In der Vergabepraxis ist sie schon immer ein Thema, das Auftraggeber wie Bieter gleichermaßen kennen und beschäftigt: Die Frage der Gleichwertigkeit von Nebenangeboten. War die Frage bislang eher von technischen bzw. fachlichen Aspekten und Erwägungen geprägt, mischen sich dazu jüngst erhebliche (vergabe)rechtliche Diskussionen. Gibt es für die Gleichwertigkeitsprüfung von Nebenangeboten überhaupt eine Rechtsgrundlage? Erschöpft sich die Frage der Gleichwertigkeit von Nebenangeboten im Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts bereits in der Beurteilung, ob die für Nebenangebote aufgestellten Mindestanforderungen erfüllt sind? Was kann bzw. ist überhaupt der Inhalt einer etwaigen Gleichwertigkeitsprüfung?
Sinn und Zweck
Ungeachtet aktuell geführter rechtlicher Diskussionen sei einmal an die ursprüngliche Idee von Nebenangeboten erinnert: Für Auftraggeber geht es um die Nutzung speziellen Bieter-Know-Hows mit großen Chancen für die Wirtschaftlichkeit des Einkaufs. Bietern verschaffen Nebenangebote große Chancen im Wettbewerb durch gestärkte individuelle Wettbewerbspositionen. Ganz allgemein und übergeordnet haben Nebenangebote den attraktiven Effekt von Innovationsförderung sowie der Förderung von Angebotsvielfalt und -potential.
Rechtlicher Rahmen
Rechtliche Voraussetzung zur Erreichung der unumstrittenen Chancen ist zunächst, dass der Auftraggeber Nebenangebote überhaupt zulässt. Eine Entscheidung, die im Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts Einfluss auf die Gestaltung der Zuschlagskriterien hat (Divergenzvorlage an den BGH: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2011 – Verg 22/11). Die Berücksichtigungsfähigkeit von Nebenangeboten bei der Angebotswertung hängt im Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts zudem von einer ordnungsgemäßen Aufstellung von (formellen und materiellen) Mindestanforderungen ab (§§ 9 EG Abs. 5 Satz 3, 19 EG Abs. 3 lit. g VOL/A; §§ 8 EG Abs. 2 Nr. 3 lit. b, 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. e VOB/A; § 8 Abs. 1 SektVO). Die Gleichwertigkeit wird in keiner Vergabeordnung ausdrücklich als Anforderung an Nebenangebote kodifiziert. Lediglich für – von Nebenangeboten gerade abzugrenzende – sog. abweichende technische Spezifikationen ist die Gleichwertigkeit als teilweise ausdrücklicher (§§ 13, 13 EG Abs. 2 VOB/A), teilweise vergleichbarer Prüfungsmaßstab geregelt (§ 8 EG Abs. 3 VOL/A; § 7 EG Abs. 5; § 7 Abs. 7 SektVO).
…und Praxis
Die in der Vergabepraxis bekannte und ständig geübte Gleichwertigkeitsprüfung wird hinsichtlich ihrer rechtlichen Einordnung von der Rechtsprechung unterschiedlich bewertet. Im Anwendungsbereich des 1. Abschnitts der VOB/A wurden bislang keine rechtlichen Bedenken dagegen gesehen, eine Gleichwertigkeitsprüfung bei Nebenangeboten anhand der Kriterien des § 13 Abs. 2 VOB/A (gefordertes Schutzniveau in Bezug auf Sicherheit, Gesundheit und Gebrauchstauglichkeit) vorzunehmen (BGH, Urt. v. 23.03.2011 – X ZR 92/09; übertragen auf den 2. Abschnitt der VOB/A: VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 21.02.2012 – 1 VK 07/11).
In seiner Traunfellner-Entscheidung stellte der EuGH fest, dass es im Anwendungsbereich des europäischen Richtlinienrechts unzureichend ist, wenn die Vergabeunterlagen lediglich auf eine nationale Rechtsvorschrift verweisen, die das Kriterium aufstellt, dass das Nebenangebot eine der ausgeschriebenen Leistung qualitativ gleichwertige Leistung beinhaltet (EuGH, Urt. v. 16.10.2003 – Rs. C-421/01, Rn. 30). In strenger Umsetzung der Traunfellner-Entscheidung wird vertreten, die Gleichwertigkeitsprüfung erschöpfe sich in der Prüfung der Einhaltung der verlangten (materiellen) Mindestanforderungen für Nebenangebote (OLG München, Beschl. v. 07.04.2011 – Verg 5/11; Beschl. v. 09.09.2010 – Verg 16/10). Nach anderer Auffassung stellt die Gleichwertigkeitsprüfung einen eigenen Prüfungspunkt neben der Einhaltung der Mindestanforderungen mit selbständiger inhaltlicher Bedeutung dar (OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.06.2012 – 11 Verg 12/11; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 27.04.2011 – 1 Verg 5/10; OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.05.2011 – Verg W 16/10; Beschl. v. 29.07.2008 – Verg W 10/08; Beschl. v. 20.08.2002 – Verg W 6/02; VK Lüneburg, Beschl. v. 02.08.2012 – VgK-24/2012).
Nach differenzierender Auffassung mag die Gleichwertigkeit durchaus ein zulässiger Prüfungs- und Bewertungsmaßstab für Nebenangebote sein, und zwar unabhängig davon, ob man diesen bei den (materiellen) Mindestanforderungen oder unter den Zuschlagskriterien anwendet; Voraussetzung ist dann aber die Festlegung und Bezeichnung konkreter „Gleichwertigkeitskriterien“ in Form von Leistungsmerkmalen und -anforderungen in den Vergabeunterlagen (Dicks, VergabeR 2012, 318, 327). Nach noch weitergehender Auffassung dürfe jedenfalls eine allgemeine und über aufgestellte Mindestanforderungen hinausgehende Gleichwertigkeitsprüfung von Nebenangeboten nicht stattfinden (Herrmann, VergabeR 2012, 673, 686).
Hinsichtlich der Frage der Gleichwertigkeit von Nebenangeboten besteht nach alledem aktuell zwar erhebliche Rechtsunsicherheit. Diese muss sich jedoch nicht auf den Beschaffungsprozess und die Auftragsvergabe auswirken. Auftraggeber müssen der (unsicheren) Rechtslage nicht mit innovationshemmender und wirtschaftlichkeitsgefährdender Flucht aus der Zulassung von Nebenangeboten begegnen. Vielmehr gilt es, best practices für ein Angebots- und Nebenangebotswertungssystem zu entwickeln, das abhängig vom konkreten Beschaffungsbedarf die vor Angebotsabgabe bekannten Wünsche und Vorstellungen transparent abbildet. Hierzu gehört die klare und abschließende Definition und Festlegung gewünschter quantitativer und qualitativer Mindestanforderungen auf der einen und sachgerechter Zuschlags-/Wirtschaftlichkeitskriterien auf der anderen Seite. Bieter werden bei deren rechtzeitiger transparenter Bekanntgabe in die Lage versetzt, ihre Leistungen, Produkte und Kapazitäten so anzubieten, dass sie den gewünschten Bedarf des Auftraggebers unter Ausnutzung bestmöglichen Innovationspotentials optimal decken. Ungeachtet aktueller rechtlicher Diskussionen wird so – gerade durch Nebenangebote – der wirtschaftliche Beschaffungserfolg als Ziel eines jeden Ausschreibungsprozesses gewährleistet.
Die Autoren Dr. Susanne Mertens, LL.M, und Henrik Baumann, HFK Rechtsanwälte LLP, begleiten Auftraggeber und Auftragnehmer in allen Phasen des Beschaffungsprozesses. Ihre Beratung umfasst außerdem die für die Beschaffung im Bereich Verteidigung und Sicherheit relevanten Rechtsgebiete des Öffentlichen Preisrechts sowie des Exportkontroll- und Zollrechts.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Dr. Susanne Mertens, LL.M., und Henrik Baumann
Die Autoren Dr. Susanne Mertens, LL.M, und Henrik Baumann, HFK Rechtsanwälte LLP, begleiten Auftraggeber und Auftragnehmer in allen Phasen des Beschaffungsprozesses. Ihre Beratung umfasst außerdem die für die Beschaffung im Bereich Verteidigung und Sicherheit relevanten Rechtsgebiete des Öffentlichen Preisrechts sowie des Exportkontroll- und Zollrechts.
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