungsleistungen europaweit im Offenen Verfahren nach den Vorschriften der VOL aus. Gegenstand war die Neukartierung von geschützten Biotopen und FFH-Lebensraumtypen. Der Auftraggeber legte den Bietern zur Angebotserstellung und Kalkulation die ihm vorliegenden Daten und Informationen zum Untersuchungsgebiet zwar offen, die genaue Zahl der zu erwartenden Erfassungsgebiete sowie Art, Ausdehnung und Ausprägung der jeweiligen Biotoptypen war daraus aber nicht erkennbar. Ein Unternehmen sah sich durch die lückenhaften Angaben der Leistungsbeschreibung an der Kalkulation eines Angebots gehindert, da der Aufwand je nach den Verhältnissen der Natur bis zum 8-fachen variieren könne. Nach erfolgloser Rüge leitete es ein Nachprüfungsverfahren ein, in dem es unter anderem geltend machte, dass der Umfang der ausgeschriebenen Leistung völlig offen und erst durch die Leistung selbst bestimmbar sei.
Da sich ein Gesamtpreis auf dieser unklaren Leistungsbeschreibung nicht seriös angeben lasse, sei eine Vergabe im Verhandlungsverfahren geboten. Das Unternehmen verwies darauf, dass es sich um eine schöpferische und kreative Leistung handele, so dass das Verhandlungsverfahren nach den Vorschriften der VOF zu wählen sei.
2. Die Entscheidung: Kein isolierter Anspruch
Einen isolierten Anspruch auf die Wahl des Verhandlungsverfahrens verneinte das OLG Brandenburg. Der Senat konnte nicht die erforderliche Möglichkeit einer Verletzung in Bieterrechten im Sinne von § 97 Abs. 7 GWB erkennen. Der Fall liege anders als in der umgekehrten Konstellation, in der unrechtmäßig das Verhandlungsverfahren statt des Offenen Verfahrens gewählt wurde. Hier hat der BGH bereits anerkannt, dass die Möglichkeit der Verhandlungen auch die Gefahr mit sich bringt, durch Wettbewerber unterboten zu werden, so dass sich die Zuschlagschancen eines Bieters in Folge dieser Verfahrenswahl verschlechtern können (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2009, Az.: X ZB 8/09).
Bei der unrechtmäßigen Wahl des formstrengen Offenen Verfahren sieht das OLG Brandenburg eine solche Gefahr der Verschlechterung der Bieterchancen hingegen nicht.
3. Aber: Kalkulierbarkeit der Leistung entscheidet
Einen Teilerfolg konnte das Unternehmen aber dennoch für sich verbuchen: der Senat sah die Leistungsbeschreibung nämlich als zu unbestimmt an, so dass das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung gem. § 8 EG Abs. 1 VOL/A verletzt war. Die für die Kalkulation maßgebenden Umstände seien so offen, das eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation nicht möglich sei. Dies wäre zumindest mit dem Transparenzgebot und dem Willkürverbot unvereinbar. Ob auch das nach wie vor nicht abschließend bestätigte Verbot der Überbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses dem entgegenstünde (vgl. hierzu den Beitrag von Prof. Roggenkamp, OLG Düsseldorf festigt Rechtsprechung i.S. “Kein Verbot ungewöhnlicher Wagnisse”), ließ der Senat offen.
In der Konsequenz verpflichtete er den Auftraggeber zur Aufhebung des Verfahrens. Bei der Neuausschreibung sei zu prüfen, ob durch Aufteilung in kleinere geografische Einheiten oder Bekanntgabe der Schätzgrundlagen eine hinreichend erschöpfende Leistungsbeschreibung möglich sei. Wenn allerdings auch bei sorgfältiger Vorbereitung – an der es bislang nach der Dokumentationslage fehlte – die vorherige Festlegung eines Gesamtpreises unmöglich sei, dann müsse das Verhandlungsverfahren gemäß § 3 EG Abs. 3 lit. b VOL/A gewählt werden. Die Gründe hierfür müssen aber entweder
– in der Natur der Leistung liegen oder
– bedingt sein durch die mit der Leistung verbundenen Risiken.
4. Einordnung und Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung verdeutlicht: nicht in jedem Fall ist die Wahl des Offenen Verfahrens zulässig und damit rechssicher. Hinter dem geregelten Ausnahmetatbestand steht die Überlegung, dass das mehrphasige Verhandlungsverfahren einen Rahmen schaffen kann, um aufgrund unterschiedlicher Kalkulationsannahmen divergierende Angebote wieder auf eine einheitliche Basis zurückzuführen und so für vergleichbare Angebote zu sorgen. Letztlich dient diese Verfahrenswahl so dem Gebot der Gleichbehandlung und der Transparenz. Wichtig ist allerdings, dass dies nur dann gilt, wenn die unterschiedlichen Kalkulatikonsannahmen auftraggeberseitig objektiv nicht auflösbar sind, weil sie mit der Natur der Leistung oder aber den mit ihr verbundenen Risiken zusammenhängen. Mögliche Fälle betreffen beispielsweise hochkomplexen IT-Leistungen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.11.2000, Verg 18/00) oder unbekannte geologische Gegebenheiten, die den Gegenstand der Leistung beeinflussen (vgl. EG-Kommission, Grünbuch ÖPP, KOM(2004) 327 Rn. 24).
Festzuhalten bleibt für die Praxis: die Wahl des Verfahrens sollte in jedem Fall gut vorbereitet sein, das Offene Verfahren ist nicht per se der rechtssichere Weg!
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Valeska Pfarr, MLE
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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