Die überarbeiteten Muster des EVB-IT Systemvertrages wurden heute unter http://www.cio.bund.de veröffentlicht. Damit geht eine insgesamt über sieben Jahre andauernde, wegen grundsätzlicher Differenzen lange Zeit ruhende, Verhandlungsphase zwischen Bundesinnenministerium (BMI) und dem Branchenverband BITKOM um die Fassung des IT Projektvertrages der EVB-IT (Ergänzende Vertragsbedingungen für die Beschaffung von Informationstechnik) zu Ende. Der IT Planungsrat – das zentrale Steuerungsgremium für die IT von Bund und Ländern – hatte bereits am 21. Juni dem modifizierten EVB-IT Systemvertrag zugestimmt. Der BITKOM Arbeitskreis Öffentliche Aufträge hatte diesem seinerseits am 12. Juni 2012 zugestimmt. Unser Autor, RA Mark Münch der IT-Recht Kanzlei aus München, die das BMI in den EVB-IT Verhandlungen berät, fasst die wichtigsten Punkte des überarbeiteten Vertrags zusammen.
Der EVB-IT Systemvertrag regelt die Beschaffung von komplexen IT-Systemen, deren Erstellung erhebliche Anpassungsleistungen erfordern. Die Verhandlungen, die von einer Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesinnenministeriums (BMI) und dem BITKOM geführt werden, begannen 2005 und führten zunächst nicht zu einer Einigung. Zwar fand bereits das neue Haftungskonzept, dass die Haftung des Auftragnehmers insgesamt auf den Auftragswert beschränkt, und die Generalunternehmerschaft des Auftragnehmers mit kleinen Einschränkungen die Zustimmung des BITKOM, aber einige andere „Knackpunkte“ (z.B. Nutzungsrechte an Individualsoftware, Recht an Erfindungen) ließen sich nicht auflösen.
Daher hat die öffentliche Hand 2007 den EVB-IT Systemvertrag auf ihrer Plattform cio.bund.de als ersten (und bislang letzten) Vertrag aus der EVB-IT Familie ohne einen Konsens mit der Industrie über diesem Vertrag veröffentlicht. Folglich war dieser Teil der EVB-IT in der Industrie jahrelang umstritten. Dies wird wohl jetzt ein Ende haben. Die Parteien haben sich zusammen gerauft, den EVB-IT Systemvertrag neu verhandelt und schließlich einen Konsens in den umstrittenen Punkten erzielt. Dabei war man sich von Anfang an einig, dass ein IT Projektvertrag wie der EVB-IT Systemvertrag auf jeden Fall erforderlich ist.
Verbesserung im Haftungskonzept
Einer der wesentlichen Streitpunkte war der um eine Haftungsobergrenze für Aufwendungsersatzansprüche (z.B. Selbstvornahme nach § 637 BGB) des Auftraggebers. Nach der bestehenden Regelung der EVB-IT System waren diese von der grundsätzliche Begrenzung der Haftung auf den Auftragswert ausgenommen, hier haftete der Auftragnehmer unbegrenzt. Nach der neuen Fassung gilt die Haftungsbeschränkung nun für „alle gesetzlichen Schadens-, Freistellungs- und Aufwendungsersatzansprüche des Auftraggebers“, die Beschränkung auf „Ansprüche gemäß §§ 280 bis 284 BGB“ ist entfallen.
Zudem wurde hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Auftragnehmers eine zusätzliche Haftungsobergrenze für leicht fahrlässige Pflichtverletzungen beim Systemservice eingefügt. Bei dem nach Abnahme des Gesamtsystems geschuldeten Systemservice ist die Haftung auf die Summe der Vergütungen, die während der Vertragslaufzeit für den Systemservice zu zahlen ist, begrenzt. Sie beträgt jedoch insgesamt minimal das Doppelte und maximal das Vierfache der Vergütung, die für das erste Vertragsjahr des Systemservice zu zahlen ist.
Eine bemerkenswerte Änderung im Haftungskonzept ist jedoch die Einfügung einer dem EVB-IT Systemlieferungsvertrag nachempfundenen Konzepts zur Handhabung der Rechtsmängel. Die Haftung für Rechtsmängel war in der vorherigen Version noch vollständig dem Gesetz überlassen, was bei IT Projekten schnell zu Schwierigkeiten führen kann. Auch wurde die Verjährungsfrist für Rechtsmängel von fünf auf drei Jahre herabgesetzt. Damit ist die jetzige Regelung dem Industrie-Standard angenähert.
Individualsoftware
Im Bereich der Individualsoftware hat sich die Rechteeinräumung an Individualsoftware als solche geändert, da nunmehr differenzierter zwischen den einzelnen Arten von Software unterschieden wird. Bisher kannte der EVB-IT Systemvertrag nur Standardsoftware und Individualsoftware, ohne der tatsächlichen Art und Weise, wie die Individualsoftware zustande gekommen ist, Rechnung zu tragen. Eine komplette Neu-Entwicklung von Individualsoftware ist heutzutage eher die Ausnahme. Vielmehr wird normalerweise anstelle einer kompletten Neuentwicklung eine Neuentwicklung unter Einbeziehung vorhandener Teile und Standards bzw. durch Anpassung und Erweiterung bestehender Standardsoftware an die Bedürfnisse des Auftraggebers erfolgen. Dies wird im neuen Vertrag durch differenzierte Regelungen für folgende unterschiedlichen Softwaretypen berücksichtigt:
· Standardsoftware
· Reine Individualsoftware
· Standardsoftware, die auf Quellcodeebene für den Auftragnehmer angepasst wird und
· Individualsoftware, in die vorbestehende Teile integriert werden.
a) Rechteumfang Individualsoftware
Im Katalog der einzuräumenden Rechte an Individualsoftware ist jetzt klarstellend noch hinzugekommen, dass Individualsoftware für nichtgewerbliche Zwecke auch unterlizensierbar ist und dies grundsätzlich unentgeltlich. Nur für „vorbestehende Teile“, die bei der Herstellung der Individualsoftware verwendet werden, sieht das neue Vertragsmuster Sonderregelungen vor, siehe unten. Die Public Open Source Regelung, wonach der öffentliche Auftraggeber die Individualsoftware zu verbreiten berechtigt ist, soweit dies nicht gewerblich geschieht, ist im Vertrag damit noch enthalten. Damit diese Regelung lizenzrechtlich vollständig ist, war ein Recht zur Unterlizensierung hier mit aufzunehmen.
b) Erstellung von Individualsoftware durch Anpassung von Standardsoftware
Wird eine vorhandene Standardsoftware individuell für den Auftraggeber weiter entwickelt, müssen andere Regelungen gelten, als bei dem Verkauf von Standardsoftware. In diesem Fall hat der Auftragnehmer spätestens mit der Angebotsabgabe mitzuteilen, ob er die für diesen Auftrag durchgeführten individuellen Anpassungen in seine Standardsoftware aufnehmen werde. Erklärt er dies, ist er verpflichtet, die Anpassungen in den auf die Erklärung der Betriebsbereitschaft folgenden Programmstand der Standardsoftware aufzunehmen.
Gibt der Auftragnehmer in seinem Angebot keine entsprechende Erklärung ab, oder ist keine Aufnahme der Anpassungen in den Standard erfolgt, ist der Auftragnehmer verpflichtet, die Anpassungen auf Quellcodeebene im Quellcode und die unangepassten Teile der Standardsoftware im Objektcode so zu übergeben, dass der Auftraggeber in der Lage ist, mit entsprechend qualifiziertem Personal hieraus wieder die für ihn individuell angepasste Standardsoftware zu erstellen. An dem in diesem Fall zu übergebenden Quellcode erhält der Auftraggeber sodann die vollständigen Nutzungsrechte für Individualsoftware nach dem EVB-IT Systemvertrag. In keinem der beiden Fälle führt eine Anpassung einer Standardsoftware auf Quellcodeebene jedoch dazu, dass die Standardsoftware insgesamt dadurch zur Individualsoftware mit den damit verbundenen umfangreichen Nutzungsrechten wird. Bei der Vorgängerversion des Vertrags wurde allgemein angenommen, dass Standardsoftware durch jede Änderung an dem Quellcode komplett zu Individualsoftware wird und folglich an der Standardsoftware dem Auftraggeber die vollständigen Nutzungsrechte für Individualsoftware eingeräumt werden. Eine Konsequenz, die den Parteien wohl in den seltensten Fällen bewusst und wohl auch nicht erwünscht war. Die neue Regelung ist somit deutlich praxisnäher und führt zu den in der Regel gewünschten Ergebnissen.
c) Erstellung von Individualsoftware unter Verwendung vorbestehender Teile
Hinsichtlich der vorhandenen Teile und Standards, die für eine Softwareentwicklung genutzt werden, wurde eine neue Definition der „Vorbestehenden Teile“ geschaffen.
Danach sind „Vorbestehende Teile“
„Alle Bestandteile
• der Individualsoftware und
• der auf der Quellcodeebene vorgenommenen, jedoch nicht [….] in den Standard aufgenommenen Anpassungen an Standardsoftware,
die der Auftragnehmer oder ein Dritter unabhängig von diesem Vertrag entwickelt hat.“
An den vorbestehenden Teilen werden keinesfalls ausschließliche Nutzungsrechte eingeräumt. Die Verbreitung und Unterlizenzierung von vorbestehenden Teilen ist im Unterschied zu der individuell für den Auftraggeber erstellten Software zu vergüten, wenn der Auftragnehmer deren Verwendung im Angebot mitgeteilt, die Vergütung für die Einräumung dieser Rechte dort beziffert und der Auftraggeber auf dieses Angebot so auch den Zuschlag erteilt hat. Jedoch wird, solange der Auftraggeber diese Rechte an den vorbestehenden Teilen nicht ausübt, die Vergütung für deren Verbreitung oder Unterlizenzierung nicht fällig.
Das Recht zur Bearbeitung der vorbestehenden Teile kann der Auftragnehmer unter anderem ausschließen, wenn sein Angebot bestimmte Voraussetzungen wie die Angabe im Angebot, dass der Auftragnehmer statt des Quellcodes der vorbestehenden Teile nur deren Objektcode überlassen werde, erfüllt. Alternativ kann der Auftragnehmer den Auftraggeber in die Lage versetzen, aus den im Quellcode überlassenen Teilen der Individualsoftware und den nur im Objektcode überlassenen vorbestehenden Teilen die ausführbare Individualsoftware zu erzeugen.
Abnahme
Auch die Regelungen zur Abnahme wurden neu verhandelt, das Erfordernis einer zusätzlichen Endabnahme nach der Summe der Teilabnahmen steht aber nach wie vor im Systemvertrag. Nach Erklärung der Abnahme der letzten Teilleistung hat eine Gesamtabnahme zu erfolgen, in der die systemübergreifenden Funktionalitäten sowie die Interoperabilität aller Teile des Gesamtsystems getestet werden. Abschlagszahlungen können und konnten im Vertragsmuster des EVB-IT Systemvertrages vereinbart werden. Lediglich die Fristen für die Funktionsprüfungen wurden für die Teilabnahmen auf 14 Kalendertage gesenkt. Dies gilt auch für die erneute Funktionsprüfung, nach dem ein Mangel in den Tests gerügt und behoben worden ist.
Erfindungen
Auch die Regelungen zu Erfindungen, welche im Rahmen der Projektdurchführung entstanden sind, wurden überarbeitet. Konnte vorher der Auftraggeber im Rahmen der Erstellung von Individualsoftware geschaffene Patente an sich ziehen, wenn dem Auftraggeber auch die ausschließlichen Rechte an der Software zustanden, gilt jetzt etwas vollkommen anderes. Jetzt stehen alle Erfindungen, die im Rahmen des Projektes von dem Auftragnehmer gemacht wurden, dem Auftragnehmer zu. Der Auftraggeber erhält hieran lediglich eine Rücklizenz, um seine eigene Nutzungsmöglichkeit abzusichern.
Der EVB-IT Systemvertrag ist durch die Nachverhandlung nicht weniger kompliziert und auch um keine Seite kürzer geworden. Dennoch konnte endlich der notwendige Konsens zwischen Industrie und öffentlicher Hand erzielt werden, damit der EVB-IT Systemvertrag flächendeckend anerkannt wird.
Die neuen Regelungen modernisieren den EVB-IT Systemvertrag und passen ihn an die Bedürfnisse der Praxis an. Mit den neuen Regelungen zu den Nutzungsrechten an Individualsoftware bzw. angepasster Standardsoftware sind den Auftragnehmern weitgehende Informationspflichten und Formalien für ihre Angebote auferlegt worden. All diese zu erfüllen, damit dem Auftragnehmer keine Nachteile entstehen, wird einiges an internem Aufwand seitens der Auftragnehmer erfordern.
Anmk. der Redaktion:
Das BMI erarbeitet seit vielen Jahren Rahmenbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen („Ergänzende Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen“ – EVB-IT) und stimmt diese mit dem Branchenverband BITKOM ab. Der EVB-IT Systemvertrag wurde nach Scheitern der Verhandlungen 2007 einseitig vom BMI veröffentlicht. Angesichts der Summen, welche die öffentliche Hand in Informationstechnik und deren sichere Anwendung investiert, kommt den EVB-IT eine erhebliche Bedeutung zu. Die Vertragsmuster sind für die Bundesbehörden nach § 55 II BHO verbindlich. Auch Länder und Kommunen wenden die Regelungen überwiegend an.
Der Autor Mark Münch, LL.M, ist Rechtsanwalt bei der IT-Recht-Kanzlei, München, die das BMI in den EVB-IT Verhandlungen berät. Herr Münch befasst sich schwerpunktmäßig mit dem IT-bezogenen Vergaberecht. Zuvor war er Mitarbeiter bei Sun Microsystems/ Oracle und konnte so zahlreiche Erfahrungen bei der Anwendung des Vergaberechts auf Auftragnehmerseite sammeln. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Mark Münch, LL.M, ist Rechtsanwalt bei der IT-Recht-Kanzlei, München, und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem IT-bezogenen Vergaberecht. Zuvor war er Mitarbeiter bei Sun Microsystems/ Oracle und konnte so zahlreiche Erfahrungen bei der Anwendung des Vergaberechts auf Auftragnehmerseite sammeln.
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